Gesehen zu werden ist wichtig. Übersehen zu werden tut weh. Da ist der Schüler, der sich dauernd meldet, aber vom Lehrer nie drangenommen wird. Da ist die Mitarbeiterin, die täglich tadellose Arbeit abliefert, aber der Chef spricht sie nie an. Da ist die Familie, die schon einige Wochen in der neuen Wohnung lebt, aber niemand aus der Nachbarschaft nimmt von ihr Notiz oder kennt ihren Namen.
Wir wollen gesehen werden. Wahrgenommen. Sicher, manche mehr und andere weniger. Aber insgesamt ist es so. Wir wollen gesehen werden. Vor allem bei der jüngeren Generation zeigt sich das deutlich an den sozialen Medien. Scheinbar das ganze Leben wird online gestellt – Hauptsache, andere sehen‘s und zeigen, dass sie’s gut finden …
Allerdings wird da natürlich längst nicht alles gezeigt. Eigentlich nur das Positive, Schöne, manchmal auch Geschönte. Die Niederlagen, Schwächen, Tränen, das Scheitern, Versagen die Schuld muss ja niemand sehen. Das behalten die meisten lieber für sich.
Ziemlich am Anfang der Bibel wird von einer Frau berichtet, die wohl auch eher übersehen wurde. Sie war eine kleine Magd im großen Tross des Abraham. Solange sie ihre Arbeit machte, wurde sie vermutlich kaum wahrgenommen. Allerdings war sie jung und hübsch – und so wird sie dann doch gesehen und gerät sie in eine problematische Situation. Als sie schließlich von Abraham schwanger wird – im Gegensatz zu seiner Frau Sara – kommt es zu schlimmen Szenen zwischen den beiden Frauen. Die Demütigungen werden immer unerträglicher, bis schließlich Hagar, die kleine Magd, die Flucht ergreift. Sie flieht in die Wüste – und das heißt: In die Einsamkeit, dahin wo sie niemand sieht. Und eigentlich auch in den sicheren Tod.
Und dort in der Wüste wird sie angesprochen. Von einem Engel, der im Namen des lebendigen Gottes zu ihr kommt. Überrascht stellt sie fest: Gott kennt mich. Gott sieht mich. Auf meiner Flucht, in meinem Schmerz, in meiner Einsamkeit. Er übersieht mich nicht. Und sie erfährt, dass Gott einen Zukunftsplan mit ihr hat. Erstaunt und dankbar bekennt sie schließlich: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“ (1. Mose 16,13) Dieser Satz ist die Jahreslosung für das aktuelle Jahr. Das ist die Zusage, die auch uns, auch Ihnen allen gilt. Dass Gott Sie sieht. Übrigens auch die unschönen und schwierigen Seiten. Aber dass er Sie trotzdem liebt und mit Ihnen in die Zukunft gehen will. Ich wünsche Ihnen, dass auch Sie das in diesem Jahr staunend und dankbar bekennen können: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“