Teil 1
Im Jahre 1931 wurde ich in Dittersbach geboren, bin also ein Dittersbacher „Ureinwohner“.
Drei Generationen sind herangewachsen, mit kurzen Ausnahmen bin ich immer ein Dittersbacher Ortsansässiger geblieben. Fünf sehr unterschiedliche Gesellschaftsordnungen habe ich miterlebt: Als Kleinkind 1931-1933 in der Weimarer Republik geboren, 1933-1945 im nationalsozialistischen „Führerstaat“ Großdeutschland, 1945-1949 in der SBZ = Sowjetischen Besatzungszone, danach in der DDR von 1949-1989. Nun leben wir in der Bundesrepublik Deutschland.
In diesen Jahrzehnten blieb Dittersbach nicht ausgeschlossen von politischen Veränderungen: Im Schloss war ein „Müttererholungsheim“ eingerichtet. Dort erholten sich ältere Mütter. Ab und an unternahmen sie Spaziergänge durchs Dorf und sangen dabei Volkslieder, wir nannten sie deshalb die „Schlossamseln“.
Als Kind in der „Kinderschar“ wurden wir ins Schloss zum Muttertag vormittags zum Kuchenessen eingeladen, das nahmen wir gern wahr. Zur Erläuterung: In der Nazizeit“ wurde die heranwachsende Jugend politisch erzogen (von uns nicht immer wahrnehmbar). Es begann mit der Kinderschar (bis 10 Jahre alt), dem Jungvolk, man war ein „Pimpf“ (10-14 Jahre alt) und in der HJ (Hitlerjugend, 14-18 Jahre alt). Die Mädchen waren im BDM („Bund Deutscher Mädchen“) vereint.
In diese Zeit fiel 1938 der Ortsstraßen-Neubau in Verbindung mit dem Anschluss des Sudetenlandes an Deutschland. Die Straße wurde verbreitert und großzügig begradigt. Unter anderem wurde der „Steinberg“ der Granitfelsenhang unterhalb der jetzigen Siedlung „An den Waldäckern“ 4-5 Meter zurückgesprengt. Ab der jetzigen „Alten Dorfstraße“ erbaute man eine großzügige Begradigung bis zur Einmündung in die B6, teilweise wurde auch das Bachbett begradigt und verlegt.
1939 begann der 2. Weltkrieg. In Dittersbach und in anderen Dörfern arbeiteten größtenteils polnische Fremdarbeiter und polnische Kriegsgefangene bei den Bauern. Zum Beginn wurden die Kriegsgefangenen streng bewacht, dies ließ im Laufe der Jahre mehr und mehr nach.
Ab Kriegsbeginn wurden Lebensmittelkarten eingeführt, in verschiedenen Abstufungen: „Schwerstarbeiter“, „Schwerarbeiter“, Karten für „Normalverbraucher“ und für die Bauern „Selbstversorger“. Die Lebensmittelkarten wurden in der DDR weiter geführt bis etwa um 1960.
Die Gefallenen des Krieges ehrte man auf einer schönen Tafel aus Eichenholz in der Dittersbacher Kirche.
Eine weitere schwere Belastung erfuhren unsere Dörfer in den letzten beiden Kriegsjahren: Kriegsgeflüchtete aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien, Ausgebombte aus Dresden und nach dem Kriegsende zwangsläufig ausgesiedelte Sudetendeutsche mussten untergebracht werden.
Die letzte sinnlose Maßnahme, den Krieg zu verlängern, war die Einberufung für den Kriegsdienst ungeeigneter Männer zum „Volkssturm“.
Teil 2
Der Krieg war für Dittersbach trotz aller Nöte aber ohne direkte Kriegshandlungen am 8. Mai 1945 zu Ende. Nach 1945 herrschte große Lebensmittelnot. Viele Städter strömten auf die Dörfer, um ein paar Lebensmittel zu erwerben, mitunter durch wertvolle Gegenleistungen. Mein Vater konnte ein Stück Pfarrfeld pachten, wir hielten eine Ziege, ein Schaf, dazu Kaninchen und vier Hühner.
Das Dittersbacher Rittergut wurde von der Roten Armee übernommen. Ich erinnere mich, dass die Bauern des Umlandes große Mengen Heu ablieferten und neben der Feldscheune an der Wilschdorfer Straße stapelten. Der Leiter des Gutes war „Micha“, ein russischer Offizier. Er war korrekt, auch hatte er eine deutsche Freundin, die bei seinem Abschied aus dem Leben scheiden wollte. Micha ging mit seiner Freundin gern zum Tanz, oftmals nach Wilschdorf. Wir Jugendlichen waren auch dort und Micha erlaubte uns, auf seinem kleinen Guts-LKW mit nachhause zu fahren. Eine Begebenheit ist mir noch im Gedächtnis geblieben: Im Guts-Kuhstall wurden Zwillings-Kälbchen geboren. Zwei Schweizer (Schweizer = mundartlich für Personal in der Rinderhaltung) nahmen eines davon und schlachteten es, es wurde auf dem Dachboden von Karl Friedländer aufbewahrt. Ein Gutsarbeiter meldete dies Micha, der dies an seine Dresdener Dienststelle weiterleitete. Die beiden Schweizer und Karl Friedländer wurden verhaftet und durch ein Militärgericht der Roten Armee verurteilt: Die beiden Schweizer erhielten 16 Jahre Zuchthaus, Karl Friedländer als Mitwisser 12 Jahre. Karl Friedländer erzählte mir: Das Urteil wurde in russischer Sprache in fünf Minuten gesprochen. Karl Friedländer kam nach Buchenwald bei Weimar. Nach Stalins Tod wurde seine Haftzeit verkürzt, das Schicksal der beiden Schweizer blieb ihm unbekannt, nach Dittersbach kamen sie nicht zurück.
1949 wurde das neue Ostdeutschland (Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) zur DDR = Deutsche Demokratische Republik. Die Sowjetunion diktierte mit der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) das politische Geschehen.
Die Großbetriebe, die für die Kriegsproduktion gearbeitet hatten, wurden in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) nach 1945 sofort enteignet und in Volkseigentum überführt. Vorerst wurden Großbetriebe (in unserer Gegend erinnere ich mich an das Sachsenwerk Radeberg (ROBOTRON) und Kunstseide Pirna sowie auch Eisenbahngleise als Reparationsleistungen für die Sowjetunion demontiert. Das Programm der DDR beinhaltete vollendete Sozialisierung der Wirtschaft, d.h. alle Betriebe wurden volkseigen (VEB). Der Handel wurde allmählich von der Konsumgenossenschaft und der HO (= staatliche Handels-Organisation) übernommen, kleine Läden blieben unter erschwerten Bedingungen Privateigentum.
Die Größe der Handwerksbetriebe beschränkte sich auf 10 Beschäftigte, die Gründung von Produktionsgenossenschaften förderte man.
In der Landwirtschaft gründete man LPG = Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften durch intensive staatliche Aktivitäten, es gab vorerst drei Typen: LPG I (gemeinsame Feldproduktion), LPG II (gemeinsame Viehhaltung), LPG III Gesamtproduktion). Unterstützt wurde diese Umwandlung vorerst durch die MAS (Maschinen-Ausleih-Stationen), später in MTS (Maschinen-Traktoren-Stationen) umbenannt. Für unseren Bereich war die MTS Lohmen zuständig.
Der 17. Juni 1953 hemmte die schnelle Umwandlung, die unmutige Stimmung in der Bevölkerung musste berücksichtigt werden. Die Politik blieb die gleiche, jedoch nach Lenins Leitsatz „Zwei Schritte vorwärts und einen Schritt zurück“. Man ließ sich also mehr Zeit.
In Westdeutschland war der Lebensstandard höher, deshalb verließen viele Bürger die DDR. Das führte schließlich zur Errichtung der Mauer in Berlin („Antifaschistischer Schutzwall“) und stark bewachter Grenze zur BRD. 1990 endete der Staat DDR, er ist nun Teil der Bundesrepublik.