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Wesenitztaler Landbote – Amtliches Mitteilungsblatt der Gemeinde Dürrröhrsdorf-Dittersbach
Ausgabe 6/2023
Wissenswertes und Unterhaltsames
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Das Märchen von „Schönhöhe“ (2001)

Es begann vor 40 Jahren mit einem Brief an den „Besitzer“ des Ferienheimes und Turmes auf der Schönen Höhe, dem VEB Elektrokeramik Berlin, in dem ich mich nach dem Zustand des Turmes erkundigte und anfragte, was zu tun sei, um den seit 11 Jahren geschlossenen Turm wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Die Antwort war ernüchternd: „In Beantwortung Ihres Schreibens vom 22.06.83 zum baulichen Zustand des Turmes im Ferienobjekt „Schöne Höhe“ möchten wir Ihnen Folgendes mitteilen: Wir sind über den künstlerischen Wert und den gegenwärtigen Zustand des Turmes informiert. Jedoch sind wir als Betrieb weder in der Lage Renovierungs- bzw. Rekonstruktionsarbeiten an diesem Projekt durchzuführen, noch die anfallenden Kosten zu tragen.“. Trotzdem gelang es, den Turmsaal mit seinen Fresken am 4. Mai 2001 wieder der Öffentlichkeit zu übergeben. Meine damalige Festrede begann mit einem Märchen. Verstehen Sie dessen tieferen Sinn?

Gegrüßet seid mir edle Herrn, gegrüßt ihr, schöne Damen!

So hätte Sie, werte Gäste aus nah und fern und liebe Freunde der „Schönen Höhe“ bei Dittersbach, vielleicht der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe begrüßt. Diese Worte jedenfalls legt er seinem Sänger in der gleichnamigen Ballade in den Mund. Heute, 200 Jahre später, haben wir einen anderen Wortschatz und so begrüße ich Sie auf das herzlichste hier und heute zur Einweihung des – wie Quandt es nannte - „Belvedere Schönhöhe“, des Aussichtsturmes „Schöne Höhe“ oder einfach nur kurz der „Schönen Höhe“ nach erfolgter Restaurierung der Fresken im Turmsaal.

Der Erbauer des Turmes, der Kunsthistoriker und –Mäzen Johann Gottlob von Quandt schrieb einmal seinem Jugendfreund und Zögling, dem Maler Julius Schnorr von Carolsfeld: "Erinnern Sie sich noch, wie ich ... vor Freude über ein Kunstwerk, welches wir zusammen sahen, einen Luftsprung machte und mir in die Haare fuhr, worüber Sie lachten?" So ähnlich wird es dem einen oder anderen von uns auch heute gehen. Ob er nun einen Luftsprung macht, mit offenem Mund von einem Fuß auf den anderen tritt oder sich ganz still zurückzieht und die Fresken betrachtet – der Grundeindruck wird sein: „wunderbar“. Nun stellen Sie sich aber bitte vor, was einer denken muss, der den Freskensaal vor nunmehr 18 Jahren betrat, für die Öffentlichkeit gesperrt, da der Putz von der Decke fiel, genutzt als Flaschenlager, die Unterzüge weggefault und deshalb mit Holzstangen abgestützt, Fresken bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Was denkt einer, der eine Woche nach Pfingsten 1984 mit den ersten Arbeiten im Turmsaal und an der maroden Treppe begann, mit dafür verantwortlich zeichnete, dass der Turm 1987 innerhalb einer Geburtstagsfeier für einen Junker wieder als Aussichtspunkt eröffnet werden konnte und die weitere Geschichte intensiv mit verfolgte und aktiv begleitete. Was denkt dieser Mensch? Ich kann Ihnen das sagen, denn ich rede von mir und den Mitstreitern „der ersten Stunde“. Da erfährt das „wunderbar“ noch eine Steigerung und wird zum „märchenhaft“. Und „märchenhaft“ ist genau das richtige Stichwort, denn Sie wissen, dass das Märchen auf der Schönen Höhe eine besondere Rolle spielt:

Unsere Geschichte wäre dann das Märchen von Thymus, dem Tyrannen von Dittersbach, und seiner Liebsten, die auf einem Berge bei Dittersbach wohnte. Dieser Ort lag hinter den hohen Brücken, bei den Zwergen, die unweit von „Schönhöhe“ ihre Höhle hatten und einen Schatz bewachten. Der Herrscher von Dittersbach hatte eine besondere Beziehung zu der Schönheit, weil sie ihn an einen von ihm hochverehrten Freund und Dichter erinnerte. Nachdem der Herrscher gestorben war verlosch das Interesse an der Schönheit nach und nach. Sie geriet ganz in Vergessenheit, als man sich auch an den alten Herrscher von Dittersbach nicht mehr erinnern sollte. Das wollten die neuen Herrscher so. Und das Unfassbare geschah: Irgendwann war sowohl der Tyrann von Dittersbach als auch die Schönheit vergessen. Hinter verschlossenen Türen harrte sie des Kusses, der sie wieder wachmachen und in die Herzen der Bewohner von Dittersbach bringen sollte. Immer wieder kamen Wanderer, wollten den Turm stürmen, drückten sich die Nase platt an den Fenstern des Turmes, in dem die Schönheit gefangen war und schlief. Irgendwann aber kamen Leute von Dittersbach herauf, die hatten es satt, dass ein Wunder geschehe. Sie rückten mit 30 TDM in der einen und Hammer und Meißel in der anderen Hand an. Aber was wollten sie damit, das war doch kein Werkzeug, das unserer Schönheit würdig war, damit konnte man sie doch nicht wecken oder pflegen! Die Neuzeit-Ritter hatten einen anderen Plan. Sie wollten mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, das Umfeld der Schönheit so gestalten, dass sich die Bewohner von Dittersbach und ihre neuen Herrscher wieder an die Schönheit erinnerten und die neuen Herrscher unter Druck setzten. Und so bauten die Leute eine neue Treppe und machten damit den Turm wieder begehbar, schrieben sich die Finger wund in den Journalen, machten Musik am Turm, um Interessenten anzulocken und schafften es so, dass sich die neuen Herrscher an den Thymus erinnerten und sogar seinen Geburtstag feierten. Es sah so aus, als könnte die Schönheit bald wiedererweckt werden. Da ging ein großer Sturm durch Europa und änderte alles. Die Herrscher wechselten und alle hatten plötzlich andere Probleme. Schlimmer noch, eine treue Hand legte sich auf das Gefängnis der Schönheit. Diese Hand verhinderte, dass unsere Schönheit erweckt werden konnte. Später wechselte der Besitzer der Hand, es war jetzt die Hand eines Riesen, der in der Nähe wohnte. Er streckte noch seine zweite Hand nach Dittersbach aus, die geöffnet darauf wartete, dass man eine größere Menge Geld hineinlege. Nur unter dieser Bedingung war der Riese bereit, seine andere Hand vom Turm zu nehmen. Die Dittersbacher wurden sich klar darüber, dass die Zeit der Alleinkämpfer vorbei ist. Also schlossen sie sich zusammen in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, gaben sich den Namen des alten Dittersbacher Herrschers und kämpften gemeinsam, ein bisschen gegen den Riesen, dass der seine Hand nicht so weit aufhält und viel darum, dass die neuen Dittersbacher Herrscher die Schönheit erkannten, sich ihrer bewusst wurden und die Erweckung einleiteten. So einfach wie bei Dornröschen war es nicht. Ein Prinz und sein Kuss allein reichten nicht. Dukaten mussten her. Das Vorhaben gelang, weil viele sich plötzlich einig waren. Die einen erinnerten sich, dass Thymus in Dittersbach schon vor fast 200 Jahren eine Sparkasse gründete, die anderen spendeten Dukaten, weil sie von der einzigartigen Schönheit beeindruckt waren und wieder andere fühlten sich für die Schönheit verantwortlich, weil sie Thymus ehren wollten. Und die Schönheit wurde wieder erweckt, erstrahlt in altem Glanz und alle stehen staunend vor ihr, ein „märchenhaft!“ auf den Lippen.

So ähnlich hört sich das Märchen von der Schönen Höhe und seiner Schönheit, dem Saal mit Fresken zu Goetheballaden, an.

Die Interpretation dieses Märchens, also der zweite Teil der Festrede von 2001, erfolgt in einer der nächsten Ausgaben des Landboten.

Bernd Heinrich