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Heidenauer Journal - Amtsblatt und Stadtzeitung der Stadt Heidenau
Ausgabe 12/2024
Das Leben in Heidenau
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Abgelauscht: Nächtliches Geflüster im Barockgarten Teil 2

Herkules

Barockgarten in Not – Skulpturen in Aufruhr (1. Studie), 2021, Tusche und Aquarell

Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, ich wollte prüfen, welche Steinfigur sich brav noch auf ihrem Sockel befindet.

Hermes war noch da, aber sein Kopf zeigte in die andere Richtung, dorthin, wo Herkules gleich von vier Richtungen aus zu sehen ist. Das nennt man Blickachsen. Übrigens, wenn mehrere Achsen auf dasselbe Ziel gehen, kannst du seine Wichtigkeit erkennen. Im Großsedlitzer Park zeigen die längsten und breitesten Wege zum Schneeberg in Böhmen. So konnte der Sachsenkönig mit seinem Park die ganze Umgebung einbeziehen und sein Herrschaftsgebiet markieren. Genialer Zug! Deswegen ist auch der Park hier ganz oben angelegt, weil man da den besten Blick über das Land hat! – Ob diese 'Weitsicht' heute noch erkannt wird?

Ich wollte nun zu Herkules, dem griechischen Helden, Schlaukopf und Muskelprotz in Personalunion – ganz klar, dass August der Starke, der sächsische Kurfürst und polnische König, sich diesen Gott als Vorbild genommen hat. (Angeblich konnte August ein Hufeisen aufbiegen!) Sein Vorbild ruht sich aus: Gestützt auf seine Keule, trägt er in der einen Hand die goldenen Äpfel der Hesperiden. Die „goldenen Äpfel“, das sind Zitronen und Orangen, die damals heiß begehrt waren. Vor allem aber sind sie das Sinnbild für die Unvergänglichkeit einer guten Herrschaft in Frieden und Wohlstand. Aber als ich am Herkules-Rondell ankam, war auch dieser Sockel leer. Was waren in dieser Nacht für geheimnisvolle Dinge im Gang? Was war die Ursache?

Schnurstracks lief ich die Querachse hoch, denn dort standen Kybele und Hera – Kybele, ursprünglich geschaffen von Bildhauer Thiele, ist gut an der Stadtmauer als Krone zu erkennen, während Hera, die Gemahlin von Zeus, stolz einen Pfau dirigiert. – Beide Gestalten fehlten. Waren sie bei Amerika, Asien, Europa, Afrika? – allesamt Figuren, die zeigen sollten, dass die damaligen Herrscher neugierig und weltoffen waren.

Plötzlich war deutlich Diana mit ihrem Jagdhorn zu vernehmen. Noch vor dem Eisbecken. Ich rannte hinunter zu den Waldkaskaden, musste einen Bogen um einen Springbrunnen machen. Durch einen Spalt in der Hecke sah ich sie und zählte – Donnerwetter! 54 versammelte Figuren!

Ich hörte: „Nein, wir können nicht unsere Vorfahren in der Oberen Orangerie dazu holen, dort ist abgeschlossen!“ – „Aber wie sollen wir dann erfahren, in welcher Zeit wir leben?“, frug eine andere Stimme – Im tiefen Bass dröhnte Herkules „Es sind ganz sicher dreimal 100 Jahre vergangen! Seit anno 1723 bin ich im Park, wache alle 100 Jahre einmal auf. Beim ersten Mal dröhnten mir noch die Ohren von einem Krieg, der uns großen Schaden zugefügt hat.– und er zeigte auf seine breite Brust – seht ihr die alten Narben? Das zweite Mal – viel, viel besser! – weckte mich fröhlicher Kinderlärm, denn im Schloss gab es ein Kindererholungsheim, sogar ein Krankenhaus. Und ein Wirtshaus!“

„Also bist du heute zum dritten Mal munter geworden. Und wir auch!

Ähm, - das sind ja Dreihundert Jahre!! Das müssen wir doch feiern! So haben wir doch endlich Anlass, endlich einmal vom Sockel zu steigen und vor allem miteinander zu sprechen“, sprachen Ceyx und Alcyone. Zustimmendes Rufen von allen Seiten: „Ewig auf dem Sockel hocken! ohne ein Tänzchen halten wir nicht noch mal 100 Jahre durch!“ „Wo ist das nächste Weinfass?“, sprach Bacchus, der Weingott. „Ein Fest mit lauter Musik soll arrangiert werden!“, jubelte es.

Ich hörte den munter gewordenen Steinen noch ein Weilchen zu. Hörte, wie sie erkunden wollten, was es hinter dem Parkrand Neues gibt, wissen wollten, ob noch andere Kontinente entdeckt worden waren, ob wieder Kometen vorbeigeflogen wären, wie es den Menschen ginge, ob noch anderes gebaut wurde in den vielen Jahren. – Wie es einem eben geht, wenn man aus einem langen Schlaf erwacht ist…

Im Weggehen vernahm ich: „Wir stellen uns nach der Feier ruhig wieder auf den Sockel, und tun so, als könnten wir kein Wässerchen trüben!“

Förderverein Freundeskreis Barockgarten Großsedlitz e.V.