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Amtsblatt Stadt Dessau-Roßlau
Ausgabe 3/2024
Aus dem Rathaus
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„Nein, ich war schon immer so …“ - Ein Frauentagsportrait

Interview von Daniela Koppe, Kommunale Behindertenbeauftragte der Stadt Dessau-Roßlau

Wer Heidemarie Ehlert über zwei Jahrzehnte hinweg als Kommunalpolitikerin in Dessau-Roßlau kennengelernt hat, weiß, dass sie eine Kämpferin ist und sich mit viel Herzblut für die Belange einsetzt, die ihr am Herzen liegen.

Auf die Frage, ob sie denn in ihrem Leben ein Vorbild oder eine ganz besondere Person im persönlichen Umfeld hatte, deren Einfluss sie zu der Persönlichkeit gemacht hat, die sie heute ist, antwortet sie mir gleich zu Beginn unseres Gesprächs schmunzelnd: „Nein, ich war schon immer so…“

Obwohl Frau Ehlert vom beruflichen Werdegang her eine „Frau der Zahlen“ ist, die einst als Steueroberinspektorin beim Finanzamt tätig war, bezieht sich ein ganz wesentlicher Teil ihres persönlichen und kommunalpolitischen Engagements auf die Themen Familie, Kinder und Pflege. Im Verlauf unseres Gespräches zeigt sich, dass dieses Engagement sehr eng mit dem persönlichen Lebensweg und auch einigen einschneidenden persönlichen Erfahrungen verknüpft ist.

Als sie mit ihrer Familie im Jahr 2004 von Halle nach Dessau kam, war auch hier, bedingt durch Arbeitslosigkeit und die Auswirkungen der Hartz IV-Reform, die Verschlechterung der sozialen Situation insbesondere von Familien und Kindern spürbar. „Und das zu sehen, tat mir einfach weh“, sagt Heidemarie Ehlert über diese Zeit. So begann sie – zusammen mit einigen Mitstreitern – zunächst Spielzeug für Kinder zu sammeln, welches dann gegen eine Spende für die „Tafel“ auf dem örtlichen Weihnachtsmarkt unserer Stadt angeboten wurde.

Nachdem die Stadtwerke später ihren Tagungssaal zur Verfügung stellten, entwickelte sich aus der ursprünglichen Spielzeugaktion die jährliche Veranstaltung „Weihnachten für Kinder“.

Ein sehr persönlicher Schicksalsschlag, der die Familie von Heidemarie Ehlert vor einigen Jahren traf, hat dazu geführt, dass sie sich auch sehr für die Themen Pflege und pflegende Angehörige einsetzt. Vor einigen Jahren erkrankte Heidemarie Ehlerts Ehemann an Demenz. Aus heutiger Sicht waren die ersten Anzeichen vielfältig. „Nur wusste ich sie damals noch nicht zu deuten, da ich überhaupt nicht vertraut mit diesem Krankheitsbild war“, sagt sie heute. Es war ein langer Weg bis zur endgültigen Diagnose. Ein Weg, den Heidemarie Ehlert mangels bestehender Netzwerke oft allein gehen und Erfahrungen sammeln musste. Oft waren es die „kleinen Dinge“, die es für pflegende Angehörige nicht oder nicht in ausreichendem Maße gab. Zum Beispiel die Möglichkeit der zeitweiligen Tagespflege für ihren erkrankten Ehemann. Weil auch rund um die Uhr pflegende Familienangehörige einfach mal ein paar Stunden „Auszeit“ brauchen, um ihren Akku wieder aufzuladen. Dringend benötigte Zeitfenster - egal ob für den eigenen Arzt oder Behördentermin - oder einfach nur etwas Zeit, um zur Ruhe zu kommen und Dinge zu tun, die einem persönlich wichtig sind. Ein weiterer Punkt waren die Wartezeiten bei Ärzten. Sicher sind die Wartezimmer stets voll mit Patienten, die auf Hilfe warten. Aber sollte es denn nicht möglich sein, dass Patienten, die von pflegenden Angehörigen begleitet werden, einen speziellen Termin mit kurzer Wartezeit für ihren Arztbesuch und eine, wenn möglich, etwas abgeschirmte Wartemöglichkeit in der Praxis erhalten können? All diese kleinen Dinge könnten pflegenden Angehörigen, und den Patienten selbst, schon ein großes Stück weiterhelfen.

Heidemarie Ehlert selbst fand während der sechs Jahre, in denen sie ihren kranken Ehemann selbst pflegte, schließlich einen guten und vertrauensvollen Ansprechpartner in der Volkssolidarität 92, der auch bei teilweise sehr differenzierten Problemen für sie und ihren Ehemann da war. Aber sie weiß auch, dass dies noch nicht der Normalfall für die meisten Menschen ist, die ihre erkrankten Familienmitglieder zu Hause selbst pflegen.

Und genau darum engagiert sie sich weiter und gibt das Wissen und die Erfahrungen, die sie in den zurückliegenden Jahren gesammelt hat, inzwischen selbst an andere, die Rat und Hilfe brauchen, weiter. Zum Beispiel in Vorträgen, die sie im Soziokulturellen Frauenzentrum von Dessau-Roßlau hält.

Und da unser Gespräch und unser Treffen ja den Internationalen Frauentag am 8. März zum Anlass haben, möchte ich abschließend natürlich auch erfahren, was dieser Tag für Heidemarie Ehlert persönlich bedeutet.

Auch auf diese Frage bekomme ich von ihr - in ihrer herzlichen und direkten Art - eine klare Antwort: „Ich denke, die Gleichstellung haben wir auch in all den vielen Jahren noch immer nicht erreicht. So lange zum Beispiel ein Mann, der sich bewusst dafür entscheidet, sich den Erziehungsurlaub für die Kinder mit seiner Partnerin zu teilen, dafür noch ‚seltsam‘ angeschaut wird, haben wir noch eine Menge zu tun.“