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Amtsblatt der Gemeinde Kabelsketal mit den Ortsteilen
Ausgabe 9/2024
Ortschaft Dieskau
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Freier Bauer auf freiem Land

Präsident der DDR 1949 - 1960

Schloss Dieskau

Junkerland in Bauernhand - Gut Dieskau - Momente einer Enteignung

Wendepunkte in der Geschichte gab und gibt es immer wieder. Einer dieser Punkte war ohne Zweifel der dramatische Neuanfang nach dem totalen Zusammenbruch des nationalsozialistischen Systems in Deutschland 1945.

Über die Richtung, in der sich die Gesellschaft in Zukunft zu entwickeln hatte, entschieden jetzt die Besatzungsmächte. Hier im mitteldeutschen Raum rückten vorerst amerikanische Truppen ein. Ihr Bleiben war allerdings nur von kurzer Dauer. Schon vor Kriegsende verständigten sich die späteren Siegermächte darüber, dass Sachsen, Thüringen, Anhalt und die preußische Provinz Sachsen dem sowjetischen Machtbereich zugeschlagen werden soll. Damit war klar, dass auch der Saalkreis unter Einfluss der sowjetischen Truppen gelangen wird.

Dieses geschah denn auch in den ersten Tagen des Julis 1945. Was Wunder, dass nun nach dem Vorbild der Sowjetunion ein groß angelegter Enteignungsprozess von der kommunistischen Partei zügig vorangetrieben wurde. War sie doch der Auffassung, dass gerade die Großgrundbesitzer zu den aggressivsten und reaktionärsten Kräften der Gesellschaft gehörten, die über Jahrhunderte die Bauern ausbeuteten und in jüngster Vergangenheit aktiv die Naziherrschaft unterstützten. „Wir werden sie aus ihren Schlupfwinkeln hervorbringen und mithelfen, daß sie nie und nimmer werden ihr Unwesen treiben können.“ „Wir brauchen eine Bodenreform, die die Enteignung der Reaktionäre, der Kriegsverbrecher und Faschisten vorsieht und uns in die Lage versetzt, wieder als freier Bauer auf unserer Scholle zu leben“, hieß es in einem Artikel der kommunistischen Volks-Zeitung vom 31. August 1945. (1) Dabei war vorgesehen, jeglichen Grundbesitz über 100 ha und sonstiges Eigentum entschädigungslos einzuziehen. Wilhelm Pieck, Vorsitzender der KPD, gab mit seiner Rede am 02. September 1945 im brandenburgischen Kyritz den Startschuss für den jetzt einsetzenden historisch bedeutenden Prozess. (2)

Den in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) zugelassenen bürgerlichen Parteien CDU und LDP blieb letztlich nach anfänglichen Bedenken und Einsprüchen keine andere Wahl, als der von der KPD und SPD angestrebten „antifaschistisch-demokratischen Bodenreform“ zuzustimmen. Nach zahlreichen Bauernkonferenzen am 02. September 1945 in der Provinz Sachsen (Die Konferenz des Saalkreises fand im halleschen „Volkspark“ statt.) erließ die Provinzialregierung der Provinz Sachsen am 03. September die „Verordnung über die Bodenreform in der Provinz Sachsen“. Bis zum 09. September folgten gleichlautende Verordnungen in allen Ländern der SBZ.

Auf der Grundlage jener Verordnungen und Durchführungsbestimmungen wurden Bodenkommissionen in den Gemeinden gewählt, die die Aufgabe hatten, den gesamten Prozess der Enteignung zu leiten. Dazu gehörte, den enteigneten Besitz zu erfassen, den beschlagnahmten Boden und das lebende und tote Inventar zu sichern sowie Vorschläge für die Aufteilung einer Vollversammlung der Bodenbewerber zu unterbreiten. (3)

Für die Dieskauer Kommission hieß es unter anderem, das Rittergut derer von Bülow an landlose und landarme Bauern sowie Umsiedler (im jetzigen Sprachgebrauch: Flüchtlinge, Vertriebene) und Kleinpächter zu verteilen.

Mit ca. 580 ha nahm sich der Besitz der Familie von Bülow im Vergleich zu den 22000 ha des Fürsten Stolberg-Wernigerode oder des Herzogs von Anhalt mit 20000 ha nahezu ärmlich aus, doch nach den Vorgaben der Verordnung musste auch dieses Gut enteignet werden. (4)

Normalerweise brauchte es für die Enteignung von Bülows keine weitere Begründung, doch der Bürgermeister sah es wahrscheinlich als seine Pflicht an, dem Landrat dennoch Gründe für die Enteignung mitzuteilen. Am 08. September 1945 schrieb er so dem Landrat, dass von Bülow seit 1933 Mitglied der NSDAP gewesen sei. In seiner Eigenschaft als Bürgermeister ab 1935 hätte er sich dann als „Arbeiterfeind allerschlimmster Sorte“ gezeigt. Zum Beweis führte er an, dass von Bülow es geduldet hätte, dass ausländische Arbeiter „nicht nur geschlagen, sondern kaltblütig über den Haufen geschossen“ wurden. Für diese Tat wäre er „voll und ganz verantwortlich, weil auf seinem Grund und Boden geschehen.“ Er (der Bürgermeister) sei „mit dem größten Teil der Einwohnerschaft“ der Auffassung, „dass es an der Zeit ist, diese Sorte Menschen erst mal das Arbeiten zu lernen.“ Die Devise könne nur heißen: entschädigungslose Enteignung! (5) Inwieweit die Anschuldigungen des Bürgermeisters berechtigt waren, ist aus Mangel an sicheren Quellen nicht nachvollziehbar. Auf jeden Fall scheinen wohl bei weitem nicht alle Bürger Dieskaus seiner Meinung gewesen sein. Zumindest soll es von Bülow als Bürgermeister gelungen sein, beträchtliche Steuereinnahmen für die Gemeinde von den Betreibern der Kohlegruben einzutreiben. (Vorher flossen jene nach den Gemeinden Ammendorf und Bruckdorf.) Durch solche Maßnahmen rechnete man es ihm als hohen Verdienst an, „die Gemeinde bald schuldfrei gemacht zu haben.“ Soweit zum Thema „Arbeiten lernen“… Die selbe Quelle weiß auch zu berichten, dass von Bülow auf jegliche Diäten als Bürgermeister freiwillig verzichtetet haben soll. (6)

Quellenverzeichnis

(1) Volks-Zeitung, Organ der Kommunistischen Partei Deutschlands für die Provinz Sachsen, 31.8.1945

(2) vgl. Pieck, Wilhelm, Junkerland in Bauernhand, Rede zur demokratischen Bodenreform, Kyritz, 2.9.1945, Berlin 1955

(3) - vgl. Hebestreit, Fritz, Gedanken zum 40. Jahrestag der Bodenreform, in: Junkerland in Bauernhand/ Zur Durchführung der Bodenreform und Festigung ihrer Ergebnisse im Saalkreis, Bezirk Halle (1945-1952), 5ff, hrsg. Von Kreisleitung der SED, Merseburg, o.J.

- vgl. Dietrich, Hannelore, Zur Durchführung der demokratischen Bodenreform und der Festigung ihrer Ergebnisse im Saalkreis, in: siehe oben, 17ff

(4) vgl. Bodenreform in Deutschland

https://de.wikipedia.org/wiki/Bodenreform_in_Deutschland/05.01.2023

(5) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg, K 13 Landratsamt und Kreiskommunalverwaltung Saalkreis

(6) Schaaf, Karl, Beiträge zur Chronik Dieskaus, Rottweil a.N. und Dieskau 1975, Manuskript, Bd. 2, S196f

Dr. Rainer A. Niephagen

Fortsetzung folgt