Hans-Reinhard Glutsch, 82 Jahre jung, klettert immer wieder einmal auf das Dach eines Auerbacher Wohnhauses an der Eisenbahnstraße. Dort oben steht die Antennen-Kopfstation, die viele Auerbacher Haushalte mit einem technisch soliden Fernsehempfang versorgt.
"Vor 40 Jahren habe ich gemeinsam mit einigen Auerbacher Bürgern dafür gesorgt, dass wir endlich in guter Qualität auch das Westfernsehen schauen konnten. Das war nicht einfach, denn das Ganze war noch zu tiefsten DDR-Zeiten und die Staatssicherheit hat uns tüchtig das Leben schwer gemacht", blickt Hans-Reinhard Glutsch zurück, der es sich damals nicht nehmen ließ, sogar noch eine "Auerbacher Antennen-Gemeinschaft" ins Leben zu rufen.
Nach 1989/90 änderte sich alles. Vieles wurde besser, manches aber auch schlechter. Doch die "Antennengemeinschaft Stadt-Mitte Auerbach" (ATG) blieb bis heute am Leben. "Viele Jahre war ich der Chef der ATG, jetzt bin ich deren Senior-Ehrenvorsitzender", so Glutsch.
Im nachfolgendem Text blickt Hans-Reinhard Glutsch einmal zurück auf die 40 Jahre Antennengemeinschaft Auerbach:
„Dies ist auch ein Stück Geschichte von Auerbach. Doch wie fing alles an?
Von den Bürgern wurde sehr gern „Dallas“, Denverclan“ und weitere beliebte
Sendungen in ARD und ZDF gesehen. Das Problem war aber, dass die Bilder teilweise „griesig“ und unscharf zu sehen waren. Wer Zeit und Kenntnisse hatte, „bastelte“ sich eigene Antennen auf dem Dach oder ängstlicherweise unter dem Dach. Vor allem Handwerker und Selbständige, die ja bekannterweise wenig Zeit hatten, ärgerte dieser Zustand der schlechten Bilder. So entstand die Idee bei verschiedenen Gesprächen, auch am Biertisch, man müßte in Auerbach eine Kopfstelle mit gutem Empfang finden und eine Antennengemeinschaft (ATG) gründen.
Da ich durch mein Haus viel mit diesen Personen zu tun hatte, bat man mich, den Vorsitz zu einer zu gründenden ATG zu übernehmen. Die Handwerker würden mich dabei in allen Belangen unterstützen. Ich konnte halt nicht nein sagen und so kam ich zu dieser Funktion.
Doch das ganze Vorhaben war nicht so einfach. Der sozialistische Staat war nicht daran interessiert, dass DDR-Bürger guten Westempfang bekamen. Es ging also nur über den „Trick“, man musste Häuser oder Straßenzüge finden, die keinen oder schlechten Empfang von DDR-Sendern hatten. Es ging also darum, wo ist so eine Situation, wer kennt wen, wer kann helfen mit Meßtechnik solche „Sendelöcher“ zu finden und uns das „amtlich“ schriftlich bestätigen.
Dank „Beziehung“ ist uns das gelungen, und am 01. November 1982 hatten wir diese Bescheinigung in den Händen. Die Initiative ging von Albert Bühring aus. Dieses Schreiben war Voraussetzung für alle weiteren Aktivitäten, Genehmigungen, Bilanzen, Schachtscheine.
Im Frühjahr 1983 ging ich mit Fachleuten und entsprechender Technik auf die Suche einer geeigneten Kopfstelle.Wir wollten möglichst auf privatem Gelände oder Haus diese Stelle finden. Viele Nachmittage haben wir rund um Auerbach gemessen, aber so richtig zufrieden waren wir mit den Ergebnissen nicht.
Uns war klar, dass der beste Empfang auf einem Hochhaus im Neubaugebiet wäre, aber es war ein „staatliches“ Haus, verwaltet von der Gebäudewirtschaft. Wird es Schwierigkeiten geben? Dank guter Kontakte bekamen wir einen Raum im 10. Stock des Hochhauses (jetzt abgerissen) in der Eisenbahnstraße zum Aufbau der Kopfstation bewilligt.
Nach Vorliegen der Bescheinigung und des Standortes der Kopfstation konnten die technischen Lösungen der Gesamtanlage und die Gründung einer ATG beginnen. Bis dahin wurden die Arbeiten im Wesentlichen von Albert Bühring und mir durchgeführt.
Jetzt ging es darum, durch persönliche Kontakte Mitverantwortliche zu finden, die an einer ATG interessiert und mitarbeiten würden. In meiner Wohnung in der damaligen Ernst-Schneller-Straße fanden ab Frühjahr 1983 regelmäßig Sitzungen statt. Ich konnte ein Kinderzimmer als Arbeitszimmer umfunktionieren (in diesem Zimmer fand auch im Dezember 1989 die Gründung der SPD Auerbach statt.
Bei diesen Sitzungen wurde ein Statut erarbeitet, dazu verschiedene Entwürfe diskutiert. Als „Rechtsbeistand“ hatten wir einen selbstständigen Rechtsanwalt, Herrn Marquardt aus Auerbach hinzugezogen, der letztendlich die Entfassung des Statutes erarbeitete. Dieses Statut reichten wir beim Rat der Stadt Auerbach zur Genehmigung ein. Im März 1983, unter 14/83 registriert, war dies das Geburtsdatum unserer ATG. Durch Unterschrift der Teilnehmer in der Beitrittserklärung wurde das Statut legitimiert.
Parallel zu dieser Arbeit begann die technische Erarbeitung der gesamten Anlage. Dabei mussten wir uns vom Liegenschaftsamt Unterlagen des gesamten Stadtgebietes beschaffen. Daraus wurde der Gesamtstadtplan mit jedem Haus und jeder Straße maßstabgerecht neu gezeichnet (mit Tusche auf Transparentpapier, pausbar). Alles zusammengestellt ergab es ein Plan von etwa 2x2 Meter. In diesem Plan wurden alle Überspannungen, Grabungen, Maste eingezeichnet und in welche Häuser entsprechende Verstärker eingebaut werden müssen. In den privaten Häusern wurden durch Besuche das Einverständnis eingeholt und geprüft, ob entsprechende Stromanschlüsse und Stromzähler vorhanden sind (in der Regel auf dem Boden).
Die Gebäudewirtschaft hat uns pauschal den Zutritt zu „ihren“ Häusern genehmigt. Nun erarbeitete Herr Hartmut Strobel aus Rempesgrün das gesamte Projekt als VHF-Anlage. Ihm sind wir besonders dankbar, dass er kurzfristig geholfen hat, da ein von uns vorgesehener Fachmann abgesagt hatte.
Nun ging es um die praktische Arbeit der Instalation. Durch persönliche Kontakte bildete sich eine Feierabendbrigade, die ab 16.30 Uhr bis abends begann Haus für Haus ab Plauensche-Straße zu verkabeln. Der Kopf dieser Brigade war Frank Schädlich. Die Verbindung Hochhaus bis Bahnhofshotel beschreibe ich später.
Man muss jetzt wissen, dass viel verschiedenes Material zum „verkabeln“ benötigt wurde, was es aber nicht so einfach gab. Jeder der Verbindungen, Kenntnisse, Beziehungen hatte wurde aufgefordert, diese unterschiedlichen Produkte zu kaufen auch in kleineren Mengen, wenn es nicht anders ging.
In der Plauenschen Straße hatten wir einen nicht bewohnbaren Raum gemietet, wo das ganze Material gelagert wurde. Dort traf sich die Arbeitsbrigade und teilte Material und die Arbeit ein. Auch Werkzeuge wie Bohrmaschinen waren knapp. Eine Quittung belegt, wie Albert Bühring eine Bohrmaschine der ATG übergab.
Auch nur als Beispiel der verschiedenen Materialien soll eine Aufstellung vom Juni 1988 zeigen. Die Beschaffung der Komponenten für die Kopfstation, Verstärker, UKW-Station, die verschiedenen Kabel (E-, C-, D-Kabel) waren besonders schwierig und teilweise bilanzierungspflichtig. Die wesentlichen Teile der Kopfstation bekamen wir von einer Firma aus Burgstädt.
Ich fuhr damals mit meinem Trabant nach Berlin ins Kabelwerk Oberspree, um drei Kilometer D-Kabel genehmigt zu bekommen. Ich hatte mir dazu voher „Rat“ von einem Mitarbeiter des Postministeriums der DDR eingeholt. Ich hatte Glück. Das genehmigte D-Kabel musste in Thüringen im Grenzgebiet in Vacha abgeholt werden. Dazu bedarf es einer Einreisegenehmigung ins Grenzgebiet mit Beantragung beim Volkspolizeikreisamt.
Nach den ersten Interessenten hatten wir uns zur Verkabelung ein Karree Plauensche Sraße - Göltzschtalstraße - Bahnhofstraße - Willy-Brand-Straße bis wieder Plauensche Straße vorgestellt. Eigentlich jeden Tag kamen mehr Interessenten hinzu. Es hatte sich einfach herumgesprochen. Letztendlich wurde ganz Auerbach ohne Neubaugebiet angeschlossen. Nicht nur Privatleute, Firmen, auch das damalige Pflegeheim an der Eisenbahnstraße wurde für die Bewohner angeschlossen, wobei wir den Pflegebedürftigen nicht die Kosten von 650 DDR-Mark pro Anschluss zumuten konnten.
Die Heimleitung übernahm die Kosten in einem Pauschalpreis. Als wir in der Friedrich-Naumann-Straße waren, habe ich selbstverständlich auch die Dienststelle der Stasi angerufen, ob sie einen Anschluss wollen. Die Antwort war: „Nein Herr Glutsch!“ Ich hatte meinen Namen aber gar nicht gesagt, sondern mich nur als Antennengemeinschaft vorgestellt.
Es war bei uns ein Enthusiasmus spürbar, dies war einfach toll. Was tat man nicht alles, um guten Westempfang zu bekommen? Es wurde an einem Tag Erdkabel vom Hochhaus bis zur Eisenbahnbrücke verlegt. Dann kam der Schreckmoment. Natürlich waren diese Aktivitäten von mindestens 100 Leuten nicht unbemerkt geblieben. Ein Auto fuhr vor, ein IM der Stasi hatte mich verpfiffen (Name bekannt). Ich sollte sofort ins Volkspolizeiamt kommen. Dort wurde ich aufgefordert, diese Aktion sofort zu beenden. Ich war allein gegen einen Stab von Funktionären und konnte mich auch nicht mit jemanden beraten. Man warf mir vor, einen Kabelschacht (Querung Eisenbahnstraße) unerlaubt benutzt zu haben. Aus meinen mitgenommenen Lageplan vom Liegenschaftsamt konnte ich darlegen, dass dieser Schacht nicht eingetragen war und somit ich nichts Unrechtes getan habe. Ich sagte einfach, ich hätte diesen Schacht zufällig gefunden. Ich weigerte mich, die Aktion abzubrechen und verließ die Polizeidienststelle. Hätte ich in dieser Situation nachgegeben, wäre das Projekt Antennengemeinschaft ins Wanken geraten. Ich wusste auch nicht, was folgen würde, aber es ist alles gut gegangen. Die gesamten Stahlkonstruktionen, auf dem Hochhaus, die Maste, die Stahlschiene an der Eisenbahnbrücke hat die Firma Albert Bühring mit entsprechenden Genehmigungen gebaut.
Es ist wie ein Wunder, früh mit den Arbeiten begonnen, am späten Nachmittag konnten die ersten Mitglieder die neuen Bilder empfangen. Was mit Interesse und Begeisterung gelingen kann, hat unsere Aktion bewiesen. Ob sowas heute noch möglich ist?
1985 konnten wir allen Mitgliedern mitteilen, dass unsere Gemeinschaftsanlage fertiggestellt ist. Gleichzeitig erstellten wir eine Liste mit 75 Straßenverantwortlichen, die Ansprechpartner bei Störungen waren und diese an mich oder Frank Schädlich meldeten. Es gab eben noch keine Handys und für die „Normalbürger“ auch wenige Telefonanschlüsse. Es musste alles mit ansprechen und weitersagen organisiert werden. Am Ende waren es etwa 2.700 Haushalte, die an diese ATG angeschlossen wurden.
Die Wende 1989 brachte nochmals große Einschnitte: Rückübertragung von Eigentum, Aus- und Wegzüge und viele Baumaßnahmen. Eines Tages wurde ich ins Bahnhofshotel geladen. Der damalige Landrat stellte mir Personen aus den alten Bundesländern vor. Diese unterbreiteten mir einen Vorschlag, die gesamte Anlage zu kaufen.
Abgesehen davon, dass ich dies nicht allein entscheiden konnte, lehnte ich den Vorschlag ab. Ich wusste von anderen Antennengemeinschaften, wo diese „Übernahmen“ erfolgten, dass dann im Wesentlichen mehr Kosten auf die Mitglieder zugekommen wären.
Auch wir begannen nach 1990, nunmehr erlaubt, die Technik der Anlage zu erneuern und zu erweitern. Hierzu ein erstes Schreiben von 1991.
Ein paar besondere auch humorvolle Erinnerungen:
Die Verkabelungsbrigade hatte so in den Häusern ihre Erlebnisse. Beim Bohren von einer oberen Wohnung Richtung Boden, ging der Bohrer nicht mehr zurück. Beim Nachsehen auf dem Boden war der Bohrer in einen Karton mit Plüschtieren geraten. Beim Bohren drehte sich im Karton rasend schnell ein Teddybär.
Ein anderer Fall: Es gab am Vormittag eine Störungsmeldung. Als nach 16 Uhr nachgesehen wurde, war die Störung weg. Das wiederholte sich 2 bis 3 Tage. Was war die Ursache? Ein Dachdecker hatte tagsüber den Strom für seine Bohrmaschine auf dem Boden aus der Steckdose entnommen, wo eigentlich der Verstärker angeschlossen war. Ab 16 Uhr hat der Dachdecker den Verstärker wieder angeschlossen. Diese Ärgernisse hatten wir auch vermehrt in der Weihnachtszeit, wo Bastler auf dem Boden auch die Steckdose des Verstärkers für ihre Werkzeuge benutzten. Kleine Ursache, aber wir hatten größeren Ärger.
Dies soll für diese Historie genügen. Natürlich gäbe es noch viele Details und Episoden zu erzählen. Ich freue mich, dass ich mit den noch vorhandenen alten und jetzt neuen Verantwortlichen so einige Erinnerungen zusammen tragen konnte.
Gut, dass man zu Beginn einer Entscheidung nicht weiß, was einen erwartet. Dann hätte ich wahrscheinlich diese Aufgabe nicht übernommen.
So denke ich dankbar zurück, das alles gelungen ist und hoffe, dass doch die Freude für dieses Stück Geschichte überwiegt.