Flüchtlinge im 2. Weltkrieg an der Eisenbahnbrücke über die Mulde (Quelle: trolley-mission.de)
Beschuss der Flakstellung auf dem Wiesenberg in Altenbach: Ausschnitt aus dem Foto Nr. 2027 der Luftaufklärung der 3. US-Armee vom 10. April 1945 (Quelle: Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH)
Gewalt und Zerstörung, Flucht und Tod erlebten Millionen von Menschen in Europa während des Zweiten Weltkrieges und danach. Für Bennewitz und die umliegenden Ortschaften war besonders das Kriegsende eine dramatische Zeit. Zwar richteten die 1945 in der Gegend abgeworfenen Brandbomben keine Schäden an und auch beim Beschuss einer Flakstellung auf dem Wiesenberg in Altenbach waren keine Opfer zu beklagen, aber die von zwei Seiten herannahenden Fronten - von Westen Truppen der 1. US-Armee, von Osten Truppen der Roten Armee - sorgten für Angst und Chaos. Eine wichtige Rolle spielte die Mulde als Grenzlinie. So auch in Nepperwitz, das am 16. April 1945 von amerikanischen Truppen besetzt wurde. Auf der anderen Seite der Mulde hatten sowjetische Truppen Stellung bezogen. Da beide Seiten vereinbart hatten, dass gegenseitige Kontrollfahrten auf dem jeweils anderen Territorium möglich waren, durchfuhren sowjetische Patrouillen auch die Nepperwitzer Umgebung - und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Dabei kam es auch zu Gewalttaten.[1]
Noch am 16. April 1945 hatten Reste der Wehrmacht von Wurzen aus die Muldebrücken gesprengt, um den Truppen der 1. US-Armee, die am Morgen des gleichen Tages mit 17 Panzern Bennewitz erreichten, den Weg nach Osten und den aus Richtung Osten heranziehenden Flüchtlingsströmen den Weg gen Westen abzuschneiden. Am 18. April 1945 durchschwammen Kurt Krause und Richard Beutel aus Wurzen die Mulde und boten dem amerikanischen Kommandanten, der sich in Bennewitz in Lichtensteins Gut aufhielt, die kampflose Übergabe an. Durch die am 24. April zwischen Dr. Graebert und Major Victor Conley in Bennewitz, Haus Nr. 2 D, vereinbarte Kapitulation Wurzens konnten die Zerstörung der Stadt und großes menschliches Leid verhindert werden. [2]
Neben den Truppenbewegungen aus mehreren Richtungen kamen gleichzeitig über viele Wochen Flüchtlingsströme aus Richtung Osten an. In Bennewitz trafen zahlreiche Vertriebene aus der heuten polnischen Region um Milic ein. Nicht immer und überall waren die heimatlos Gewordenen willkommen. Es herrschte Platzmangel, Hunger und Not. Eines der dringlichsten Probleme war die katastrophale Ernährungslage. Lebensmittel waren streng rationiert. Um wenigstens die allernotwendigste Versorgung sicherzustellen, spendeten z. B. Geschäftsleute, Bauern und Handwerker an einem Tag 13.000 Mark, damit warmes Essen und Getränke ausgegeben werden konnten. Am 29. April war die Stromversorgung wieder hergestellt. Am 2. Mai kam ein erster Kohletransport von Böhlen.[3] Aber es herrschte vielerorts weiter Mangel. Am 20. Mai 1945 mussten beispielweise alle Bürgermeister des Landkreises um 7 Uhr morgens beim Landkreiskommandanten Major Andrew F. Clark in Grimma erscheinen, der die Beschlagnahmung von Baumaterial befahl.[4] Auch Fahrzeuge und Maschinen (bis hin zu Schreibmaschinen) sowie Vieh und Lebensmittel wurden in den Dörfern erst von amerikanischen und danach sowjetischen Besatzungstruppen konfisziert. Letztere besetzten gemäß Potsdamer Abkommen nach dem Rückzug der amerikanischen Truppen ab dem 1. Juli 1945 Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Auch Bennewitz gehörte danach zur sowjetischen Besatzungszone.
Wehrmachtsangehörige, Soldaten der US- und der Roten Armee, Flüchtlinge und Heimkehrer - in dieses Menschengewirr mischten sich am Kriegsende auch unzählige Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter, die zurück in ihre Heimat wollten. Sie hatten über Jahre in deutschen Betrieben unter erbärmlichen Bedingungen schuften müssen. Auch in Bennewitz und Umgebung war das der Fall, bspw. in der Hülsmannschen Tonwarenfabrik. Besser erging es angeblich den in der Landwirtschaft eingesetzten polnischen und französischen Zwangsarbeitern. Traumatische Ereignisse haben sich in das Gedächtnis all jener eingebrannt, die im April 1945 miterlebten, wie drei Tage lang Zwangsarbeiter in den sogenannten Todesmärschen - aus verschiedenen Lagern kommend - entlang der F6 von Leipzig in Richtung Wurzen getrieben wurden. Darunter waren auch Kolonnen aus den Leipziger HASAG-Werken, wo Zwangsarbeiter unter menschenunwürdigen Bedingungen in der Rüstungsproduktion arbeiten mussten.[5] Viele tausend Häftlinge überlebten die Lager, Zwangsarbeit und Todesmärsche nicht. Der 2. Weltkrieg hinterließ tiefe Wunden in den Orten, in den Familien und in der Gesellschaft insgesamt.
[1] Armin Bergmann und Fritz Friedrich in einem LVZ-Artikel von 2014, entnommen aus der Nepperwitzer Ortschronik unter https://www.gemeinde-bennewitz.de/portal/seiten/1939-1945-nepperwitz-im-zweiten-weltkrieg-900000305-22940.html
[2] Volker Jäger: Chronik Bennewitz
[3] dito
[4] Stephen Ransom: Zwischen Leipzig und der Mulde - Flugplatz Brandis 1935 - 1945
[5] Zu diesen gehörten auch neun junge Frauen, deren Schicksal in dem jetzt im Sax-Verlag auf Deutsch erschienenem Buch „SIE WAREN Neun“ von Gwen Strauss akribisch rekonstruiert wurde. Ihr Leidensweg führte sie während des Todesmarsches auch durch Bennewitz Richtung Osten, bis ihnen kurz vor Oschatz die Flucht gelang. Die Übersetzung ins Deutsche, initiiert von Ina Adler und Dr. Katharina Löffler aus Altenbach, ist ein generationsübergreifendes Projekt mit der Jungen Gemeinde Wurzen.