Fortsetzung 1
Zügig wurden die ersten Schritte zur Enteignung in die Wege geleitet:
Bewerberlisten wurden erstellt, Äcker vermessen, totes und lebendes Inventar erfasst. Gerade was das tote Inventar betraf, ging die Bodenkommission besonders akribisch vor. Vom Schneepflug über eine Pflanzlochmaschine und drei Rübenheber finden sich in der Liste vom 23. September 1945 auch eine Ölkanne und 20 eiserne Bettstellen. (01)
Die Ortsbodenkommission wusste, dass unter den damaligen Bedingungen des Mangels an Gebäuden und Gerätschaften eine Einzelbewirtschaftung noch nicht möglich war, daher beschloss sie, „zwecks gemeinschaftlicher Bewirtschaftung des Grund und Bodens sowie gemeinschaftlicher Verwaltung des lebenden und toten Inventars, `Das Komitee zur gegenseitigen Bauernhilfe Dieskau` zu bilden“ (13. Oktober 1945). Aus diesen sich überall in den Orten bildenden Komitees und Ausschüssen ging dann wenig später die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) hervor. (02)
Präzise Zahlen für die Aufteilung des Grund und Bodens sowie des vorhandenen Tierbestandes wurden in - jedoch nicht immer übereinstimmenden – Listen schriftlich festgehalten. Anzunehmen ist jedoch, dass eine Aufstellung, die zum Tag der Beschlagnahme am 18. Oktober 1945 erbracht wurde, dem tatsächlichen Geschehen sehr nahe kommt. Danach wurden an Neusiedler, Umsiedler und Landarme ca. 365 ha verteilt. Die Gemeinde selbst erhielt zu verschiedenen Zwecken 42 ha. Auch Bruckdorfer Bürger wurden mit 24 ha Land bedacht. Interessant ist, dass die Provinz Sachsen (später: Land Sachsen-Anhalt) Teiche mit der Größe von 93 ha übertragen bekam. Der Park mit 63 ha, der noch mit Beschluss der Bodenkommission vom 13. Oktober 1945 der Gemeinde zugeordnet wurde, findet keine Erwähnung, wohl in der Annahme, dass es hier keine Veränderung geben werde, weil selbstverständlich. (03)
Aus einer Aufstellung vom 15. Februar 1946 ist zu erfahren, dass 57 Familien mit Land und Vieh versehen wurden. Dabei wurden zwischen 1 und 10 ha Flächen vergeben und 19 Pferde, 7 Ochsen, 33 Kühe, 15 Färsen, 24 Stück Jungvieh, 1 Fohlen, 12 Sauen, 8 Läufer, 9 Ferkel und 367 Schafe neue Besitzer fanden. (04)
Es ist zwar aus unserer jetzigen Sicht auf die damaligen Ereignisse durchaus interessant zu erfahren, wieviel Tiere, Äcker und andere Liegenschaften im konkreten Fall den Besitzer wechselten, doch nicht zu vergessen ist, wie unter dem Einfluss des Krieges und den radikalen Maßnahmen der Bodenreform in einer äußerst kurzen Zeit das soziale Gefüge einer über Jahrhunderte gewachsenen Dorfgemeinschaft gesprengt wurde!
Welche Schwierigkeiten zu bewältigen waren, kann nur ansatzmäßig dokumentiert werden. Doch einiges lässt sich bereits aus einem Brief des für das Gut eingesetzten Treuhänders an den Landrat vom 23. September 1945 entnehmen. Er schilderte darin, dass die Gemeinde ca. 1200, mit „Evakuierten“ 1900 Einwohner hätte. „Für diese Anzahl wird wöchentlich von mir Schlachtvieh in einem Umfange gefordert, wie es die Wirtschaft selbst bei gutem Willen … nicht in der Lage ist“ zu liefern. „Da im Betriebe kein Schlachtvieh vorhanden ist und jedes Stück Jungvieh zur Aufzucht verwendet wird“, bat er den Landrat, die Gemeinde und den Fleischermeister darüber zu verständigen, „selbst auf die Gefahr hin, daß auch dieser Laden vorübergehend geschlossen werden muß …“. In diesem Zusammenhang beklagte er auch eine Wildkaninchenplage in einigen Fluren. „Um auftretenden Wildschaden bei den Hackfrüchten und Wintersaaten zu vermeiden“, regte er an, den „früheren jagdausübungsberechtigten Förster, der wegen der Felddiebstähle jetzt den Flurschutz versieht…, die Erlaubnis zum Frettieren zu erteilen, zumal betriebseigene Frettchen vorhanden sind. Die Kaninchen beabsichtige ich in erster Linie an die eigene Belegschaft und an die Flüchtlinge zu verteilen.“ Nicht genug damit, machte er den Landrat auch auf die in der Flur des Gutes noch vorhandenen ca. 30 Flakgeschütze und die große Anzahl an herumliegender „scharfer Munition“ aufmerksam. Flakgeschütze und Munition sollten schnellstes beseitigt werden. Da ihm nach der Einbringung der Hackfruchternte ausreichend freie Arbeitskräfte in der Gemeinde zur Verfügung stünden, bat er den Landrat lediglich, für eine „genügende Freistellung von Hacken und Schaufeln sorgen zu wollen.“ Gleichzeitig möge er auch das „Kriegsschadenamt“ anweisen, „die Steine, die Telefonmasten und das herumliegende Holz sowie das Alteisen der hiesigen Gemeinde, insbesondere der Gutsverwaltung zum Abbruch zu überlassen, da hier erhebliche Bombenschäden zu beseitigen“ seien. (05)
Inwiefern der Landrat des Saalkreises tatsächlich helfen konnte oder wollte, ist aus den vorliegenden Quellen nicht ersichtlich. Zumindest lag es nicht mehr in der Verantwortung des Treuhänders, die angesprochenen Probleme zu lösen, da er bereits zum 01. Oktober 1945 von seinem Nachfolger abgelöst wurde.
Unabhängig von diesen Schwierigkeiten wurde der Prozess der Enteignung von Bülows unbeirrt fortgesetzt. So konnte schließlich ein Reporter der Volks-Zeitung am 25. Oktober von einer Veranstaltung berichten, bei der sich „sonntäglich“ gekleidete Menschen auf den Dorfstraßen in Richtung des Gutes bewegten. Hunderte sollen sich versammelt haben, „während sich auf den Terrassen die Bodenkommission und die Vertreter der Parteien und Behörden zusammenfanden.“ Natürlich - so im Bericht - ließ es sich der Bürgermeister nicht nehmen, „von der große(n) Bedeutung der Stunde“ zu sprechen. Und der anwesende Landrat rechnete noch einmal „mit dem Junkertum, dem Hort der Reaktion und der Clique der Kriegsverbrecher“ ab. Anschließend übergab er „jedem einzelnen Bewerber, durch Handschlag bekräftigt, die Urkunde“ über die Bodenreform. (06)
Weiter vermerkte der Berichterstatter, dass die Gemeinde neben weiteren Flächen auch den Gutspark erhalten würde und – besonders interessant – das Gutshaus zum Kinderheim umgestaltet werden soll. Dieser Wunsch ging allerdings nicht in Erfüllung. Überhaupt waren die Interessen bezüglich des Schlosses äußerst verschieden. Aus einem Schreiben der Provinzialregierung an den Kreisrat des Saalkreises vom 21. Mai 1947 geht auch hervor, dass es Überlegungen gegeben haben muss, im Schloss eine FDJ-Schule zu errichten. Doch auch dieses Projekt wurde wohl damals nie ernsthaft weiter verfolgt. (07)
Recht kompliziert gestaltete sich ein weiteres Unterfangen: Die nach dem Vereinigungsparteitag von KPD und SPD im Frühjahr 1946 entstandene SED zeigte reges Interesse an der Einrichtung einer Kreisparteischule im Dieskauer Schloss. Zugleich gab es Bestrebungen, das Schloss und angrenzende Teile des Parks der Partei als Eigentum zu überschreiben. Hierüber entwickelte sich zwischen der Gemeinde, dem Kreis und der Provinz/dem Land ein reger und zum Teil kontroverser Schriftwechsel, in dem auch die Frage nach einer Kompetenzüberschreitung der Ortsbodenkommission aufgeworfen wurde. So fragte die Landesregierung in einem Schreiben an den Kreisrat des Saalkreises vom 06. Oktober 1947 an, „auf Grund welcher Verordnung und unter welchen Voraussetzungen die Ortsbodenkommission in Dieskau am 05.6.1947 eine Fläche des Parkteiles, die an das Schloss grenzt, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands – Saalkreisleitung – als Hausgarten für die Parteischule übereignet“ habe. In dem Schreiben wurde auch nochmals darauf hingewiesen, dass Schloss Dieskau
das Verfügungsrecht nach Verordnung vom 3.September 1945 über Schlösser, Burgen und Herrenhäuser „ausschließlich der Landesregierung zusteht“, soweit jene nicht der Unterbringung von Neubauern dienten. (08) Die Übereignung der Parkflächen müsse wieder rückgängig gemacht werden. Allerdings zogen sich die Auseinandersetzungen nach wie vor hin. Denn in einem Schriftstück der Landesregierung vom 30. Juni 1948, das sich auf eine Dienstbesprechung in Dieskau vom 21. Juni 1948 bezieht, wird festgestellt: „Die SED, Landesleitung Sachsen-Anhalt hat die Übereignung des auf Grund der Verordnung über die Bodenreform … aus dem enteigneten Großgrundbesitz von Bülow angefallenen Herrenhauses nebst Parkanlagen …im Rahmen der Wiedergutmachung beantragt. Das Herrenhaus wird bereits seitens der SED als Kreisparteischule genutzt.“ In diesem Zusammenhang wird auch gefordert, „die Weiterleitung der Abwässer der Parteischule … unter allen Umständen in die Wege“ zu leiten, „weil bei dem augenblicklichen Zustand sich ein Seuchengefahrenherd gebildet“ habe. (09) Anscheinend vermutete der Dieskauer Bürgermeister in jenem Schreiben einen Angriff auf die örtliche Bodenkommission. Denn im scharfen Ton konterte er: „Nach Kenntnisnahme Ihres Schreibens teile ich Ihnen mit, daß Sie höchstwahrscheinlich im Irrtum sind, wenn Sie annehmen, die hiesige Bodenkommission nehme sich Rechte an, welche ihr nicht zustehen! Es ist der Bodenkommission nicht im Schlafe eingefallen, über die Parkanlagen ... zu verfügen … Ich bitte hiervon Kenntnis nehmen zu wollen und bitte im Namen der Ortsbodenkommission in Zukunft bei der Wahrheit zu bleiben.“ (10)
Zu einer urkundlichen Festlegung, Schloss und Teile des Parks der SED als Eigentum zu übergeben, kam es allerdings nicht. Erst mit der Mitteilung der Landesregierung an den Rat des Kreises vom 14. September 1950 zur Überführung des Schlosses in das Eigentum des Volkes, mit anschließendem Eintrag in das Grundbuch, endeten die Auseinandersetzungen und der Weg wurde frei für die Einrichtung einer demokratischen Gemeinschaftsschule im Schloss Dieskau. (11)
Quellenverzeichnis
(01) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg, K 13 Landratsamt und Kreiskommunalverwaltung
Saalkreis
(02) ebda
(03) ebda
(04) ebda)
(05) ebda
(06) Volkszeitung, Organ der Kommunistischen Partei Deutschlands für die Provinz Sachsen, 25.10.1945
(07) vgl. Landesarchiv, a.a.O.
(08) ebda
(09) ebda
(10) ebda
(11) vgl. ebda
Dr. Rainer A. Niephagen
Fortsetzung folgt