Bruchstücke
Bruchstücke sind Teil eines Ganzen. Sind sie deswegen wertlos? Das kommt darauf an. Wenn die Vase zerbricht, die so hässlich war, dass sie mich schon immer geärgert hat, dann habe ich kein Interesse an den Scherben. Aber es gibt auch wertvolle Bruchstücke, die man gerne aufhebt und ihnen einen besonderen Platz gibt. Man muss dafür nicht die Archäologie bemühen, um von Tonscherben begeistert zu sein, die uns über eine längst vergangene Kultur Auskunft geben. Oft sind solche Scherben auch für unsere Kultur heute so bedeutend, dass man selbst kleinste Stücke mühevoll restauriert und konserviert.
„Bruchstücke“ können aber auch immateriell sein; Teile eines Gesprächs, die Erinnerung an bestimmte Aspekte eines Erlebnisses, Szenen aus einem Film oder Textpassagen in einem Buch. Berühmte Zitate sind ja auch auf „nur“ Bruchstücke aus einem großen schriftstellerischen Werk. Manche solcher „Bruchstücke“ sind aber auch Worte oder Gesten, die mich verletzt oder innerlich sehr bewegt haben. Manchmal geht mir erst nach einer Zeit auf, dass sie für mich Bedeutung haben und dann auch lange noch etwas zum Klingen bringen. Ein Vertrauensbruch, ein gescheitertes Projekt, ein Schicksalsschlag können solche „Brüche“ in meinem Leben sein und nicht immer lassen sie sich „kitten“.
„Bruchstücke“ erzählen nicht nur Geschichten, eben auch von unserer oder meiner Geschichte, sie enthalten auch Verheißungen. Gerade die biblischen Religionen stellen Menschen mit einem anscheinend zerbrochenen Lebensweg in den Mittelpunkt. Das Kreuz im Christentum symbolisiert solch ein zerbrochenes Leben. Gerade wieder wird auch die Vielfalt der Kirchen und innerhalb der Kirchen in einem negativen Sinn als „Zersplitterung“ erfahren. Es gibt im religiösen wie im gesellschaftlichen und politischen Leben eine Tendenz zu mehr Einheitlichkeit. Die Bruchstücke, die unsere großen Religionen anbieten, sprechen gegen jeden Perfektionismus und zwingen zum Abschied von jedem Größenwahn-Gedanken.
Und dann ist da noch das gebrochene und geteilte Brot, das dieser Jesus, als Mensch gebrochen vom Unverständnis seiner Zeitgenossen, seinen Weggefährtinnen und Weggefährten zur Erinnerung mitgibt. Dieses geteilte Brot ist das Bruchstück, dass alles enthält, weil es Teil vom göttlichen Ganzen ist.