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Bad Königer Stadtnachrichten und Badeblatt
Ausgabe 42/2024
Aus dem Rathaus
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Aus dem Rathaus

Es erregt nicht gerade Staunen, wenn eine mit akademischen Würden in den Fächern Germanistik und Philosophie ausgestattete Schriftstellerin Bücher über Thomas Mann, den englischen König Heinrich VIII. und dessen Tochter Elisabeth I., Friedrich Nietzsche und Goethe schreibt. Und das ist nur eine Auswahl. Mit Verwunderung mögen aber manche Leserinnen und Leser reagieren, wenn sie erfahren, dass die mit Preisen und Stipendien reichlich versehene, in Schotten im Vogelsberg geborene und in Ludwigshafen lebende Sabine Appel nun ein Büchlein über Bad König und den Odenwald vorlegt. Aber eine Erklärung ist schnell gefunden: Sabine Appel hielt sich im Herbst 2023 als Stadtschreiberin in Bad König und im Odenwald auf und hat nun mit der Broschüre über „Odin und andere Helden“ ein Fazit ihrer in dem Kurstädtchen verbrachten Tage gezogen.

Texte von Stadtschreiber(inne)n legen ein Zeugnis über den Weg ab, auf dem sie sich dem Ort ihres vorübergehenden Aufenthaltes angenähert haben. Sabine Appels Vorgänger in Bad König, der Autor und Verleger Vito von Eichborn, präsentierte 2019 ein Buch, aus dem der Leser „Fast alles über Bad König“ erfahren konnte, ein „charmantes Sammelsurium“, das in alphabetischer Ordnung ein „kunterbuntes Porträt einer liebenswürdigen Stadt“ und ihrer „Eigenarten, Sehenswürdigkeiten und Traditionen“ darbot. Sabine Appel hat nun einen ganz anderen, aber nicht weniger interessanten Weg gewählt und sich in Mythen vertieft, die sich um den Odenwald ranken und auch in Bad König ihren Platz gefunden haben.

Appels Arbeit beginnt mit dem Versuch einer sprachgeschichtlichen Herleitung des Namens, den unser Mittelgebirge trägt. Natürlich fehlt da der Hinweis auf Odin nicht. Aber ob der Odenwald seinem Namen nun von dem Germanengott ableiten kann oder eher seiner früher dünnen Besiedlung verdankt, weil er also ein „ödes Land“ war, die Autorin kommt zum Schluss: „Wir werden das Rätsel nicht lösen.“

Aber als von der „Phantasie beflügelte Schriftstellerin“ verweilt sie trotzdem erst einmal weiter bei Odin. Anlass hat sie, denn im Kurpark von Bad König ist sie bei ihren Wanderungen durch den Ort auf eine von der Künstlerin Karin Ebert geschaffene Sandsteinskulptur des Gottes der Germanen gestoßen; „Ode an Odin“ ist das Werk benannt. Der Anblick dieses und anderer aus Stein geschaffener Werke nimmt Sabine Appel zum Anlass, sich Gedanken über die Bildhauerei zu machen. Den von ihr als „Entbergen“ bezeichneten Schaffensprozess hat sie sich von den Bildhauerinnen Marianne und Sabine Wagner erläutern lassen, die zusammen mit dem vor einigen Jahren verstorbenen Paul August Wagner und zahlreichen anderen Künstlern damit begonnen haben, aus der in der Nähe des Kurparks gelegenen Kunstwerkstatt heraus den Park mit ihren Werken zu bereichern. Odins Nase aus Granit, der Skulptur aus Sandstein aufgesetzt, ist Sabine Appel Symbol für das in Buntsandstein- und Granitodenwald geteilte Mittelgebirge.

Vom Germanengott schlägt die Autorin den Bogen zum ebenfalls zum germanischen Mythos zählenden Weltenbaum „Yggdrasil“, von dem sie sogleich auf ihren in Bad König gepflanzten Lieblingsbaum kommt. Der, ein Trompetenbaum, steht in der Nähe der Bad Königer Wandelhalle, in deren Trinkhalle Sabine Appel sich täglich am Heilwasser gelabt hat.

Einmal bei Bäumen angekommen, liegt der Wald nicht nahe, der ja auch den zweiten Teil des Namens der Region bildet. Der Wald, mythologischer Ort der Deutschen schlechthin, ruft in der Schriftstellerin die Erinnerung an Sagen und Märchen wach. Von dem an einer Quelle im Odenwald von Hagen erschlagenen Siegfried ist nun die Rede, Hänsel und Gretel, die sich im Wald verirrt haben, werden erwähnt, und natürlich fehlt das Wilde Heer nicht, eine Sage, die an vielen Orten erzählt und im Odenwald mit dem bei drohendem Krieg vom Schnellerts zum Rodenstein ziehenden Ritter, auch Wilder Jäger genannt, verknüpft wird. Sabine Appel bringt in Erinnerung, dass die Sage vom Wilden Heer ursprünglich wohl mit Odin verknüpft war.

Bei der Betrachtung der germanischen Götterwelt liegt ein Blick auf den Kosmos nicht fern. Da bietet sich wieder der Kurpark von Bad König an, der einen Planetenweg und eine Sonnenuhr aufzuweisen hat. Letztere schafft Gelegenheit, über die Messung der Zeit nachzudenken. Die, so Appel, habe „unsere Zeit nach vorn“ gebracht. Dass man das auch anders sehen kann, macht sie mit einem Hinweis auf den Philosophen Jean-Jacques Rousseau deutlich, über den sie ebenfalls eine Biografie geschrieben hat („Unser Rousseau. Wie ein Genfer Uhrmachersohn die Aufklärung überwand und damit vollendete“, 2021). Rousseau, so erfahren wir nun auch aus dem jetzt vorgelegten Büchlein, verschenkte seine silberne Taschenuhr, zog sich auf die Petersinsel im Bieler See zurück und demonstrierte so, fortan im Einklang mit der Natur leben zu wollen. Ein Bruch mit der Zivilisation, den so mancher Zeitgenosse auch heute gern vollziehen würde.

Ihre Überlegungen zur Entstehung von Namen setzt die Stadtschreiberin schließlich mit einem Blick auf die Ursprünge des Namens „König“ fort. Für das frühe Mittelalter ist „Quinticha“ belegt, ein Name, der auf ein keltisches Wort für „sprudelndes Wasser“ verweist. Damit bei der Geschichte von Bad König angekommen, widmet sich Sabine Appel auch der alten Kapelle auf dem Bad Königer Friedhof, die in ihren ältesten Teilen aus dem 9. Jahrhundert stammt, also nicht viel jünger als die Einhardsbasilika in Steinbach ist. Bad König, das im Jahr 2017 die Ersterwähnung des Ortes vor 1200 Jahren feiern konnte, blickt also auf eine lange Geschichte zurück. Zeit genug, so manchen „Helden“ hervorzubringen, von „Helden des Alltags“ bis zu dem Entdecker des Franz-Josef-Landes, Carl Weyprecht, dessen Namen eine Bad Königer Schule trägt und der auf dem Bad Königer Friedhof seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Es gibt also außer Odin noch andere Helden. Aber, so fragt die Philosophin Appel, brauchen wir die überhaupt?

Sabine Appel wandert nur scheinbar von einer Assoziation zur anderen. Immer wieder gelingt es ihr, den Bogen zu dem Städtchen zu schlagen, in dem sie im Herbst 2023 einige Monate verbringen konnte. Dessen Umgebung, der Odenwald, kommt dabei nicht zu kurz, weshalb man das Büchlein nicht nur den Kurstädtern zur Lektüre empfehlen möchte. Es bietet eine anregende Lektüre, die dem Leser auch Vergnügen bereitet, wenn er sich auf die Spuren der Stadtschreiberin begibt, die auf ihrem Weg Mythen und reale Orte verbindet.

Das Projekt „Stadtschreiber(in)“ ist aus einer Kooperation des Hessischen Literaturrats e. V. mit dem Magistrat der Stadt Bad König und der Bad Königer Buchhandlung „Paperback“ entstanden und wurde unterstützt vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst. In der Literaturhandlung „Paperback“ der Eheleute Joachim und Gertrud Steiger wird das nun von Dr. Sabine Appel verfasste Buch „Odin und andere Helden“ dem Vernehmen nach kostenlos abgegeben.

Thomas Seifert