Seit 1977 besteht die Partnerschaft zwischen den Posaunenchören Neuenkirchen in Niedersachsen und Dittersbach. Erstmals besuchten die Neuenkirchener Bläser Dittersbach am Wochenende 6.-9. Oktober. An die Bedingungen in den ersten Jahren bis zur Wiedervereinigung erinnerte sich 2013 der ehemalige Pfarrer Horst Rasche (gest. 2022).
Mit meinem Dienstantritt als Pfarrer der Kirchgemeinde Dittersbach übernahm ich 1982 auch einen Teil der Verantwortung für die Fortsetzung der Partnerbeziehungen zwischen den Posaunenchören Neuenkirchen und Dittersbach. Als Pfarramtsleiter war ich vor allem verantwortlich für die Einreiseformalitäten und die damit verbundene Antragstellung bei den staatlichen Stellen.
Mein Vorgänger Albrecht Gühne hatte bei den Staatsorganen die Möglichkeit der Gruppeneinreise durchgesetzt. Er informierte mich darüber, wie zu verfahren war.
Meine Aufgabe bestand nun darin, für alle einreisewilligen Bläserinnen und Bläser aus Neuenkirchen einen Antrag in je doppelter Ausführung auszufüllen und mindestens 4 Wochen vor dem Termin einzureichen. Dabei durfte ich die Kirchgemeinde nicht als Gastgeber nennen, sondern musste meinen Privatnamen angeben. Diese Anträge hatte ich beim Rat des Kreises in Sebnitz persönlich abzugeben.
Bei der Abgabe der Anträge hatte ich meist nicht nur mit der für Kirchenfragen zuständigen Sekretärin Frau Rehm zu tun, die die Anträge entgegennahm, sondern wurde von Stasi-Major Schierz ins Gespräch genommen. Ich musste versichern, dass die Einreise des westlichen Posaunenchores nicht missbraucht wurde zur Vorbereitung der illegalen Ausreise von Gemeindegliedern. Das war für mich nicht einfach, weil eine Einreisegenehmigung für die Neuenkirchener davon abhängig war, dass die Stasi mir vertraute.
In meinen Stasiakten ist zu lesen: "Aus der Kenntnis der bisherigen Besuche ist mit einem Missbrauch der geplanten Reise nicht zu rechnen. Der Kandidat (Rasche) garantiert einen störungsfreien Ablauf." Konnte ich das wirklich? Als der Bläser Roland M. illegal in die Bundesrepublik übergesiedelt war, ließen die Probleme nicht auf sich warten.
Ich weiß heute nicht mehr, ob die Ablehnung der Einreise 1985 mit der illegalen Ausreise [von] Roland M. zu tun hatte, ob das also davor war. Jedenfalls gab es 1985 die einzige Ablehnung einer Einreise aus Neuenkirchen. Es gab aber im Folgejahr den folgenden Vorfall: Die Bläserinnen und Bläser mussten bei ihrem Grenzübertritt die Instrumente abgeben. Dies wird in den Stasiakten so beschrieben: "Im Oktober 1986 wurde die Einreise des Chores genehmigt. Durch die GÜSt (Grenzübergangsstelle – B.H.) wurden jedoch die Instrumente zeitweilig eingezogen und hinterlegt, da keine staatliche Genehmigung für einen Auftritt vorlag. Der Auftritt in der Kirche erfolgte dennoch, da Instrumente kurzfristig herbeigeschafft wurden."
Nach der Ablehnung der Einreise 1985 haben wir im Posaunenchor überlegt, was zu tun ist, damit nicht erneut eine Ablehnung erfolgt. Ich schlug vor, dass Wolfgang Eisold mich zu einem Gespräch beim Rat des Kreises begleitet. Ich habe dann mit der Sekretärin für Kirchenfragen Frau Rehm für den 10. April 1986 ein Gespräch in Sebnitz vereinbart, ihr aber nicht vorher mitgeteilt, dass ich in Begleitung komme.
Die Stasiakten schildern diesen Besuch folgendermaßen: "Zum genannten Zeitpunkt erschien der Kandidat an der Hauptwache des VPKA Sebnitz. In seiner Begleitung befand sich ein Herr EISOLD. Diese neue Situation wurde telefonisch dem Genossen Major Schierz mitgeteilt. Es wurde entschieden, dass von der vorgesehenen Kontaktaufnahme Abstand genommen wird." Schierz hatte also wieder mit mir reden wollen, das aber sollte niemand wissen!! Natürlich aber wussten Wolfgang Eisold und andere davon, auch Superintendent Günther hatte ich darüber informiert.
In den folgenden Jahren gab es keine Probleme. 1987 reisten 10 Neuenkirchener ein.
1988 waren 9 Neuenkirchener unsere Gäste beim 25-jährigen Jubiläum des Dittersbacher Posaunenchores. Aus triftigem Grund mussten wir darauf verzichten, im Bericht über die Geschichte des Posaunenchores die Partnerbeziehung zu Neuenkirchen zu erwähnen.
Beim letzten "einseitigen" Besuch 1989 hatten wir 12 Gäste aus Neuenkirchen. Sie mussten sich wie auch die Jahre davor im Hausbuch eintragen ... Und sie mussten sich in der polizeilichen Meldestelle (die ersten Jahre in Stolpen, später in Sebnitz) persönlich anmelden.
Das Jahr 1989 brachte die Befreiung von all diesen Schwierigkeiten und endlich auch die Möglichkeit der gegenseitigen Besuche. Direkt nach dem Fall der Mauer am 9.11.1989 bekamen wir eine spontane Einladung nach Neuenkirchen. Es war ein für uns alle unvergessliches Erlebnis, über den 1. Advent 1989 das erste Mal gemeinsam unsere treuen Freunde in Neuenkirchen zu besuchen.
Seitdem finden die jährlichen Besuche abwechselnd in Neuenkirchen und in Dittersbach statt.
Abschließend möchte ich feststellen:
Die meisten kirchlichen Ost-West-Partnerbeziehungen aus den Zeiten der deutschen Teilung gibt es heute nicht mehr. Sie hatten sich damit erledigt, dass nun der Reiz der Grenzüberwindung fehlte. Der tiefen Freundschaft zwischen unseren beiden Chören aber war dieses Schicksal nicht beschieden.
Es lebe die Partnerschaft der Posaunenchöre Neuenkirchen und Dittersbach! Ich wünsche ihr Gottes Segen.