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Heidenauer Journal - Amtsblatt und Stadtzeitung der Stadt Heidenau
Ausgabe 10/2024
Das Leben in Heidenau
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Löwenberg in Schlesien – Feinheiten eines Städtchens im Gebirgsvorland

Historische Darstellung des Laubaner Torturms mit Innenansichten

Als der slawische Herzog Heinrich I. („der Bärtige“) und seine Frau Hedwig von Andechs um das Jahr 1200 friedvolle deutsche Siedler nach Schlesien, speziell in den weiten Bobergau einluden, bewirkte diese weitreichende Geste viele Dorf- und zahlreiche Stadtgründungen: 1211 Goldberg, 1214 Neumarkt, 1242 Breslau (jedoch war bereits im Jahr 1000 der Bischofssitz vorhanden), 1281 Hirschberg, 1291 Waldenburg, 1217 Löwenberg.

Der damals mächtige Grenzwald (Löwenberger Hag), der zuvor die Lausitz von Schlesien getrennt hatte, wirkte alsbald vereinend – Löwenberg wurde einer der schlesischen Besiedlungsmittelpunkte. Dies zeigte sich vor allem darin, dass das vom Magdeburger Stadtrecht hergeleitete Löwenberger Stadtrecht ebenso weiteren Städten verliehen wurde.

Bis hierher, lieber Leser, sind es bereits vier bestimmende Besonderheiten „unserer“ Stadt Löwenberg: ihr zeitenloser Boberfluss; ein Mittelpunkt der Rodungsbesiedelung; anderenorts Anwendung ihres bewährten Stadtrechts; einst die doppelwandige Stadtmauer mit Bunzlauer, Laubaner und Goldberger Torturm.

Da die Zeit nicht stehen blieb, traten weitere Feinheiten hinzu: Stadt der Tuchmacher (im Jahr 1548 nahezu 300 eingeschriebene Tuchmachermeister) und des Tuchhandels im heutigen historischen Rathaus; Zentrum des Goldwaschens („Seiffens“) für die dörflichen Fundstellen des Weichbildes; ab 1852 Musikstadt unter Prinz Friedrich Wilhelm von Hohenzollern-Hechingen; die älteste europäische Bierbrauerei anstelle der mittelalterlichen Burg; Sandsteinformationen im direkten Löwenberger Umfeld und nördlich gelegene Fundstellen, in denen das Gesteinsmaterial für das heutige Bundestagsgebäude in Berlin und auch für dortige Siegessäule gewonnen worden ist.

Da wir Vollständigkeit nicht erreichen wollen und erzielen können, lenken wir unseren Blick nun aber auf einen Löwenberger Bereich, der in der Geschichtsschreibung leider kaum erwähnt wird: das Löwenberger Jugendherbergswesen, damals auch eine Besonderheit, die Löwenbergs Reiz maßgeblich mitprägte, jedoch nicht nur positiv. Ich muss eingestehen, dass es erst eine alte Zeitung, der „Löwenberger Beobachter“, war, die meinen Blick darauf lenkte, weil einmal mehr das Archiv der deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein nachhalf.

Die Wandervogel-Bewegung frohsinniger junger Menschen ab 16 Jahre entstand in Deutschland um 1898 und breitete sich rasch aus, auch in Schlesien. Ihre Bezeichnung weist bereits auf den Kern des Zusammenhalts der Jugendlichen hin, nämlich sich überwiegend per Fuß die nähere und fernere Heimat zu erschließen, sogar im Ausland unterwegs zu sein. So entstanden bald hier und da einfache Unterkünfte, Herbergen zum Übernachten und am nächsten Morgen nach einfachem Frühstück Weiterziehen. In Löwenberg gewann diese neue Idee früh Zuspruch – Apotheker Max Zwirner (zehn Jahre später war er gemeinsam mit seiner Gattin Elisabeth Bauherr des Boberhauses) stellte in seiner Adler-Apotheke einige Räume zur Verfügung, offiziell „Deutsche Studenten- und Schülerherberge“ benannt, eine der ersten in ganz Deutschland.

1910 zog diese Löwenberger Jugendherberge in das wohl schönste mittelalterliche Gebäude der Boberstadt um – in das prächtige Renaissance-Gebäude am Markt gegenüber dem Rathaus. Dieses schöne Haus hatte der „Verein für Heimatschutz“, Vorsitzender Max Zwirner, erworben. Wie sich bald zeigte, waren die Bedingungen dort nicht die besten, so dass über die Arrestzellen der ehemaligen Hauptwache am Löwenberger Markt als Jugendeinrichtung verfügt wurde. Der Zuspruch der wandernden Jugendlichen auf Herbergsunterkünfte, besonders im „schlesischen Rothenburg“, stieg und stieg.

Nun brachte Max Zwirner, „Vater“ des Löwenberger Herbergswesens, den Laubaner Torturm ins Gespräch, der gründlich renoviert und reizvoll ausgemalt wurde. Zu jener Zeit - wir befinden uns im Jahr 1912 - konnte in die Löwenberger Chronik zufrieden aufgenommen werden, dass in dieser einladenden Stadt eine der ersten deutschen Jugendherbergen (Adler-Apotheke) eröffnet worden war und dass im Laubaner Torturm die romantischste Herberge Deutschlands existierte.

1910 war ein neues Löwenberger Wahrzeichen unter Professor Hans Poelzigs Händen als Knaben-Wohnheim entstanden, 1926 von der Schlesischen Jungmannschaft als Grenzschulheim „Boberhaus“ erworben und 1937 durch die NSDAP „enteignet“. Sofort setzten zügellose Umbauten ein, um hier im „Jugendhof“ massenhaft Jugendlichen die „Gedanken und Fähigkeiten des Führers“ eintrichtern zu können. Bald „wandelte“ sich der Jugendhof in ein Lazarett, hernach zum Lager für Fremdarbeiterinnen, bevor das Boberhaus total niederbrannte und die Überreste Mitte Februar 1945 gesprengt wurden. Es schmerzt noch heute, wie jene „Nazi-Größen“ damals alles in ihren braunen Morast getreten haben, so auch das Löwenberger Jugendherbergswesen. Neuanfang nach 80 Jahren ist bisher nicht in Sicht...

Werner Guder