Hier sieht man den noch unregulierten Elbebereich am Ortseingang von Krippen um 1800 mit dem Fährhaus und dahinter ein längliches Gebäude mit einer Gemischtnutzung von Wohnen und Einlagern der Handelsgüter. In solchen Umgebindehäusern, die noch typisch für das damalige Ortsbild waren, sind slawische und fränkische Baustile verschmolzen.
Der noch dörfliche Marktplatz um 1920 mit der Vordermühle, dem Spritzenhaus der Feuerwehr und der wuchtigen Westseite des Erbgerichtes
Links unten das Kerndorf um 1800 mit dem hohen Gebäude des Erbgerichtes
Die neuen Dorfgründungen in der Zeit der bäuerlichen Kolonisation wurden von oben nach unten sinnvoll durchgeplant. Beim Abstecken der Herrschaftsgebiete stimmten sich die feudalen Grundherren mit ihren territorialen Nachbarn ab, um bereits im Vorfeld mögliche Spannungen untereinander weitgehend auszuschalten. Der Grundherr suchte mit einem befähigten und benannten Anführer der Neusiedler, dem Lokator, einen geeigneten Siedlungsplatz aus (vgl. MAAZ, 2017: 44f.). Er sollte einige grundlegende Voraussetzungen mitbringen, wie Ausbildung, Vermögen, Initiative, Menschenführung, Ideen und Organisationsgeschick. Schließlich war er der Macher vor Ort und somit das wichtigste vertraglich gebundene Bindeglied zwischen der Dorfgesellschaft und dem Grundherrn. Er wurde zum mächtigsten Mann im Dorf. Aus der Funktion des Lokators ging oft nahtlos das Amt des Erbrichters hervor.
Als Anreiz und Aufwandsentschädigung wurde mit einigen politischen und wirtschaftlichen Privilegien geworben, wie der Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit (bei Streitereien und Schlägereien), ein größerer Landanteil und der Befreiung von Abgaben und Diensten. Beim Wechsel des Grundherrn mussten die Vergünstigungen neu beantragt (belehnt = vererbt) werden.
Das Amt des Erbrichters erlosch im Königreich Sachsen 1838 mit der Einführung der Landgemeindeordnung. Diese aufgelöste örtliche Regierungsform hatte sich immerhin rund 600 Jahre bewährt. Das Krippener „Erbgericht“ wird um 1447 erstmalig mit dem „richter zcu Krippen“ erwähnt (vgl. MEICHE, 1991: 151f.).
Die Kernaufgabe des Krippener Lokators war es, geeignete Siedler dort sesshaft zu machen. Bauern konnten es kaum sein, weil die Tallage mit ihren schmalen Elbfluren und den steilen Seitenhängen wenig geeignet war. Ein Lokator ohne Siedlungsfläche? Eine solche Frage stellte sich beispielsweise für die Neugründungen der bäuerlichen Waldhufendörfer Reinhardtsdorf und Schöna auf den Ebenheiten überhaupt nicht.
Der Anlass, hier das Dorf Krippen zu gründen und zu entwickeln, lassen sich nicht mit einem landwirtschaftlichen Hintergrund erklären. Das Einmündungsgebiet des Baches in die Elbe und das Nebeneinander der Territorialmächte, das Königreich Böhmen und die Mark Meißen, schufen andere sozial-ökonomische Gegebenheiten für die Ansiedler. Es galt, für die Einwohner eine auskömmliche Lebensgrundlage zu bieten – mit beruflichen Tätigkeiten, die mit der Fischerei, dem Elbhandel mit Getreide, Holz, Salz, und Steinen, dem Schiffbau, der Holzgewinnung, der Steinbrecherei, dem Mühlengewerbe, der Zeidlerei und einer unbedeutenden Landwirtschaft zu tun hatten. Das spätere dörfliche Krippen wird in der Literatur auch als Marktflecken bezeichnet. Damit wird das Privileg ausgedrückt, mit Gütern zu handeln. Tatsächlich zeigte die wirtschaftliche Entwicklung städtische Elemente, wie zwei jährliche Märkte, einen Marktplatz, um 1445 den Namen „Crippyn, ein stetchyn“ (MEICHE, 1991: 150f.), das Segelschiff im Ortswappen als Symbol einer Blütezeit.
Eine strukturierte Dorfgründung und -entwicklung erforderte auch anfangs einen fähigen Lokator, vielleicht im Auftrag des Ordens. Es ist anzunehmen, dass bereits die hier lebende slawische Bevölkerung an diesem Prozess beteiligt war (vgl. MAAZ, 2017: 45). Wie das örtliche Verhältnis zwischen dem „Erbgericht“ und dem (älteren) „Hof“ geprägt war, ist nicht bekannt.
Welches Anwesen eignete sich als Standort für das Krippener Erbgericht? Das Filetstück war sicherlich zu dieser Zeit bereits vergeben. Dort hatte sich der „Krippener Hof“ etabliert, die Keimzelle des Dorfes. Trotz einiger Abstriche, wie die Hanglage und das fehlende Quellwasser, kam dieser gegenüberliegende Talausgang in die engere Auswahl. Die Hochwassergefahr durch die Elbe und der Platzmangel erzwangen den Bau des etwas höher gelegten Hauptgebäudes, wie es die Darstellung auch erkennen lässt.
Der gewählte Standort des Erbgerichtes an dieser Stelle deutet durchaus auf Elemente eines städtischen Konzeptes hin, wie die gelungene Einheit des Erbgerichtes mit dem Marktplatz, im Siedlungskern die Gruppierung der Wohnhäuser mit ihren Lagermöglichkeiten für Material- und Handelsgut, die zentral gelegene älteste Mühle (Vordermühle), der kurze Transportweg zum Umschlagsplatz an der Elbe, das Fährhaus mit seiner Kontrollfunktion des elbeseitigen Ortseinganges und die Fähre nach Postelwitz.
Zusammenfassung
In der Zeit nach 1130 kolonisierte der Deutschritterorden auch das Gebiet am Krippenbach. Als Keimzelle des Dorfes kann anhand einiger Indizien das Gelände des „Krippener Hofes“ angenommen werden. Ein Lokator (Dorfgründer) hat während der bäuerlichen Kolonisation um 1200 am Ausgang des Krippentales Auswanderer, vorwiegend Handwerker und Kaufleute, aus westlichen Gebieten angesiedelt. Das Territorium bot allerdings nur unbedeutende landwirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten. Die Elbe mit der Krippener Umgebung und als bedeutender Handelsweg war für mehrere Jahrhunderte lang die wichtigste Lebensgrundlage für die Einwohner. Dem Dorf mit städtischen Ansätzen im Grenzgebiet von Böhmen und Meißen gelang ein spätmittelalterlicher regionaler wirtschaftlicher Aufschwung.
Literaturnachweise
Maaz, Christian: Die Sächsisch-Böhmische Schweiz ihre Besiedelung und ihre Entwicklung bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts, Privatdruck, Dresden, 2017.
Meiche, Alfred: Historisch-Topographische Beschreibung der Amtshauptmannschaft Pirna, Dresden, 1927 (Reprint 1991).
Schober, Manfred: Die Mühlen der Sächsischen Schweiz. Linkselbisches Gebiet, Berg- und Naturverlag Rölke, Dresden, 2011.
Bildnachweise
Nach J. G. Jentzsch, Stich Von J. F.F. Bruder um 1820, Elbe bei Krippen, Bildausschnitt.
Richter, Ludwig; Blick von der Ostrau(er) Scheibe, Stich, 1823, Bildausschnitt.
Broschüre, 625 Jahre Krippen, Wappen und Marktplatz.
An dieser Stelle möchte ich mich bei Herrn Dr. Rolf Böhm für die hilfreichen historischen Landkarten von Krippen bedanken.
Ergänzungen/Hinweise
Zum Namen Hönelhof
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich der Name „Hönelhof“ durch, benannt nach dem bürgerlichen Besitzer des Gutes C. G. Hönel.
Zur Trinkwasserversorgung des „Hofes“
Ortsbekannt ist der zugängliche „Hofeborn“. Im Nachbarhaus F.-G.- Keller-Str. 17 ist ein Quellwasser führender Brunnenkeller vorhanden. Vor dem Haus Nr. 16b, auf der Fläche an der Ostseite des Hauses Nr. 16 sowie am Haus Nr. 15 und im Hof vor einer Garageneinfahrt sind zylindrisch gemauerte Brunnen bekannt, die verfüllt wurden. Die Anzahl der sechs Wasserstellen überrascht und ist auch ein Ausdruck der einstigen wirtschaftlichen Größe des „Hofes“. Der öffentliche „Hofeborn“ am Fuße des Hönelberges diente jahrhundertelang der Dorfbevölkerung als zuverlässige Trinkwasserquelle. Die linkselbische Talseite von Schöna bis zum Rietzschgrund (Krippener Gebiet) ist geologisch bedingt reich an Schichtquellen.
Eine Namensänderung – einst Hofemühle (?), jetzt Vordermühle
In verschiedenen Beiträgen, beispielsweise im Internet sind beide Mühlennamen nebeneinander veröffentlicht. In der sorgfältig recherchierten Literatur ist der erste Name nicht genannt (vgl. SCHOBER, 2011: 68f.). Bereits in der Zeit der Ortsgründung ist es durchaus vorstellbar, dass der adlige „Krippener Hof“ eine Mühle, die „Hofemühle“, nahe dem Erbgericht besessen und betrieben hat. Deshalb erscheint der Name schlüssig. In der künstlichen (?) Gefällestufe des Krippenbaches, wenige Meter unterhalb der „Fleischer“brücke, kann ein baulicher Überrest der mittelalterlichen Wehranlage für den Mühlgraben der ursprünglichen Mühle vermutet werden, der etwa parallel zum heutigen Bächelweg nach etwa 120 Metern den Mühlenbereich erreichte. Die überraschend großen und stark abgescheuerten Sandsteinquader in der Gefällestrecke sind durch die notwendigen Baumaßnahmen im Bachbett in der jüngsten Geschichte fast verschwunden.
Der höfische Mühlenbesitz könnte später gewechselt haben, denn 1474 wird ein Krippener „moller“ (Müller) erwähnt und 1548 erstmalig ein Erbrichter als Miteigentümer ohne die Nennung eines Mühlennamens. Siedlungstechnisch wäre der heutige Name „Vordermühle“ damals verfrüht gewesen, weil es noch keine weiteren Mühlen gab. Im Dorfalltag war es nachvollziehbarer, die späteren vier Mühlen nach ihrer Ortslage zu benennen, als nach ihren wechselnden Besitzern. So gab es die Vordermühle, die Mittelmühle, die „Hindermühle“ (=Grundmühle) und die Ober-Mühle. Letztere wurde ausnahmsweise durch ihre Besitzer (Schinke, Richter, Hering) geläufiger. Der Name „forder Mühle“ taucht erstmalig 1698 auf.
Bildliche Darstellung des Hofes
Die zwei gerahmten und eingeglasten Bleistiftzeichnungen mit der Nord- und Ostansicht des „Hofes“ aus der Zeit um 1800 waren ein gut gehütetes Familieneigentum des letzten Ehepaares Hönel. Diese Bilddokumente sind leider verschollen.
Trinkwasserversorgung des Erbgerichtes
Vom gegenüberliegenden Wirtschaftshof „Erbgericht“ ist keine Trinkwasserquelle bekannt. Wie dieser Standortnachteil gemeistert wurde, ist noch nicht erforscht.
Die Krippenbachmündung
Im Bereich der Krippenbachmündung fällt die Anhöhe, „die Ortwand“ (ein vergessener Name) aus Schwemmmaterial, auf. Bei kleinerem Elbehochwasser diente sie bis in jüngere Zeit als Ersatzanlegeplatz der Dampf-, später der Dieselfähre. Der strömungsarme Schatten hinter dem Schwemmfächer bildete einen Naturhafen mit einem Floßplatz und heißt auf der Karte von Odeleben 1825 die „Niederlage“. Hier befand sich auch eine Schiffswerft.
„Marktflecken“
Der Begriff „Marktflecken“ hat westliche Wurzeln und ist ein Hinweis auf die Herkunft der Siedler.
Privilegien des Erbrichters
In der Ortsgeschichte zum „Erbgericht“ (vgl. MEICHE, 1991:151) sind ergänzend weitere Sonderrechte des „Erbrichters“ genannt, wie Viehzucht, Viehschlachtung, Bäckerei, Bierbrauerei mit Ausschank und Verkauf, Branntweinverkauf, Gästeverköstigung, Handel mit Holz und Salz, Ziegelherstellung, Jagdrecht (Niederwild) und Fischerei.
Der elbseitige Ortszugang
Eine Fähre verbindet seit dem 15. Jahrhundert Krippen mit Postelwitz. Alle Fährrechte besaß in der langen Geschichte ununterbrochen Postelwitz. Das Krippener Fährhaus wird erstmalig 1830 erwähnt (vgl. MEICHE, 1991: 151 und 268). Der den Dorfeingang prägende Standort des Gebäudes, direkt an der Elbe gelegen, fällt auf. Auf einem soliden steinernen unterkellerten Fundament ist ein turmartiges Umgebindehaus aufgestellt. Man stelle sich die Situation bei Elbehochwasser mit Treibeis vor. Der eigentlich verfehlt ausgesuchte und leicht zerstörbare Standort kann nur mit der guten Übersicht über die Betriebsabläufe des Warenumschlages am Ortszugang erklärt werden. Das Gebäude muss vorrangig ein Geschäftshaus gewesen sein, ein Hafenamt mit einem Hafenmeister (?), also viel mehr als nur ein Fährhaus. Auf alten Stadtansichten von Tetschen (Decin), Königstein und Schandau lassen sich an den Warenumschlagsplätzen an der Elbe ebenfalls die exponierten Hafenämter entdecken.
Wir werden uns sicherlich wundern, wenn einige Orte in der Krippener Umgebung ebenfalls 2029 ihr 650-jähriges Jubiläum begehen. Ihre Namen werden auch in der eingangs genannten böhmischen Verpfändungsurkunde von 1379 aufgezählt. Dann könnte die Region in bester Feierlaune sein.