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Amtsblatt der Gemeinde Kabelsketal mit den Ortsteilen
Ausgabe 11/2024
Ortschaft Dieskau
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Freier Bauer auf freiem Land

Fortsetzung 2 (Schluss)

Nicht minder hart wurde in den turbulenten Herbstmonaten des Jahres 1945 und bis in das Jahr 1946 hinein mit der Familie und Verwandtschaft von Bülows gerungen.

Am 13.Oktober 1945 erging folgendes Schreiben des Bürgermeisters an Herrn von Bülow:

„… Sie wollen sich … umgehend zwecks Zuweisung und Unterkunft bei der Kreispolizeistelle Torgau melden. Die Abmeldung innerhalb der Gemeinde hat innerhalb 2 Tagen zu erfolgen. Die Kreispolizeistelle Torgau hat Anweisung, das Eintreffen der Ausgewiesenen dem Saalkreis zu bestätigen.

An Privateigentum kann mitgenommen werden:

1.)

Die für die Familie erforderlichen Schafzimmer.

2.)

1 Wohnzimmer oder Eßzimmer oder Herrenzimmer.

3.)

Die erforderliche Kücheneinrichtung.

4.)

Die erforderliche Bekleidung.

5.)

Die erforderliche Wäsche.

6.)

Mundverpflegung für 7 Tage, auch zwangsbewirtschaftete Lebensmittel.

7.)

Je nach Verhalten der Ausgewiesenen Eingemachtes, Gemüse, Früchte usw.

8.)

Das erforderliche Gespann oder Gespanne zum Transport wird gestellt.“ (1)

Anscheinend ließ die Familie den gestellten Termin verstreichen, ohne das Gut zu verlassen. Wie aus einem Brief des Bürgermeisters an den Landrat vom 06. November 45 hervorgeht, erhielt er am 25.Oktober 1945 von der sowjetischen (im damaligen Sprachgebrauch: russischen) Kommandantur den Auftrag, die Familie von Bülow innerhalb von 2 Stunden mit 30 kg Gepäck und Verpflegung für 4 Tage auszuweisen. Zugleich beschuldigte der Bürgermeister von Bülow, dass er eine „Waffenabgabeliste“ habe verschwinden lassen. Überdies hätte er festgestellt, dass „sämtliche Wertgegenstände, Ölgemälde, Silbergeschirr usw. beiseite geschafft“ worden wären. Frau von Bülow sollte doch gefragt werden, „wo sie die Gegenstände vergraben oder verborgen“ hielte. (2) Auf eine Beschwerde Frau von Bülows an den Landrat hin antwortete dieser am 10. November 1945: „Hätten Sie seinerzt. Dieskau am 13.10.1945 verlassen, wären Sie in der Lage gewesen, die von uns freigegebenen Mobilarteile mitzunehmen, was nach dem Einschreiten der Russen nicht mehr möglich“ sei. (3)

Ständige weitere Nachfragen und Nachforschungen der Familie ließen den Bürgermeister schließlich zu der Äußerung dem Landrat gegenüber hinreißen, von Bülows sollten „erst die beiseite geschafften wertvollen Sachen … zurück geben“, bevor sie „noch etwas von mir erhalten“ würden. Außerdem würde er in Zukunft den Bülowschen Familienmitgliedern das „Betreten des hiesigen Gemeindehauses“ verbieten. (4)

In jenem Zusammenhang sollte wohl auch eine Aussage einer Frau, die viele Jahre auf dem Rittergut arbeitete, beachtet werden. Sie sprach von einer förmlichen Plünderung des Schlosses durch aufgebrachte Bürger. Wertvolle Möbel und Bücher sowie zahlreiche Akten „flogen auf den Hof und landeten später in Zwintschöna in der Rohpappenfabrik, um mit alten Lumpen zu Rohpappe verarbeitet zu werden.“ (5)

Ähnlich erregt, reagierte der Bürgermeister auf Forderungen des Schwagers von Hans von Bülow: Wilhelm von Krosigk. Dieser hatte nach eigener Aussage aus Furcht vor Bombenangriffen mehrere Koffer mit privaten Gegenständen - unter anderem auch mit Geschirr – im Dieskauer Schloss untergestellt. Jetzt, nach Kriegsende, wünschte er sich diese Koffer wieder zurück. Zahlreiche Schreiben zwischen von Krosigk und verschiedenen staatliche Institutionen brachten allerdings keine endgültige Klärung. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine Stellungnahme des Bürgermeisters zu den Forderungen von Krosigks, in dem er dessen Angaben anzweifelte und jegliche Vorwürfe einer Beschlagnahme zurückwies. Schließlich bat er, „den Herrn Kapitän und Konteradmiral von Krosigk dahin zu belehren, dass er nicht dumme Jungen, sondern Dieskauer Antifaschisten vor sich“ hätte! Dazu wäre ihm auch durch die russische Kommandantur in Ammendorf die Herausgabe jeglicher Gegenstände verboten worden. (6)

Überhaupt schien der Rückzug auf Bestimmungen der sowjetischen Besatzungsmacht eine überzeugende Entscheidungshilfe für deutsche Institutionen gewesen zu sein – einfach, wirkungsvoll und letztlich auch alternativlos!

Dass das Verhältnis zur Besatzungsmacht aber ebenfalls nicht immer reibungslos verlief, zeigte sich beispielsweise an einem Ereignis in der Nacht vom 09. zum 10. Dezember 1945, in der russische Soldaten 11 Säcke Saatkartoffeln („Ackersegen“) stahlen. Es soll bereits der 4. Fall gewesen sein – nach Auskunft des Ortskomitees der gegenseitigen Bauernhilfe. Der Nachtwächter soll mit Waffengewalt festgehalten worden sein, bis die Kartoffeln verladen waren. Mehr als eine Meldung an die Polizei und an die Kommandantur blieb den Geschädigten allerdings nicht. (7)

Unabhängig von den ereignisreichen Geschehnissen und drohenden Schwierigkeiten in den Herbstmonaten des Jahres 1945 und in den anschließenden Jahren konnte bereits Ende Oktober 1945 die Beendigung der „Junkerherrschaft im Saalkreis“ festgestellt werden. Auch das Gut Dieskau war aufgeteilt. Neu- und Kleinbauern, die durch die Bodenkommission Land erhielten, waren überzeugt, so die Grundlage für eine solide wirtschaftliche Zukunft erhalten zu haben. Wohl niemand ahnte in der Euphorie der ersten Jahre nach dem Krieg, dass die als demokratische Bodenreform bezeichnete rigorose Neuverteilung des Grund und Bodens lediglich die erste Etappe darstellte auf dem Weg zu einer sozialistischen Landwirtschaft. Mit der Gründung der ersten landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) 1952 (auch in Dieskau) kündigte sich die zweite Etappe an, die das bäuerliche Leben auf dem Dorf für mehrere Jahrzehnte in der DDR prägen sollte. (8)

Quellenverzeichnis

(1)

Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg, K13 Landratsamt und Kreiskommunalverwaltung Saalkreis

(2)

ebda

(3)

ebda

(4)

ebda, Brief des Bürgermeisters vom 27. November 1945

(5)

Schaaf, Karl, Beiträge zur Chronik Dieskaus, Rottweil a. N. und Dieskau 1975, Manuskript, Bd. 2, 199

(6)

Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg, K12/597, Durchführung der Boden-Reform im Saalkreis, 1945-1947, Stellungnahme des Bürgermeisters vom 02. Februar 1946

(7)

Landesarchiv, K 13, a.a.O.

(8)

Panteleit, Fritz, Wer denkt noch an die von Bülow, Gedanken zum 20. Jahrestag der Demokratischen Bodenreform, in: Junkerland in Bauernhand/Zur Durchführung der Bodenreform und Festigung ihrer Ergebnisse im Saalkreis, Bezirk Halle (1945-1952), 30, hrsg. Von Kreisleitung der SED, Merseburg o. J.

Wappen: https://gutshaeuser.de/de/wappen_familien/familie_von_buelow

Dr. Rainer A. Niephagen