Seit über 100 Jahren, angesichts des damals allen noch gegenwärtigen schlimmen Leids, welches der erste Weltkrieg mit sich gebracht hatte, gedenken Mitte November zum Volkstrauertag an vielen Stellen und Denkmalen in Deutschland die Bürgerinnen und Bürger der Opfer von Gewalt und Krieg.
Zwischen 1945 und 1989 war dieser Gedenktag im Osten Deutschlands praktisch aus der Erinnerung verschwunden.
Seit 1994 - damals mit der Einweihung der Namenstafeln für die Gefallenen im Zweiten Weltkrieg am Denkmal in Weigsdorf-Köblitz - finden am Volkstrauertag auch wieder offizielle Kranzniederlegungen der Gemeinde statt. Diese Tafeln waren damals durch den früheren Weigsdorf-Köblitzer Unternehmer Heinz Kalauch, gemeinsam mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern aus Weigsdorf-Köblitz, in jahrelanger Fleißarbeit hinsichtlich der Namen erkundet und durch eine Spendensammlung mit Unterstützung der Gemeinde finanziert worden.
Die diesjährige offizielle Kranzniederlegung der Gemeinde, die, wie schon in den letzten Jahren, im Rahmen einer gemeinsamen durchgeführten Andacht der Kirchgemeinde mit der Gemeinde Cunewalde stattfand, und zu der Bürger und Gemeinderäte gleichermaßen eingeladen waren, fand am Denkmal im Zieglertal statt, welches vor genau 100 Jahren - noch vor dem Denkmal an der Kirche - eingeweiht wurde.
Pfarrer Dr. Schröder spannte in eindrucksvollen Worten einen Bogen von der Geschichte des Volkstrauertages bis hin zu Kriegsereignissen und politischen Debatten rund um Bundeswehr und Musterung.
Umrahmt wurde die Veranstaltung durch den Posaunenchor der Kirchgemeinde.
Vielen Dank für die so würdevolle Ausrichtung und an die anwesenden Gäste und Gemeinderäte.
Nachfolgend die Gedenkrede von Pfarrer Schröder zum Volkstrauertag:
Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker. Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren. Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.
Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung.
Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind. Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.
Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz. Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Bürgermeister Martolock, sehr geehrte Gemeinderäte, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Andacht,
in diesem Jahr steht hier und heute ein doppeltes Jubiläum an. Am 1. März 1925, also vor 100 Jahren, wurde in Deutschland, damals in der Weimarer Republik der erste offizielle Volkstrauertag begangen. Damals stand vor allem die Erinnerung an die vielen deutschen Soldaten im Vordergrund, die im Ersten Weltkrieg oft in jungen Jahren gestorben waren; Dieser katastrophale Krieg, der allein hier im Zieglertal 17 Leben auf barbarische Weise beendet hat, lag ja gerade einmal ein paar wenige Jahre zurück.
Außerdem wurde auch dieses Denkmal hier im Zieglertal vor genau 100 Jahren, am 24.5.1925 errichtet und eingeweiht. Man traf sich damals „pünktlich um 14 Uhr“, so heißt es auf der Einladung, an der Sachsenhöhe, gestaltete dann einen Festumzug hierher, es gab Musik verschiedener Chöre, Reden unterschiedlicher Leute, z.B. des Architekten und eine Kranzniederlegung, bevor man dann den Abend in der Sachsenhöhe ausklingen ließ. Damals waren der Schmerz und das Trauma des Krieges noch sehr präsent. Man kannte die vielen jungen Männer, die ihr Leben in Verdun, an der Somme oder an der Ostfront gegen Russland verloren hatten, man kannte sie als Mitschüler, als Kinder, die um die Ecke gespielt hatten oder die man selbst großgezogen hatte.
Solcher Schmerz, solche Traumata sind uns heute, 100 Jahre später hier in Deutschland, fern – Gott sei Dank!
Was beschäftigt uns also heute, am Volkstrauertag des Jahres 2025? Wohin schweifen unsere Gedanken, wenn es um Krieg und um Trauer über die Verluste und Opfer davon geht?
In dieser Woche hat sich unsere Bundesregierung gerade darauf geeinigt, wie die Vergrößerung der Bundesweg gelingen soll. Um Freiwillige wird weiterhin geworben, aber wenn das nicht genügt, gibt es Mechanismen, die auch wieder zur stärkeren Verpflichtung zum Militärdienst greifen. Zugleich gibt es wieder eine verpflichtende Musterung für alle jungen Männer, die ab dem 1. Januar 2008 geboren sind, also nächstes Jahr 18 werden.
Es ist offensichtlich, dass wir in einer Phase der zunehmenden Militarisierung unseres Landes leben. Nachdem das Militärische über viele Jahre hinweg eine absolute Nebenrolle spielte und man auch das Gefühl haben konnte, so richtig wichtig ist die Bundeswehr eigentlich gar nicht, wird nun kräftig und mit viel Geld aufgerüstet, gemustert und nach mehr Soldaten gesucht. Die Armee, Waffen und damit das Thema einer möglichen kriegerischen Auseinandersetzung rücken stärker in die Mitte der Gesellschaft; sie sind in der politischen Priorität deutlich sichtbar einige Stufen nach oben gerückt. Die Hintergründe dafür sind bekannt.
Ich bin wie viele andere mit dem Gefühl aufgewachsen, dass Krieg in Europa eine Sache von vorgestern ist. Dass wir in einer zivilisierteren Epoche leben, dass man heute miteinander am Verhandlungstisch Probleme klärt; dass ein Krieg in Zeiten der wirtschaftlichen Verflechtungen völlig abstrus ist.
Spätestens seit dem 24. Februar 2022, also bald seit 4 Jahren und damit der Zeitdauer des Ersten Weltkriegs ist das leider leider alles Geschichte. Die skizzierten Überzeugungen und Hoffnungen haben sich in Luft aufgelöst. Krieg ist in Europa nicht nur wieder denkbar, er ist tödliche und deprimierende Realität im Osten des Kontinents, wobei wir, was hybride Kriegsführung angeht, eigentlich längst schon mittendrin sind – Stichwort Sabotage, Spionage und Drohnen.
Auch was vor einigen Wochen passiert ist, wäre vor wenigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen, es ist im Strom der Nachrichten fast ein wenig untergegangen: Erst Anfang Oktober stellten sich die Chefs der Deutschen Geheimdienste BND, MAD und Verfassungsschutz gemeinsam vor die Öffentlichkeit und sagten eigentlich Unfassbares: Man müsse mit einem russischen Angriff auf die Nato nicht erst im Jahr 2029 rechnen, sondern schon früher. Das Jahr 2029 wird sonst u.a. vom Verteidigungsminister immer wieder als das Jahr genannt, in dem Russland bereit zu einem Angriff auf die Nato, also z.B. die baltischen Staaten sein könnte.
Das Gespenst eines großen Krieges, in dem noch mehr Länder, und auch die ganze Nato als Bündnis involviert ist, ist zurückgekehrt und es ist – das lässt sich nicht verdrängen – traurigerweise absolut real.
Wenn heute nicht nur hier, sondern an vielen Orten in unserem Land Kränze an Kriegsdenkmälern niedergelegt werden; wenn sich heute hoffentlich viele Menschen an das ferne Grauen und den nur zu erahnenden Schmerz aus den Zeiten nach den beiden selbstzerstörerischen Kriegen des letzten Jahrhunderts erinnern, dann scheint mir daraus vor allem eine Aufgabe zu erwachsen.
Wo damals Raum für Trauer geboten war, da muss man sich heute wach und aufmerksam der neuen Kriegsgefahr stellen. Wo damals an den Denkmälern geweint wurde, da muss heute Aktivität und Engagement entstehen. Wo man damals auf die Folgen des Krieges zurückgeblickt hat, da muss heute viel Energie und Leidenschaft in die Erhaltung und Wiederherstellung eines hoffentlich dauerhaften Friedens gesteckt werden.
Die Worte der biblischen Schriften geben keine Anleitung zu tagespolitischen Themen; sie helfen uns, Worte für grundsätzliche Werte und Orientierungen zu finden. Der Psalm 85, von dem wir vorhin einen Teil gehört haben, ist ein etwa 2700 Jahre altes Lied (Psalmen wurden ursprünglich gesungen) über den so wichtigen, so schönen und immer wachzuhaltenden Traum vom Frieden, der nicht einfach nur ein Traum, sondern auch die Aufgabe einer jeden Generation ist:
„Gottes Hilfe ist all denen nahe, die ihn ehren und ihm gehorchen; bald wohnt seine Herrlichkeit wieder in unserem Land. Dann kommen Güte und Treue zusammen, Recht und Frieden küssen einander. Die Treue sprießt aus der Erde hervor und das Recht blickt vom Himmel herab. der HERR selber gibt Gelingen und unser Land gibt reichen Ertrag. Das Recht geht dem HERRN voraus und bereitet ihm den Weg.“
Auffällig in diesem Lied ist die Verknüpfung von Frieden und Recht. In Bilder gefasst wird darin die ganze enge Verschränkung und unauflösliche Verbindung des Rechts und des Friedens: „Recht blickt vom Himmel herab; Recht und Frieden küssen einander.“
Im Abstand von einigen Jahren werden von der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem Zusammenschluss der einzelnen Landeskirchen sog. Denkschriften zu verschiedenen Themen veröffentlicht. Die letzte zum Frieden stammte von 2007, seit einigen Tagen ist nun ganz frisch die neue EKD-Friedensdenkschrift veröffentlicht.
Darin machen sich die Autoren Gedanken darüber, was aus der christlichen Tradition heraus heute zum Frieden gesagt werden kann, um so Orientierung zu geben. Man spürt dieser Schrift an, dass sie vor dem Hintergrund eines heißen, realen Krieges geschrieben wurde und man sieht, wie darum gerungen wird, wann Gewaltanwendung legitim, wenn nicht sogar notwendig ist.
So wird der Pazifismus zwar als individuelle Haltung und Orientierung an absoluter Gewaltfreiheit gewürdigt; als politische Theorie, z.B. im Blick auf eine ganze Gesellschaft aber abgelehnt. Die Autoren der Denkschrift haben diesmal im Blick auf das Ziel des Friedens vor allem den „Schutz vor Gewalt“ in den Mittelpunkt gerückt. Frieden, so schreiben sie, gibt es nur, wenn Menschen auch wirksam vor Gewalt geschützt werden können. Das erfordert als letztes Mittel auf einem Weg zum Frieden auch Gegengewalt, wenn sich nur so ein gewalttätiger Aggressor stoppen lässt. Zugespitzt – und das ist jetzt meine Zuspitzung – kann man sagen: Wer sich aus einer Gewaltsituation heraushält, sei es aus einer pazifistischen Haltung oder weil er Angst um seinen eigenen Frieden hat, trägt nicht zum Frieden bei, er überlässt das Opfer dem Gewalttäter. Oder anders gesagt: So sehr man von einer Welt der Gewaltfreiheit träumen muss und träumen darf, so naiv ist es in einer Welt aktiver Gewalt, grundsätzlich selbst darauf zu verzichten.
Mir drängt sich an diesem Punkt immer das Bild einer Schulklasse auf: Wenn ich merke, dass in meiner Klasse ein größerer Junge einen kleineren zusammenschlägt, dann kann ich sagen: Die beiden sollen das unter sich ausmachen. Ich kann aber auch auf die Idee kommen, den Schwächeren zu unterstützen und zu schützen – und zwar nicht nur, weil ich sonst evtl. der Nächste sein könnte; sondern einfach weil ich dagegen bin, dass in meiner Schulklasse das Recht des Stärkeren gilt.
Die enge Verknüpfung von Frieden und dem Schutz des Rechts eines Einzelnen, aber auch einer ganzen Nation wird nicht nur im Psalm, sondern auch in der Denkschrift hervorgehoben: „Gerechter Friede entsteht erst dort, wo neben der Waffenruhe auch Freiheit, Gerechtigkeitsperspektiven und ein friedensfördernder Umgang mit Pluralität aufscheinen.“
Und so sehe ich den heutigen Volkstrauertag als einen Tag, an dem der Traum vom Frieden nicht nur wachzuhalten ist, sondern auch in konkrete Aktivität und Engagement für diesen Traum münden soll. In Verbindung zur göttlichen Quelle tief in unserer Seele, ob man sie Gott nennt oder einfach von den Ressourcen der Liebe und des Friedens in der eigenen Seele spricht.
„Güte und Treue kommen zusammen, Recht und Frieden küssen einander. Die Treue sprießt aus der Erde hervor und das Recht blickt vom Himmel herab.“
Amen.