Es geschah an einem Freitag, einem 13, im März 1925. Der hallesche Volkspark - seinerzeit der größte und modernste Versammlungsort Halles - muss bis auf den letzten Platz besetzt gewesen sein. Ernst Thälmann, stellvertretender Vorsitzender der KPD und Vorsitzender des Roten Frontkämpferbundes, hatte sich als Redner angemeldet, um sich als Präsidentschaftskandidat für die Reichspräsidentenwahl 1925 vorzustellen. Doch zu seiner Rede kam es nicht. Als damit begonnen wurde, Grußworte eines französischen und englischen Genossen zu übersetzen, griff die Polizei ein und löste die Versammlung gewaltsam auf. Am Ende des nun ausbrechenden Chaos waren letztlich 10 Tote und zahlreiche Verletzte zu beklagen, abgesehen von einem verwüsteten Versammlungsort.
Die damaligen Ereignisse gingen als „Blutfreitag von Halle“ in die Geschichte ein. Es war der Tag, an dem der Besenbinder Friedrich August Weineck aus dem halleschen Glaucha erschossen und der Maurer Walter Naumann aus Zwintschöna wahrscheinlich gestürzt, zerquetscht oder zu Tode getreten wurden.
Die Schuldigen wurden sehr schnell ausgemacht. Für die Kommunisten stand bereits am nächsten Tag fest, dass der „Proletariermord“ die Wahl Thälmanns verhindern sollte. „Polizeibestien feuern im geschlossenen Raum Salven auf wehrlose Versammlungsbesucher“, so eine Überschrift im „Klassenkampf“, dem Organ der kommunistischen Partei. Mit Blick auf die Berichterstatter anderer Medien schossen sich die Kommunisten auf die Sozialdemokraten ein. Eindeutiger ging es kaum: „Aber wie immer, in solchen Zeiten finden sich die Aasgeier, die aus den Bluttaten für sich etwas herausholen wollen. An der Spitze steht natürlich wieder einmal die SPD. Das „Volksblatt“ (Organ der sozialdemokratischen Partei), dieses Reptil von Verbrechern für Verbrecher, wagt zu schreiben: die Schuldigen sind die Kommunistische Partei und der Oberleutnant Piezker“ (Pietzker, Kommandeur der anwesenden Polizeitruppe).
Anders die bürgerliche Darstellung (Saale-Zeitung): Danach verstießen die Veranstalter wissentlich gegen eine Auflage der Polizei, nämlich dem Redeverbot ausländischer Kommunisten. Als jene dann die Versammlung auflösen wollte, sollen die ersten Biergläser von der Galerie in Richtung der Polizisten geflogen sein. Auch Schüsse auf die Polizei sollen abgegeben worden sein. Erst hiernach hätten die Polizisten zurückgeschossen. Und mit einem Seitenhieb auf die Kommunisten notiert die Zeitung: „Der Engländer, durch den die kommunistische Parteileitung jene Unglücksversammlung im Volkspark interessant machen suchte, ist jetzt in Magdeburg festgestellt worden. Es ist ein Deutscher, der lange Jahre in England lebte. Der Herr hätte seine Rede im fließenden Deutsch halten können, aber um dem gutgläubigen Troß einen ‚echten Internationalen‘ vorstellen zu können, ließ man ihn unter dem Deckmantel eines Engländers englisch reden! Der Mann war zuletzt in Moskau und ist eigens von dort nach Deutschland geschickt, um kommunistische Propaganda zu betreiben“…
Irgendwie wird wohl die Wahrheit mal wieder zwischen den beiden Polen gelegen haben.
Während Fritz Weineck, Hornist eines Spielmannzuges des Roten Kämpferbundes, später als „Kleiner Trompeter“ in der DDR allgemein hoch geehrt wurde, fiel der Name „Naumann“ - wie andere auch - sehr schnell in Vergessenheit.
Seine Beerdigung in Dieskau allerdings muss sich nach Aussagen der kommunistischen Zeitung „Klassenkampf“ nochmals zu einer „ungeheuren Massenkundgebung“ ausgeweitet haben. Seit der Übernahme des Leichnams durch Genossen seiner Heimat am Walhalla (heute: Steintor-Variete`) „begleitete ein sehr starker Zug mit einer stattlichen Anzahl Banner und Fahnen“ seinen letzten Weg. Dieser führte unter musikalischer Begleitung über Kanena (damals: Canena) und Zwintschöna zum Friedhof in Dieskau. „Der Friedhof konnte die Massen bald gar nicht fassen“. Und als Höhepunkt der Grabrede schallte über die Stätte des Friedens der Satz: „Nicht klagen wollen wir, sondern kämpfen“.
„Ein Wald von Fäusten stand bei diesen Worten in der Luft und legte Zeugnis ab, daß diese Worte einmal in die Tat umgesetzt werden sollen. Mancher Spießer wird bei diesem Anblick das Blut eiskalt durch die Adern geronnen sein“, so der „Klassenkampf“. Aber nicht genug damit. In einer abendlichen Protestveranstaltung in Canena sprach der Redner vom Golgathaweg des Proletariats in Anspielung auf den Verrat an Jesus Christus durch seinen Jünger Judas. In heutiger Zeit würden die „sozialdemokratischen Führer“ diese Rolle des Verräters übernehmen.
In erster Linie waren damit der preußische Innenminister Severing, der Regierungspräsident Grützner in Merseburg und der hallesche Polizeipräsident Runge gemeint. Dieser verlor zwar sein Amt, doch 1926 sah man ihn schon wieder als Landrat im Kreis Quedlinburg …
Nach der Zeit des Nationalsozialismus findet man in den Medien zwar mehrmals Informationen zu den Ereignissen vom 13. März 1925, meistens beziehen sie sich jedoch lediglich auf zwei Personen: Ernst Thälmann und Fritz Weineck. Erstaunlich ist es da, dass zum 89. Geburtstag Walter Naumanns am 6. Mai 1988 auf dem Dorfplatz in Dieskau ein Gedenkstein errichtet wurde. Allerdings fand die Einweihung des Denkmals in einem recht überschaubaren Kreis statt. Pioniere und FDJler der Dieskauer Oberschule „Friedrich-Ludwig-Jahn“ waren zum Festappell angetreten, eine Kollegin der Schule sang mit ihren Hortkindern das „Lied vom Kleinen Trompeter“ und zu den Klängen der Internationalen legten die Schülerinnen und Schüler sowie ein Genosse der WPO Blumen nieder (WPO - Wohnparteiorganisation der SED), wusste die „Freiheit“, Organ der Bezirksleitung Halle der SED, am 18.Mai 1988 zu berichten.
Der demokratischen Revolution 1989 und den sich bald anschließenden Bauarbeiten im Zuge der Dorferneuerung in Dieskau ist es schließlich wohl auch geschuldet, dass das Denkmal in den 90er Jahren wieder abgetragen wurde und wahrscheinlich für immer verschollen bleibt. Nachfragen bei Anwohnern, der Gemeindeverwaltung, der Behörde für Denkmalschutz und der Nachfolgeorganisation der SED führten nicht zum Erfolg. Auch Hinweise auf ein Grab auf dem Friedhof waren nicht zu finden. So bleibt wohl nur noch die Erinnerung an einen jungen Zwintschönaer Bürger und Genossen, der unverschuldet Opfer politischer Auseinandersetzungen seiner Zeit wurde, an einen Familienvater, der drei kleine Kinder und eine schwangere Frau hinterließ.