Dr. Hans Joachim Neidhardt bei der Eröffnung der Schönen Höhe im Jahr 1987
Im Jahr 1983 konnte ich den Kustos der Gemäldegalerie Neue Meister in Dresden, Dr. Hans Joachim Neidhardt, dafür gewinnen, die Person Quandt wieder ins Gedächtnis der Bürger zu bringen und damit auch einen Startschuss zur Wiedereröffnung bzw. Rekonstruktion/Restaurierung der seit 1972 geschlossenen Schönen Höhe zu geben. Er war es auch, der die Initiative zu einer Geburtstagsfeier für Johann Gottlob von Quandt und die Herausgabe einer Broschüre zum Leben des Kunstmäzens im Jahr 1987 gab.
Ich hatte die Ehre, innerhalb des Ehrenkolloquiums zum 30jährigen Jubiläum seiner Arbeit bei den Staatlichen Kunstsammlungen am 2. Oktober 1989 im Caspar-David Friedrich-Raum des Kügelgen-Hauses einen Vortrag halten zu dürfen. Professor Dr. Hans Joachim Neidhardt starb Anfang 2024 kurz nach seinem 99. Geburtstag. Hier ein kleiner Ausschnitt aus seinen Lebenserinnerungen, die unter dem Titel „Über dem Nebelmeer“ beim Sandstein-Verlag erschienen: Er wirft einen interessanten Blick auf die Geschichte des „Rufes aus Dresden“, die vor 35 Jahren begann und zum Wiederaufbau der Frauenkirche führte. Der Abdruck geschieht mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Uta Neidhardt, Oberkonservatorin in der Gemäldegalerie Alte Meister.
Am 2. November 1989 - wir lebten noch in der Periode des großen Volkszorns und der Massendemonstrationen gegen das Gewaltsystem - erhielt ich ein Schreiben von meinem Zahnarzt Günter Voigt, dem die Kopie eines offenen Briefs an Landesbischof Johannes Hempel beigefügt war. Darin rief Dr. Voigt zu einer weltweiten Initiative für den Wiederaufbau der Frauenkirche auf und bat den Bischof und die sächsische Landeskirche um Unterstützung dieses Plans. Ich hielt das für eine wunderbare Idee und war sofort bereit, mitzumachen, denn mir war klar, dass es jetzt galt, den Impuls des Aufbruchs als Gunst der Stunde zu nutzen. Pfarrer Karl-Ludwig Hoch sprach von „Kairos“. Im Verteilerschlüssel von Voigts Brief vermisste ich die eigentlichen Fachleute, die Architekten mit denkmalpflegerischen Interessen. Deshalb rief ich die mir bekannten Herren Schölzel und Dr. Köckeritz an und bat sie um ihre Mitwirkung im Kreis der Initiatoren.
Eine erste Zusammenkunft Gleichgesinnter fand am 24. November in der Wohnung des Kunsthändlers Heinz Miech auf der Goetheallee 23 statt. Wir waren nur acht Personen, und Pfarrer Hoch, den ich von seinen Caspar-David-Friedrich-Studien her kannte, hatte den Entwurf eines „Rufes aus Dresden“ dabei. Ich erbat mir den Text zur Überarbeitung und legte Ende November den Freunden eine Fassung vor, welche allgemeine Zustimmung erhielt. Auf die drängende Frage nach einer repräsentativen „Galionsfigur“ für unsere Bürgerinitiative brachte ich Ludwig Güttler in Vorschlag, den berühmten Solotrompeter. Wir waren seit einem zufälligen Zusammentreffen während eines Ostseeurlaubs auf der Insel Rügen miteinander bekannt. Noch am gleichen Abend erhielten wir seine Zusage. Güttler machte mit. Schon zwei Tage später trafen wir im Hause Miech erneut zusammen. Da war Güttler schon dabei, und es erwies sich, dass er mit seinem Organisationstalent, seiner rhetorischen Begabung und Überzeugungskraft, seiner Intelligenz, Ausdauer und Willensstärke der richtige Mann war, um unser eigentlich tollkühnes, ja wahnwitziges Unterfangen ins Laufen zu bringen. Ich hatte mich erboten, den Kontakt mit unserem Freund Johannes Hempel herzustellen. Der sächsische Landesbischof war sozusagen die Schlüsselfigur im Prozess der Entscheidungen für oder gegen den Wiederaufbau. Sein Votum würde weithin, besonders aber in der Kirchenleitung und der Landessynode gehört werden. Unser Gespräch in seinem Bühlauer Haus muss am 28. November stattgefunden haben. Dabei berichtete ich ihm von unserer Zusammenkunft bei Miech, unserem großen Plan und unseren Beweggründen. Am Ende fragte ich ihn, wie er und die Landeskirche sich zu einer Bürgerinitiative für den Wiederaufbau der Frauenkirche verhalten würden. Zu meiner Betroffenheit sagte er mir, dass die Kirche den Wiederaufbau ablehne und keinen Pfennig dafür auszugeben bereit sei, dass er sich aber einer Bürgerbewegung für die Wiedererrichtung der Kirche nicht entgegenstellen werde. Einem von mir überbrachten Ersuchen um ein Gespräch mit Ludwig Güttler und einigen Mitstreitern zeigte er sich offen.
Dieses entscheidende Treffen fand am 28. Dezember in Hempels Wohnung statt. Aus dem Protokoll ist zu schließen, dass der Bischof zu diesem Zeitpunkt bereits Zweifel an der prinzipiellen Richtigkeit der ablehnenden Position der Landeskirche hegte. Unser Gespräch hatte ihn wohl nachdenklich gemacht. Um die Wirkungskraft unseres „Rufes aus Dresden“ zu optimieren, beschlossen wir, vor seiner Veröffentlichung noch weitere Persönlichkeiten und nun eben möglichst auch die Kirche als Institution „mit ins Boot zu holen“ — wie Güttler es ausdrückte. Da sich dieser Klärungsprozess hinzog, wurde die Verkündung des „Rufes aus Dresden“ auf den Vorabend des 13. Februar 1990 festgesetzt. Das war der 45. Jahrestag der Zerstörung der Stadt durch die alliierten Bomberflotten.
Die Pressekonferenz am 12. Februar fand im Hotel Bellevue am Neustädter Elbufer statt. Neben Güttler sprachen der Denkmalpfleger Heinrich Magirius, die Architekten Wolfram Jäger und Walter Köckeritz sowie der Kunsthistoriker Joachim Menzhausen. Der Bischof war nicht gekommen. Er hatte seinen Stellvertreter Folkert Ihmels geschickt, was ich verstehen konnte. Folkert, den ich aus Leipziger und Adorfer Tagen gut kannte, war ein überzeugter Gegner des Wiederaufbaus. Im Bellevue erklärte er sozusagen offiziell, dass die Kirche wegen der fehlenden Gemeinde keinen Bedarf für die Frauenkirche sähe. Auch sei das pompöse Bauwerk „nicht das Abbild dessen, was Menschen sich heute als Kirche vorstellen“. Ich sagte ihm beiläufig, dass ich solches Denken angesichts des globalen und einzigartigen Ranges der Frauenkirche für kleinkariert hielte, worauf er ziemlich erbost erwiderte: „Meinst du denn, unser Bischof denkt kleinkariert?“
Der „Ruf aus Dresden“, von zweiundzwanzig Persönlichkeiten unterzeichnet, wurde verlesen und fand nicht nur in unserer Stadt, sondern weltweit Beachtung und Resonanz. Aus dem Initiativkreis heraus folgte noch 1990 die Vereinsgründung der „Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden e.V.“, ein Jahr später die Bildung einer „Stiftung Frauenkirche Dresden“.
Nach dem enthusiastischen Beginn aber waren noch viele Hürden zu nehmen. Und auch zahlreiche Gegner des Wiederaufbaus traten jetzt auf den Plan. Das Landeskirchenamt begründete in einer öffentlichen Stellungnahme die ablehnende Haltung der Evangelischen Kirche und offerierte Pläne für ein begehbares Ruinenmahnmal. Zudem richtete Anfang Februar 1991 der Baudezernent der Landeskirche Ulrich Böhme eine in ihrer Unsachlichkeit fast bösartige Denkschrift gegen den Wiederaufbau. Zu den Ruinenfetischisten gesellte sich auch Superintendent Dietrich Mendt, der in der Zeitung schrieb, ihm gefalle die Ruine und er hänge an ihr, weil er sie
„für ein Mahnmal halte, das wir brauchen Gestalt gewordene Erinnerung an die Opfer.“ Das war eine damals durchaus nachvollziehbare, ehrenwerte und sehr verbreitete Meinung, aber eben doch zu kurzsichtig und zu eng gesehen.
Unter dem Eindruck einer offenbar sehr überzeugenden Rede Joachim Menzhausens stimmte die Landessynode am 18. März 1991 mehrheitlich für eine Kooperation beim Aufbau der Kirche, und Bischof Hempel machte den Synodalen ein gutes Gewissen mit seinem Wort, dass es nicht vordringlich Aufgabe der Christen sein könne, Wunden offen zu halten, sondern Wunden zu heilen.
Der Gegenwind aber nahm weiter zu. Architekturhistoriker wie Dieter Bartetzko von der „Frankfurter Allgemeinen“ und der Kunsthistoriker und Exilsachse Friedbert Ficker polemisierten heftig gegen die Rekonstruktion der Frauenkirche. Bartetzko hätte dafür lieber „eine Glas-Stahl-Hülle, die, den einstigen Umriß wiederholend, die Trümmer bergen könnte“, und Ficker meinte, an die Stelle der Kirche solle „ein zeitgemäßes Bauwerk treten, das den vielfachen Nöten und Sorgen unserer zerrissenen Jahre entspricht“.
Architektenideen zur Neugestaltung des Neumarkt-Areals gingen in die gleiche Richtung. So legte der Dresdner Stadtplaner und Architekt Helmut Trauzettel in der FAZ vom 20. Juli 1990 einen Entwurf für einen modernen Neumarkt vor, in dessen Mitte „aus der Gegenwart geboren, ein Kongreßzentrum zur vielseitigen Nutzung, ein Parlament des Friedens im Ruinenmahnmal mit einer gigantischen Kuppelhalle und einer Aussichtsplattform“ aufwächst. Und in der „Weltbühne“ setzte sich ein Herr Höhne ebenfalls für die sanierte Ruine ein. Die solle mit einer „Acrylglaskuppel überbaut und von Laserlichtquellen belebt“ als „Frauen-Gedächtnis-Kirche“ folgerichtig den Frauen gewidmet werden, die 1945 im Dresdner Feuersturm starben. Alle diese Ruinen-Fans und Moderne-Enthusiasten aber waren blind für das eigentlich unwiderlegbare Hauptargument des originalgetreuen Wiederaufbaus: Die Wiedergewinnung des wichtigsten, das Stadtbild krönenden Architekturdenkmals, eines identitätsstiftenden Symbols von Weltbedeutung, ohne das Dresden nie wieder Dresden sein würde.
Die schärfsten Einsprüche indessen kamen aus den Kreisen der westdeutschen Denkmalpflege. Der Landeskonservator von Schleswig-Holstein wandte sich in einem Protestbrief sogar an Ministerpräsident Biedenkopf. Doch die scheinheiligen, unerbetenen Belehrungen aus jenen Regionen, wo inzwischen zahlreiche zerstörte historische Denkmale und Ensembles mehr oder weniger originalgetreu längst wiederaufgebaut worden waren, blieben wirkungslos. Biedenkopf war selbst ein überzeugter Förderer der archäologischen Rekonstruktion, der verstanden hatte, worum es ging, nämlich dass man es im zerstörten Dresden - wie in Warschau - mit einem Sonderfall zu tun hatte, der alte Regeln und überholte Prinzipien außer Kraft setzte.
Als am 20. Februar 1992 auch das Dresdner Stadtparlament mehrheitlich dem Wiederaufbau zustimmte, wurde das große Werk mit allen Kräften in Angriff genommen.