Weihnachtsumzug
Roland Sattler und Thomas Hess
58 Zuhörer hatten sich versammelt um zum Abschluss der diesjährigen Veranstaltungsreihe "Kultur im Hofhaus" des Heimat- und Geschichtsverein Lützelbach dem Vortrag über alte Odenwälder Weihnachtsbräuche von Roland Sattler zu folgen. Um das Weihnachtsfest herum hat sich ein nicht überschaubares Brauchtum entwickelt. Zu den beliebtesten Bräuchen zählen u.a. Plätzchen backen, Adventskranz basteln, Weihnachtsbaum schmücken – und, man glaubt es kaum, in den Weihnachtsurlaub fahren.
Vieles ist in den vergangenen Jahren zur Deko geworden mit der man sich die düsterste Zeit des Jahres verschönert, es sich in den vier Wänden gemütlich macht. Das ist darauf zurück zu führen, dass sich – wie Roland Sattler ausführte – der Brauchträger geändert. Die Kirche verliert nicht nur Mitglieder, sondern auch Binde und Prägekraft. Sattler zitiert hier Susanne Gaschke, die in einem Beitrag für die Neue Züricher Zeitung die Misere der Kirche auf den Punkt bringt: „Gott ist für die Deutschen ziemlich tot.“
Aber wie war es vor mehr als 100 Jahren um die Weihnachtsbräuche bestellt als man noch von einer kirchlich geprägten Gesellschaft ausgehen konnte? Über diese Bräuche unserer Heimat wüssten wir nichts, hätte nicht Heinrich Winter (1898-1964) sie zwischen 1938 und 1950 erfasst und dokumentiert.
Die wichtigsten Figuren im vorweihnachtlichen Brauchtum, wie es in unserer Heimat vor 1890 noch gepflegt wurde, sind der Belzenickel und der Belzebock, Christkind und Mehlweibchen. Er darf auf keinen Fall mit dem Heiligen Nikolaus oder gar dem Weihnachtsmann verwechselt werden. Im Odenwald hieß er „Belznickel“, während er im Hinteren Odenwald Benznickel genannt wurde. (Belz = Pelz, Benz = Gespenst). Er hat ein wildes, verwahrlostes Aussehen: einen weiten, alten, lumpigen Mantel, eine Kette als Gürtel. Sein Gesicht ist oft schwarz mit einem mächtigen Bart, seine Kopfbedeckung ist ganz verschieden: Von der Zippelkapp bis zum Zylinder, von der Papiertüte bis zum alten Hut. Meist aber ist es der Schlapphut, den er trägt, und der ihn noch furchterregender aussehen lässt. Hat Santa Claus die Zippelkapp vom Belznickel übernommen? Mit dieser Zwischenfrage überraschte Roland Sattler die Zuhörer. Thomas Nast, ein Deutsch-Amerikaner aus der Pfalz, schuf auf Wunsch von A. Lincoln bereits 1862 die Figur des gemütlichen, an der Pfeife schmauchenden, pausbäckigen und gutmütigen Santa Claus. An den Belznickel seiner Heimat erinnert die Zippelkapp, und die pelzbesetzte Mütze bzw. Mantel.
Eine, wie Winter vermutete, ältere Variante ist der Strohnickel mit spitzem hohem Strohhut.
Das Odenwälder Christkind, gespielt von einem Mädchen, war ganz in Weiß gekleidet, nicht selten auch in der Tracht der Odenwälder Braut, mit Hochzeitskrone, tief verschleiert durch zahllose Trachtenbänder. Es trug eine Schelle, die Rute, einen Geschenkkorb, später auch mit Weihnachtsbaum, der hier noch bis in die 1940er Jahre Zuckerbaum genannt wurde. Es verdrängte den Benznickel als Gabenbringer. Beschenkt wurden die Kinder, nachdem sie ein Gebet oder Gedicht aufgesagt hatten, mit Äpfeln und Nüssen und den Gebildbroten Hase und Bobbe, später auch Spielzeug.
Der gefürchtete Begleiter des Belz- oder Benznickels war der Bohlischbock, der auch Hörnerbock genannt wurde. Mit seinen Hörner stieß er nach den kleinen Kindern.
Das Mehlweibchen ist eine rätselhafte Figur. Es ist bösartig, aber wie das Christkind ganz in weiß gekleidet, verbirgt sein Gesicht hinter der Vermehlung und schlägt die Kinder wie auch Erwachsene mit dem Kochlöffel.
Es gäbe noch vieles zu den alten Bräuchen zu erzählen, aber dafür reicht die Zeit nicht aus. Nur auf eines wies der Referent zum Schluß noch hin. Verbarg sich zwischen dem bösen Mehlweibchen und dem guten Christkind früher die Figur der Frau Hulle? In einer Dekretsammlung (1012–1023) des Wormser Bischofs Burchard, wird von Dämonen berichtet, die unter der Führung von Hulda nächtens durch die Lüfte zieht. Die Heilige Nacht galt noch weit in das 19. Jahrhundert hinein als die große Hexennacht!