Der Gutshof Palmse im Nationalpark Lahemaa ist der erste komplett renovierte Gutshofkomplex Estlands.
In der letzten Juniwoche wurde im Barockgarten Großsedlitz im Beisein der Botschafterin der Republik Lettland in der Bundesrepublik Deutschland, I.E. Alda Vanaga, und mit Unterstützung der Ostsächsischen Sparkasse Dresden die Sonderausstellung „Adeliges Leben im Baltikum“ eröffnet. Die Wanderausstellung erzählt anhand von Zeitdokumenten über das Leben des deutschbaltischen Adels im ehemaligen Livland und Kurland. Das Thema wird auf den ersten Blick vielleicht erstaunen, steht aber durchaus in enger geschichtlicher Beziehung zu Großsedlitz.
Zunächst ist da die Lage: Der Blick nach Osten ist unser Anliegen insbesondere hier in Grenznähe. Entsprechend des Bildungsauftrages, den die Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten Sachen gGmbH erfüllt, möchten wir den Blick weiten und andere Adelsgesellschaften vorstellen.
Zum zweiten gilt das Augenmerk der mit August dem Starken verbundenen Geschichte von Großsedlitz selbst: August hatte bei seiner Königswahl versprochen, das schwedische Livland (die Gegend um Riga), seit dem polnisch-schwedischen Krieg schwedisch besetzt, für Polen zurückzuerobern. Mit Peter dem Großen begann er den Nordischen Krieg – und verlor ihn, sowie zeitweilig auch die polnische Krone. Livland wurde für 200 Jahre russisch.
Und schließlich wollte August III. auf das Kurland westlich und südlich von Livland Einfluss nehmen. Sein Sohn Moritz von Sachsen sollte dort Herzog werden und war sogar bereit, Anna Iwanowna, eine Nichte Peters des Großen und spätere russische Zarin, zu heiraten. Diesen Plan verhinderte jedoch der polnische Sejm (Reichstag). August III. konnte später seinen Sohn Karl als Herzog von Kurland installieren, allerdings nur kurzzeitig für etwa ein Jahr. Heute noch zeugt davon das Kurländer Palais in Dresden.
Viele der deutschbaltischen Adelsfamilien herrschten seit Generationen über ihre Ländereien – als Grundherren, als Richter, als Verwalter. Sie sprachen deutsch, dienten oft im russischen Zarenreich, und doch waren sie tief verwurzelt in den baltischen Landschaften, die ihre Heimat bildeten. Ihre Schlösser und Herrenhäuser waren nicht nur Wohnsitze, sondern Symbole ihrer kulturellen Identität und sozialen Stellung.
Das Leben in einem baltischen Adelssitz war geprägt von einem streng hierarchischen Alltag. Es war ein Leben in repräsentativer Funktion: Empfänge, Diners, Musikabende und Jagdgesellschaften gehörten ebenso dazu wie die Verwaltung großer Güter und die Sorge um die wirtschaftliche Grundlage der Familie. Gleichzeitig war das Herrenhaus ein Ort des Rückzugs – voller Bücher, Musik, Kunst und Bildung. In den Bibliotheken wurden Werke der Aufklärung gelesen, in den Salons über die neuesten Ideen aus Paris und Berlin diskutiert.
Doch der Glanz dieser Welt ruhte auf den Schultern der vielen namenlosen Arbeiter und Bediensteten, deren Leben vom Dienst für die Herrschaft bestimmt war. Auch diese Stimmen gehören zur Geschichte der baltischen Schlösser – und sind in die Erinnerung einzuschließen.
Mit dem Aufkommen der Nationalbewegungen, der russischen Revolution und schließlich der Agrarreformen Anfang des 20. Jahrhunderts ging das adelige Leben in den baltischen Schlössern unwiderruflich zu Ende. Viele Familien wurden enteignet, ihre Schlösser verfielen oder wurden zu Schulen, Museen und Sanatorien.
Und doch stehen heute viele dieser Bauwerke noch. Einige sind herausragend rekonstruiert – als Kultureinrichtung oder Hotel. Sie sind mehr als nur Steine – sie sind Gedächtnisorte. Orte, an denen sich Geschichte, Kunst, Architektur und gesellschaftlicher Wandel überlagern.
In der Sonderausstellung im Barockgarten Großsedlitz kann diese Facette der Geschichte im östlichen Europa nun mit Text und Bildern nachvollzogen werden. Sie sind herzlich eingeladen, die Ausstellung in der Langgalerie bis zum 21. September zu besuchen und mit einem Spaziergang durch das „Sächsische Versailles“ August des Starken zu verbinden.