Außenansicht der Süd- und Ostseite Haus Bahnhofstraße 18L (Bahnhofstraße 20) vor dem 27.12.1945
Dieses Ereignis liegt nunmehr schon 78 Jahre zurück. Ich war damals erst fünf Jahre alt. Liegt es an dem Außergewöhnlichen, welches mein Gedächtnis derart herausgefordert hatte, dass ich mich heute noch an Einzelheiten erinnern kann?
Es war Donnerstag, der 27. Dezember 1945, dritter Weihnachtsfeiertag. Wir wohnten damals zur Miete im Haus Bahnhofstraße 18L (heute Bahnhofstraße 20). Ein solides zweigeschossiges Wohnhaus mit drei Wohnungen, Einlieger-Gewerberaum und angebautem Waschhaus. Erbaut im Jahr 1912.
Hauseigentümer war Emil Luderer (heute Petra Schlosser-Gronem). Zu unserer Familie gehörten: Vater Woldemar (noch in Kriegsgefangenschaft), Mutter Maria, Großmutter Olga Fiedler, Bruder Gerhard und ich.
Gegen21:45 Uhr waren wir alle in der Küche. Mutter hatte gerade den Gerhard, 2 ½ Monate alt, zur Nachtruhe fertig gemacht. Ausnahmsweise keine Stromsperre. Oma hatte zu ihrem Glück soeben das Haus betreten – sie hatte bei einem Siehdichfürer Bauern etwas Kuhmilch organisiert, als Zubrot für den kleinen Gerhard.
Plötzlich ein Säuseln in der Luft, welches schnell zu einem lautstarken Brausen anschwoll und in einen ohrenbetäubenden Lärm mündete. Stromausfall. Dann, nach ca. einer Minute, plötzlich Stille. Finster. Zutiefst erschrocken. Schnell eine Kerze, welche damals immer zur Hand war, angezündet. Wir begaben uns vor die Wohnungstür. Da kam auch schon von unten der Emil, aufgeregt und ebenfalls mit einer brennenden Kerze, die Treppe heraufgeeilt. Er öffnete die Tür zum Hausboden. Welch ein furchtbarer Schreck: Geröll und zerbrochene Dachziegel rutschten die Bodentreppe herab uns entgegen. Verständlich: Emil fing an zu weinen.
Was war geschehen? Eine unerwartete, plötzlich einsetzende Windhose, heute würde man wohl Tornado dazu sagen, hat das Dach der nahen Meinels Fabrik, welche ca. 50 Meter westlich vom Haus sich befand, aufgerissen, hochgewirbelt und Teile davon auf unser Haus abgeladen. Der Schaden: Zerstörtes Dach, vor allem die westliche und südliche Seite, Teile der hinteren äußeren Hauswand im Obergeschoss ca. 3 bis 5 cm nach innen verschoben, Verwüstungen im Grundstück.
Auch das Wohn- und Geschäftshaus von Max Wolf, zwischen unserem Haus und der Fabrik, hatte Schäden abbekommen.
Am nächsten Tag, sonnig und kalt, die Sensation zur allgemeinen Besichtigung: Das weitgehend zerstörte Dach und Schuttberge im Grundstück teilweise bis zu 2 Meter hoch, vor allem vor der Südseite des Hauses.
Zum Glück war das Haus gegen Elementarschäden versichert. So war dem Hauseigentümer wenigstens eine Sorge abgenommen, was in diesen schweren Nachkriegsmonaten mit seiner zwangsläufigen Mangelwirtschaft besonders gezählt hat.
Glücklicherweise gab es keine Personenschäden.
Ein Notdach war schnell errichtet und die Essen saniert, so dass das Wohnen im Haus weiterhin, wenn auch mit Einschränkungen, möglich war.
Im Sommer 1946 erfolgte der Wiederaufbau durch die Grünbacher Firma Baumeister Hofmann. Für uns Kinder, meinen Großcousin Wilfried Schlosser und mich, war dies eine spannende Sache. Der Dachstuhl wurde komplett erneuert, zur Straßenseite hin vereinfacht wiederaufgebaut, die Dachziegel durch Holzschalung und Schiefereindeckung, die Dachziegel an den Wänden durch Mauerwerk ersetzt und mit Außenputz versehen. Die Fensterrollos samt Verblendern entfernt.
Die heutige Holzschalung um das Obergeschoss wurde später angebracht.
Auch das schwer beschädigte Fabrikgebäude, später zur Falgard gehörend, wurde instandgesetzt. Es steht heute nicht mehr.
Leider war es mir, trotz umfangreicher Bemühungen, nicht gelungen, ein Foto von den Zerstörungen aufzutreiben. Vielleicht auch deshalb, weil die damalige sowjetische Besatzungsmacht private Fotoapparate konfiszierte, wurde man ihrer habhaft.