Wer kennt das nicht. Ein Termin wurde vergessen, der Handwerker kam trotz fester Zusage nicht oder der Bus fuhr einem vor der Nase weg. Alles Gründe, um kräftig zu schimpfen, was sehr oft mit einem lautstarken Fluchen einhergeht. Das Fluchen ist oft Ausdruck einer inneren emotionalen Spannung, die sich entladen muss, damit man nicht sprichwörtlich platzt. Das Fluchen kann uns Erleichterung bringen, kann aber ebenso Konflikte verschärfen und gegeben falls auf die Spitze treiben. Dennoch ist das Fluchen über oder auf etwas irgendwie schon lange Bestandteil unserer Sprache. Der richtige Ton und das richtige Maß gehören im wahrsten Sinne des Wortes dazu. Ansonsten kann es ganz schnell gemein, vulgär, zumindest aber unhöflich werden.
Ich möchte Sie, liebe Leser, gern etwas mit dieser "Alltagserscheinung" unterhalten.
Dabei möchte ich mit Ihnen zum Beispiel Folgendes klären:
| - | Welche Bedeutung hat das Fluchen in unserem Leben? |
| - | Gibt es einen Unterschied zwischen dem Fluch in seiner ursprünglichen Bedeutung und der Praxis der Flucherei? |
| - | Geziemt es sich für einen gebildeten Menschen, zu fluchen ... und was sagt die Geschichte dazu? |
| - | Gibt es Flüche berühmter Leute? |
| - | Welche davon gingen in die Geschichte ein? |
| - | Wie veränderten sich das Fluchen im Laufe der Jahrhunderte? |
Zunächst bleibt festzuhalten, dass es tatsächlich einen Unterschied zwischen dem Fluchen (der verbalen Aussprache) und dem Fluch in seiner eigentlichen Bedeutung gibt.
Das Fluchen leitet sich vom Wort "Fluch" ab, also vom "Verfluchen", indem ich jemanden etwas Böses wünsche oder dass ihm ein Unheil wiederfahren solle. Also nicht die "feine englische Art".
Das Verfluchen wird auch gern als "klassischer Schadenszauber" bezeichnet und gehört in verschiedenen Glaubensrichtungen und Kulturen zu einer Form "sozialer Bestrafung". Jemanden mit einem Fluch zu belegen hatte zugleich das Ziel, den Adressaten zur „Sühne“ zu bewegen. Dies ist wohl eher nicht mehr zeitgemäß, denn es glaubt heutzutage kaum noch jemand an den Zusammenhang zwischen dem "Schadenszauber" (dem Fluch) und dem eingetretenen Resultat.
Das Fluchen hat aber eine zweite Bedeutung: Es bezieht sich auf das Verwenden "deftiger, mitunter auch vulgärer" Begriffe oder Redewendungen, mit denen wir versuchen, unseren Ärger abzubauen und eine Konfliktsituation zu lösen.
Ob dabei ein Fluch als unangemessen, vulgär oder gar beleidigend angesehen wird, ist dem Zeitgeist geschuldet.
Anja Stiller schreibt in ihrem Buch „Hundsfott! - Fluchen mit den Klassikern“ dazu Folgendes:
„Welche Wörter Menschen zum Fluchen benutzen, hat in erster Linie mit den Tabus der Gesellschaft zu tun, in der sie leben. Jede Zeit, jeder geographischer Raum und sogar jede Sozialschicht hat ihre eigenen Verbote und wer flucht, verstößt genau gegen die dort herrschenden Tabus. Das macht den `Reiz` des Fluchens aus, und darin liegt sogar der `Gewinn` für den Fluchenden. Denn zu fluchen ist nicht peinlich für die Umwelt (und oft genug so nur später auch für den Fluchenden selbst), … Es hat auch einen Nutzen: Wir bauen damit spontan Stress und Wut ab.“ (1) — (S. 21)
Welche Art von Begriffen, Wörtern oder Redewendungen letztlich beim Fluchen verwendet werden, bezeichnet Anja Stiller im oben genannten Buch wie folgt:
"Als Schimpfwort kann alles verwendet werden. Selbst so positiv besetzte Begriffe wie ˋBlumeˋ oder neutrale Wörter wie `Eimerˋ oder ˋTopfˋ können zu Schimpfwörtern werden, wenn wir sie entsprechend emotional aufladen. Umgekehrt heißt das auch, dass nur die wenigsten Wörter von Anbeginn an als wirkliche Schimpfwörter entstanden sind. Selbst unser klassisches ˋScheißeˋ bezeichnet ja zunächst einmal nur ganz neutral ein Stoffwechselendprodukt. Zum Schimpfwort in allen Varianten und Zusammensetzungen wird es erst, wenn wir es im entsprechenden Kontext oder mit dem Ziel verwenden, uns selbst abzureagieren oder jemand anderen zu beleidigen" (2) — Seite 24/25
Mit dem häufig verwendeten Begriff "So eine Scheiße" sind wir auch schon bei den Kategorien, aus denen unsere "Fluchwörter" kommen.
Der Fluchende kann sich dabei aus einem breit gefächerten „Register“ bedienen. Hier nur eine kleine Auswahl:
| - | Dreck, Mist, ... | aus dem Bereich der "Fäkalsprache" |
| - | Arsch, Hirnie, Armleuchter, ... | (Körperteile) |
| - | Tussi, Macho, | (das andere Geschlecht herabwürdigen) |
| - | Versager, Loser, ... | (dem anderen Versagen vorwerfen) |
| - | Besserwisser, Blitzmerker, ... | (jemanden ironisch „aufwerten“) |
| - | Hohlkopf, Hinterbänkler, ... | (jemanden geistig abwerten) |
| - | Kanake, Spaghettifresser | (rassistische Begriffe) |
| - | Warmduscher, ... | (neue Wortschöpfungen) |
| - | Sich zum Äppel machen, Sich zum Horst machen | (Ableitungen aus anderen Begriffen oder Namen) |
| - | alter Affe, blöde Kuh, dumme Sau | (Ableitungen aus Tiernamen) |
und viele andere Formen.
Geflucht und verflucht wurde und wird quer durch alle Epochen der Menschheit – von der Antike, über das Mittelalter, die Zeit der Klassiker, bis heute. Selbst in der Bibel finden sich Beispiele. Berühmte Politiker und Strategen verwendeten sie ebenso, wie unsere bestens bekannten Klassiker wie Goethe oder Schiller. So ist der Titel des Buches von Antje Stiller „Hundsfott“ dem Werk die „Räuber“ von Friedrich Schiller entnommen. Dazu mehr im 2. Teil.
Zur Einstimmung darauf schon mal ein „Klassiker des Verfluchens“ von Ludwig Uhland aus dem 19. Jahrhundert.
Ludwig Uhland
Des Sängers Fluch (1814)
Es stand in alten Zeiten ein Schloss, so hoch und hehr,
Weit glänzt es über die Lande bis an das blaue Meer,
Und rings von duft′ gen Gärten ein blütenreicher Kranz,
Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.
Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich,
Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.
Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
Der ein′ in goldnen Locken, der andre grau von Haar;
Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Ross,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoss.
Der Alte sprach zum Jungen: "Nun sei bereit, mein Sohn!
Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton!
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!
Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz."
Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,
Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl,
Der König furchtbar prächtig wie blut′ ger Nordlichtschein,
Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein.
Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,
Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll;
Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.
Sie singen von Lenz und Liebe, von sel′ger goldner Zeit
Von Freiheit, Männerwürde, von Treu′ und Heiligkeit,
Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.
Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott,
Des Königs trotz′ ge Krieger, sie beugen sich vor Gott;
Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust,
Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.
"Ihr habt mein Volk verführet; verlockt ihr nun mein Weib?"
Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib;
Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt.
Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt.
Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm.
Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm;
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Ross,
Er bind′t ihn aufrecht feste, verlässt mit ihm das Schloss.
Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sängergreis,
Da fasst er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis,
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt;
Dann ruft er, dass es schaurig durch Schloss und Gärten gellt:
"Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang
Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,
Nein, Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt,
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!
Weh euch, ihr duft′ gen Gärten im holden Maienlicht!
Euch zeig′ ich dieses Toten entstelltes Angesicht,
Dass ihr darob verdorret, dass jeder Quell versiegt,
Dass ihr in künft′gen Tagen versteint, verödet liegt.
Weh dir, verruchter Mörder! Du Fluch des Sängertums!
Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut′gen Ruhms!
Dein Name sei vergessen, in ew′ge Nacht getaucht,
Sei wie ein letztes Röcheln in leere Luft verhaucht!"
Der Alte hat′s gerufen, der Himmel hat′ s gehört,
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört;
Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht;
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.
Und rings statt duft′ ger Gärten ein ödes Heideland,
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;
Versunken und vergessen! das ist des Sängers Fluch!
Quellen
(1) (2) Anja Stiller Hundsfott – Schimpfen mit den Klassikern, Regionalia Verlag
(2) Bild – Titelseite des Buches
Gedicht „Des Sängers Fluch“ –
https://www.deutschelyrik.de/des-saengers-fluch.674.html