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Bergstadtecho Brand-Erbisdorf
Ausgabe 3/2023
Leitartikel
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Aus Sicht des OB

Menschen kommen und gehen - auch Bürgermeister in Brand-Erbisdorf seit der Stadtgründung hierzulande im Jahr 1834. Und Oberbürgermeister ebenso. Jüngst ging Herr Volker Zweig, Stadtoberhaupt von 2000 bis 2007, für immer von uns. Die Beisetzung in Brand-Erbisdorf am 13. März war bewegend, denn schließlich hatte der Entschlafene in unserer Bergstadt recht viel bewegt und selbst ein bewegtes Leben.

Beruflich packte er über Jahrzehnte immer gern den Arbeitstag voll: Akten und Abrechnungen, Konstruktion, Planung, organisieren und einfach machen! Im Sommer 1999 zog er in den Brander Stadtrat ein - gar als „Stimmenkönig“ der Allianz Unabhängiger Wähler mit beachtlichen 324 Stimmen auf den Wahlzetteln. Daraufhin ward er gleich 1. Stellvertreter des Brand-Erbisdorfer Oberbürgermeisters. Viele Menschen schätzen ihn noch heute wegen seiner Tätigkeit beim Großbetrieb NARVA und der Zeit danach.

Zeitgleich gelang Volkmar Krauß (ebenfalls Allianz Unabhängiger Wähler/AUW) damals sein Wahlsieg, der aber nicht von Dauer war. Noch 1999 verunfallte Oberbürgermeister Krauß tödlich und im Februar 2000 stand also wieder die OB-Wahl für BED an. Das damals viel beachtete Duell gegen (die auswärtige) Freifrau von Fritsch gewann Volker Zweig - eingedenk des breiten Zuspruchs unabhängiger Wählerschaft lieferte dieses Ergebnis hierzulande eine wohltuende Kontinuität.

Im Rathaus angekommen krempelte er als Neuer, doch Lebens-Erfahrener in Praxis und Management (!), zügig die Ärmel hoch und arbeitete viel in und an der Stadtverwaltung. Was gab es da nicht alles neben dem täglichen Pensum zu tun… schließlich kamen die durchaus brisanten Verhandlungen zur Eingemeindung von Langenau mit Oberreichenbach und Gränitz rasant in Gang! Dieses Kapitel ging unter Herrn Zweigs Federführung im April 2002 mit Erfolg und dauerhaft in die Verwaltungsgeschichte unserer Bergstadt ein.

Die Jahrhundert-Flut stellte mit dem Starkregen im August 2002 speziell die ländlichen Teile unserer Stadt vor große Probleme. OB Volker Zweig besaß die Ruhe und die Kraft gemeinsam mit der „Rathaus-Mannschaft“ auch diese Katastrophe gut vorort zu meistern.

Noch weit vor seinem „Rathausgang“ beschritt er gleich Anfang der 1990er Jahre (Brand hatte wohl noch nicht einmal ein Arbeitsamt) mit mutigen Mitstreiterinnen und Weggefährten den Weg zur Arbeitssicherung, Beschäftigung und Strukturentwicklung! Dies (mit „ABS“ abgekürzt) sagt heute noch all jenen Menschen durchaus etwas Gutes, die zur Unzeit der Betriebsschließungen hier nach der Wende arbeitslos geworden waren. War diese ABS bei ihrem Start mit überaus zahl- und hilfreichen ABM, also Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, noch ein ehrenamtlicher Verein, so wuchs jene Idee unter Beteiligung vieler Gemeinden des Alt-Erzgebirgslandkreises Brand-Erbisdorf während der Amtszeit von Volker Zweig zu einer GmbH - einem stabilen Konstrukt der kommunalen Selbsthilfe - natürlich auch mit OB Zweig als Vorsitzendem der Gesellschafterversammlung! Er selbst war stets nah am Menschen und wirkte doch mitunter oft so unnahbar…

Die pragmatische Führung von Prozessen und Personal im Rathaus unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, das war sein Ding! Konflikte scheute er überhaupt nicht, denn er wußte, dass jedes Problem solange wiederkommt, solange es nicht geklärt ist! Outsourcing und Verschlankung (also letztlich Umstrukturierung und Personalabbau) waren angesagt. Mit Beharrlichkeit begegnete er der finanziell schweren Lage der Stadt um 2003 bis 2006 mit Haushaltssicherungskonzept und sprach mehrmals sog. Haushaltssperren aus (sprich: Ausgaben gingen nur noch nach besonderer Entscheidung!). Umsichtig - nicht gleich für jeden erkennbar - agierte er dabei stets mit Augenmaß nach seinem Credo „bewahren mit Beständigkeit“. Das war echt gut.

Volker Zweig war ein Gemüts- und Genussmensch: er schätzte gutes Essen sowie einen edlen Tropfen und konnte Gutes einfach gut genießen. Er lachte herzhaft aus voller Wonne und liebte fröhliche Gesellschaft. Wenn nötig, ermunterte er so manchen Zeitgenossen mit einem kecken Spruch in seiner feinsinnigen Art oder mit fast väterlichem Rat. Ab und an hatte er völlig überraschend Pralinen, hausgemachtes Backwerk oder seine legendäre Sülze parat! Doch selbst wenn er fürs Wochenende ausgebucht war und seine Arbeitstage schon zwölf Stunden zählten, nahm er sich immer noch Zeit für etwas Tatkräftiges: tüfteln, basteln, schrauben und bauen.

Neben dem Brand-Erbisdorfer Eigenbetrieb der Abwasserbeseitigung „Oberes Striegistal“ leitete Volker Zweig als Oberbürgermeister mit gutem Geschick über mehrere Jahre auch ehrenamtlich den Wasserzweckverband mit Sitz in Freiberg. So verflogen „quasi im Handumdrehen“ die Jahre seiner Amtszeit.

Im Herbst 2006 ging ich ins Brander Rathaus, direkt zu Herrn Zweig. Ich sah es als meine Pflicht, den wertgeschätzten Amtsinhaber von meinen Ambitionen auf sein Amt persönlich in Kenntnis zu setzen. Meine Aufregung verflog, als er meinte: „ach Doktor! das finde ich gut.“ Damals merkte ich auch: in seinem Amtszimmer steht nicht einmal ein Computer. Es gab eben auch Dinge, die ihn nicht wirklich interessierten - oder deren Zuständigkeit er gut woanders verankert wußte!

Volker Zweig war so herrlich „geradezu“ und pragmatisch: weil der auf dem Brander Markt des Nachts durch „störende Elemente“ abgesägt worden war Maibaum (aha, ein wiederkehrendes Problem!), ließ er einfach den Stiel als meterlanges Metallrohr anfertigen, an dem sich - wer auch immer - die Sägezähne stumpf arbeiten möge… prima, und der Maibaum steht seither immer noch stabil!

Im Grunde ist Herr Zweig auch während seiner Amtszeit als Rathauschef durch und durch Unternehmer geblieben. Den damals vermuteten oder geheim gehandelten Bestrebungen einer Vereinigung mit dem großen Nachbar Freiberg stand er entschieden ablehnend gegenüber. Er wollte im Interesse der Bergstadt BED eigenständig und mit stabilen Finanzen unterwegs in Sachsen bleiben.

Seine Leidenschaft hingegen für das Leben und die Liebe sind stadtbekannt. Elegante Autos faszinierten ihn schnell, doch der Marke Audi hielt er mehr als zwanzig Jahren die Treue. An der mecklenburgischen See lebte er Träume und Freiheiten aus.

Volker Zweigs bleibende Verdienste als Oberbürgermeister sind u. a. (1) die erwähnte Eingemeindung großer Ländereien, (2) die Folgeansiedlung von Industrie- und Gewerbe, i. V. m. der Abwicklung der NARVA, (3) der Umbau des Stadthauses als Verwaltungs- und Vereinshaus, (4) die Unterstützung der freiwilligen Feuerwehren, speziell in Linda 2004 mit neuem Feuerwehrdepot, (5) die gezielte Rekonstruktion der Mittelschule BED und (6) Weiterführung der Stadtkernsanierung, (7) der Rückkauf der ortsansässigen Elitewerke aus der von Freiberg dominierten Wirtschaftsfördergesellschaft, (8) der Aufbau einer beispielhaften Seniorenbetreuung durch private Investoren, (9) Neubau eines Sportstadions an der Dammstraße sowie (10) seine durchaus stille Sympathie für Tradition und Vereinsarbeit, die er genau dann förderte, wenn es wirklich genug Eigeninitiative der Fordernden gab!

Menschen kommen und gehen. Auch Bürgermeister in Brand-Erbisdorf seit Stadtgründung 1834. Oberbürgermeister ebenso. Herr Zweig war mein Amtsvorgänger und ging nun für immer. Irgendwann werde ich ihm folgen.

Innerlich verneigen wir uns vor Volker Zweig als bereits im Ruhestand (i. R.) weilendes Stadtoberhaupt mit weitem Herz und kräftiger Hand. In Respekt und Demut sage ich ein stilles Dankeschön!

Dr. Martin Antonow
Oberbürgermeister