Lageplan von Bombenabwürfen am 27.02.1945 nach Hans Dyhern
Dieses Bild gibt einen Blick ins Innere des Vierseitenhofs auf den Hauseingang. Unter dem Schutt befinden sich die Keller. Aus dem Wohnhaus-nahen Keller konnten fast alle Schutzsuchenden gerettet werden; meine Mutter war ohnmächtig, meine Geschwister Annemarie und Karl-Heinrich (knapp 2 und knapp 3 Jahre alt) lagen völlig verschmutzt im Bett, der Familienhund schwer verletzt oben auf. Meine Oma, Hermine Schaaf, verstarb durch die Druckwelle. Tante Lisa blieb unverletzt und konnte schnell Hilfe holen. Die Geretteten wurden ins Gasthaus Haupt gegenüber gebracht und dort versorgt.
Am 2. März 1945 fand die Beerdigung der Opfer statt. Frau Hermine Schaaf – meine Oma - bekam ihre letzte Ruhe neben ihrem Mann Reinhold auf dem Kirchhof. Frau Rasch mit den Kindern wurde auf dem Friedhof beerdigt. Wo die anderen Toten die letzte Ruhe fanden, ist mir nicht bekannt.“
Februar 1945: Der 2. Weltkrieg war noch nicht vorbei, das Ende Hitlerdeutschlands aber spätestens nach der Stalingrader Schlacht absehbar. Die Rote Armee stand an der Oder, die westlichen Alliierten am Rhein. Die Besetzung des restlichen Deutschlands war nur noch eine Frage der Zeit. Trotzdem wurde von der Nazi-Führung der Krieg fortgeführt, und Hunderttausende fanden noch in den letzten Kriegsmonaten den Tod. Die Alliierten hatten eine deutliche Luftüberlegenheit erlangt und flogen im großen Umfang weiterhin Luftangriffe. Dabei wurden neben militärisch wichtigen Zielen auch Städte ohne militärischen Grund großflächig bombardiert (vgl. [1]). Der schrecklichste Angriff dabei war die weitgehende Zerstörung der Kulturstadt Dresden.
Halle und sein Umland waren zunächst verschont geblieben von größeren Bombenangriffen. 1944 wurden dann die hallischen Siebel-Flugzeugwerke durch Luftangriffe zerstört. Am 27. Februar 1945 fand der bis dahin größte Luftangriff auf Halle statt. US-amerikanische Bomber warfen 723 Tonnen Bomben ab; Hunderte Hallenser verloren ihr Leben [2]. Bei diesem Luftangriff wurde auch Dieskau bombardiert. Im Dorf waren drei Flakbatterien mit 36 Geschützen stationiert.
Gegen 12:30 Uhr warfen amerikanische Flieger ca. 195 Bomben auf Dieskau und ca. 150 auf die Feldflur des Dorfes. Diese Angaben sind Aufzeichnungen des damaligen Dieskauer Lehrers Hans Dyhern entnommen [3].
Getroffen wurde besonders der Bereich südlich Wendemarkstraße (im Lageplan nicht erfasst). Wie durch ein Wunder konnten sich die Familien Gießler, Tettenborn und Kopf aus dem Keller des Eckhauses Döllnitzerstraße/Wendemarkstraße retten. Auch im Nachbarhaus kamen alle mit dem Schrecken davon, da eine in den Luftschutzkeller einschlagende Bombe nicht detonierte. Das Haus Ecke Döllnitzer- und Walkerstraße wurde fast vollständig zerstört [3]. Im Mühlweg (im Lageplan nicht erfasst) verletzte ein Bombensplitter Herrn August Bürkel tödlich.
Auch das damalige Rittergut und der Brunnenplatz, an dem Wohnhaus und Stall des damaligen Schmiedemeisters Koch besonders schwere Beschädigungen erlitten, wurden getroffen.
Der heute im 86. Lebensjahr stehende Dieskauer Eberhard Franke wohnte damals am Brunnenplatz und erinnert sich:
„Im Luftschutzbunker roch es immer muffig, und er war mit flackerndem Licht spärlich beleuchtet. Bei einem Aufenthalt dort gab es nach entfernteren Bombeneinschlägen einen ungeheuer lauten Knall – es wackelten die Wände, alle schrien, einige weinten. Ich habe damals wahrscheinlich einen Schock erlitten. Eine Bombe war in wenigen Metern Entfernung vom Bunkereingang explodiert und hatte einen Bombentrichter hinterlassen. Das Verlassen des Bunkers über den Eingang war nicht mehr möglich, sodass wir nach Angriffsende alle über den Notausstieg ins Freie klettern mussten. Das Ausmaß der Verwüstungen war groß – kein Fenster an den Häusern war mehr ganz, einige Türen herausgerissen, kaum noch Ziegel auf den Dächern, überall Schutt. In unserer Wohnung war der Schmalztopf auf dem Fußboden zerbrochen, und Glasscherben waren überall, sogar in den Betten. Ich habe noch Jahre lang von diesem Ereignis geträumt. Aber – alle waren am Leben geblieben“.
Zwischen Pfarrhaus und alter Schule fiel eine Bombe, zwei andere in die Scheune gegenüber. Mehrere Bomben fielen im Schlossbereich, eine mitten in den Schlosshof. Die Mauer des Kirchhofs stürzte zum Teil ein. Die tragischsten Treffer an diesem Tag waren zwei Bomben auf den Schaafschen Vierseitenhof an der Benndorfer Straße.
Frau Hermine Erdelbrock geb. Schaaf, Jahrgang 1949, gibt aus Familienberichten wieder [4], [5]:
„Durch zwei Bomben auf mein Elternhaus kamen 5 Kinder und 5 Erwachsene ums Leben. Fotos von damals lassen das Ausmaß der Zerstörung erahnen.
Der hintere Keller musste von oben frei geschippt werden. Frau Ilse Rasch hatte sich mit ihren Kindern in Sicherheit bringen wollen. Ihr ältester Sohn Ottfried 12 Jahre alt, wurde extra von seiner Oma aus der Döllnitzer Straße in den Keller zu Schaafs geschickt; der 10-jährige Hartmut, Irmela 9-jährig, Gudrun 5 Jahre alt und die 3 Wochen alte Edda waren mit der Mutter gekommen, und alle konnten nur noch tot geborgen werden. Auch das polnische Hausmädchen Karoline, sowie Franz Löwel, ein Flüchtling, hatten im hinteren Keller nicht überlebt. Frau Elisabeth Schanz, vermutlich eine Frau aus den Ostgebieten, starb im Zimmer darüber. Stephan, der polnische Kriegsgefangene, war eine unentbehrliche Kraft auf dem Hof sowie in unserer Landwirtschaft, da mein Vater im Krieg (Griechenland) war. Er hatte es zum Glück nicht mehr in den Keller geschafft und wurde nur am Arm verwundet.
Dorfbewohner und Angehörige der Flakbatterien arbeiteten bis in die Nacht hinein, sogar mit Fackellicht, um diesen Keller frei zu schaufeln. Es gelang nicht! An diesem Tag konnten etwa 35 Familien nicht mehr in ihr Zuhause zurück. Erst am nächsten Tag wurden die zerstückelten Leichen aus dem Keller geborgen.
Schaafs Wohnhaus 1945 von der Straße gesehen – das Dach ist z.T. abgedeckt und die Hauswand ausgebrochen, verursacht durch die Druckwelle im Keller des zerstörten Teils.
Hans Dyhern meinte damals [3]: „Man kann trotz alledem sagen, dass wir bei den vielen Bomben, die hier gefallen sind, immer noch Glück gehabt haben – ganz Dieskau hätte zerstört werden können“.
Auch beim verheerendsten Bombenangriff auf Halle am 06.04.1945 wurde Dieskau mit bombardiert, und fünf Flaksoldaten verloren ihr Leben. Jetzt, 80 Jahre nach diesen schrecklichen Ereignissen, ist der Wunsch nach Frieden in der Welt allgegenwärtig. Mögen keine Bomben mehr fallen, nicht auf Dieskau und nirgendwo auf der Welt.
Quellen: [1] Gröhler, Olaf: Bombenkrieg gegen Deutschland, Berlin, Akademie-Verlag 1990
[2] Wikimedia: https://wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Halle_(Saale)
[3] Dyhern, Hans: Aufzeichnungen 1945, in Maron, Wolfgang: Geschichte des Dorfes Dieskau 1987 [4] Schaaf, Carl: Dieskauer Chronik, Rottweil a.N./Dieskau 1975
[5] Fotoarchiv Familie Schaaf und mündliche Überlieferung aus der Familie