Aus der hessischen Landeszeitung vom 11.05.1939
„Ei joo, do unne sitzt nore aaner annere Neemaschine“
Was ein Gebirgler aus dem Odenwald auf der Post für eine tolle Gespenstergeschichte erlebte
Es gab eine Zeit, da führte von der Eisenbahnstrecke Darmstadt- Eberbach (Baden) aus noch keine Bahnverbindung in das Gersprenztal bis in die Gefilde des Rodensteinstein im vorderen Odenwald. Diese Verkehrsrückständigkeit wurde erst behoben durch den etwa vor 50 Jahren erfolgten Bau einer Kleinbahn von der Bechtsteingesellschaft, der späteren Süddeutschen Eisenbahngesellschaft, deren Bähnchen eine Stundengeschwindigkeit bis zu 22 Kilometer entwickeln konnte; und es hieß und heißt auch heute noch im Volksmund das „Lieschen“, und dieses zu Ehren einer das neue Vehikel zuerst benützenden Jungfrau mit dem Vornamen „Lieschen“. Sonderbarerweise heißen auch zwei weitere, von genannter Gesellschaft in Rheinhessen erbauten Nebenbahnen, so die Selztalbahn von Ingelheim- Nord nach Jugendheim- Partenheim, und die von Sprendlingen (Rheinhessen) nach Wöllstein aus gleichen Gründen das „Luiche“ bzw. „Bawettche“.
Nun dürfte man annehmen, dass bei der Einführung dieses neuen Verkehrsmittels, des „Lieschen“, in das Gersprenztal, auch am Kursende bei den ein wenig
Was ein Gebirgler aus dem Odenwald auf der Post für eine tolle Gespenstergeschichte
abseits wohnenden Gebirglern auch die neuen Errungenschaften hinsichtlich der postalischen Einrichtungen und im Telegraphenwesen bekannt geworden seien. Doch diese Annahme schien eitel Hoffen gewesen zu sein. Kam da eines schönen Tages ein kleines Männchen zu seinem Postamt, um am Schalter seine Wünsche vorzubringen. Leider hatte der Herr Postgehilfe Ungemach an diesem Tage seinen freien Mittag. Es oblag daher dem stets hilfsbereiten Herrn Postverwalter, in der mundartlichen Bezeichnung Herr „Poschthalter“ genannt, neben seinen eigentlichen Verwaltungsgeschäften in Ermangelung einer weiteren Assistenz auch noch der Schalter- und Telegraphendienst.
Er nahm „Reißaus“
Gerade mit der Abgabe eines längeren Telegrams am Morseapparat beschäftigt, übersah er zunächst das Heranschleichen unseres Biedermannes am den Postschalter, denn seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte der störrige Morseapart beim Regulieren seines Schreibhebels, weil dieser nun gerade an diesem Mittag seinen eigenen Kopf hatte. Inzwischen auf den unruhig gewordenen Schalterbesucher aufmerksam geworden, gab ihm der Herr Posthalter mit kurzen, aber höflichen Worten von dem Arbeitstisch des Morseapparates aus einem Bescheid, den das Männlein am Schalter wohl nicht verstanden haben mochte. Jedenfalls verließ er fluchtartig den Schalter, um sein heil eine Treppe höher in der Dienstwohnung zu suchen mit seinem Begehr und seiner Bitte bei der Frau „Poschthalter“ um eine Zehnpfennigmarke. Doch die Frau erkannte sogleich einen vermutlichen Irrtum bei dem wohl auch seltenen Schalterbesucher und fragte ihn; „Ist den niemand unten auf der Post?“ Darauf erhielt sie die verblüffende Antwort: „ Ei joo, do unne sitzt nore aaner annere Neemaschine, kloppt mit de Hand uffen Tisch und macht Fratze.“
Das wahre Gesicht der Fratze“
Um nun die Situation nicht noch ulkiger zu gestalten, begab sich die Ehefrau mit ihrem Schützling zur Klärung der heiklen Angelegenheit wieder eine Treppe tiefer zum Amtszimmer. Sie trafen dort die inzwischen gebändigte und in einen Morseapparat verwandelte Nähmaschine mit ihrer Bedienung heil, fidel und ohne das vermeintliche „Gebärdenspiel“ in Gestalt des Herrn Postverwalters vor.
Nach heiterer Aufklärung seines Irrtums, Erfüllung seines Wunsches, befriedigt über das mysteriöse Geheimnis der vermeintlichen Nähmaschine einigermaßen aufgeklärt, schied nun das Männlein von der Höhe und mit reichen Erfahrungen wieder zu den Seinen nachhause.