Hans Poelzig, Kunstakademie Breslau
Diorama des Boberhauses in Löwenberg/Schlesien
Hans Poelzig, am 30. April 1869 in Berlin geboren, in gutsituierten Verhältnissen herangewachsen und nach rastlosen Jahren ergebnisreichen Schaffens ebenda am 14. Juni 1936 verstorben, war ein überaus talentierter und disziplinierter Mensch. Er gab überall sein Bestes und wirkte auf die junge Generation wie auf Kollegen oder Auftraggeber höchst zuverlässig und nachhaltig.
Der junge Mann, seit der Konfirmation zutiefst mit dem evangelischen Glauben verbunden, studierte nach dem Abitur am Victoria-Gymnasium Potsdam an der Technischen Hochschule Charlottenburg, Hochbau und belegte nebenher Seminare für Baukunst. So war er bestens für seine beruflichen Anforderungen vorbereitet. Bald berief ihn das Preußische Kultusministerium nach Breslau als Lehrer für Stilkunde an der Königlichen Kunst- und Kunstgewerbeakademie. Dort wurde er 1903 - erst vierunddreißigjährig - als Direktor eingeführt.
Dass sich Poelzig 1916 schließlich doch für Dresden entschied, war er infolge seiner schlesischen „Handschriften“ - etwa Breslauer Geschäftshaus Junkernstraße und in Nachbarschaft ein ansprechender Häuserblock, Rathausumbau Löwenberg, Kirche Maltsch, Pergola an der Jahrhunderthalle, Wasserturm Posen, Boberhaus Löwenberg, sein Eigenheim im Landhausstil in Breslau-Leerbeutel... - auch weit darüber hinaus ein Vorbild. Ihm wäre der Wechsel von Breslau nach Sachsen als Dresdner Stadtbaurat für Hochbau noch schwerer gefallen, hätte es hier nicht in mannigfachen Formen reizvolle Barock-Baukunst gegeben. Oberbürgermeister Dr. Bernhard Blüher suchte damals händeringend würdigen Ersatz für den im Herbst 1914 tödlich verunglückten Stadtbaurat Professor Hans Erlwein. Bis 30. April 1916 - mehr als anderthalb Jahre - war diese herausragende kommunale Position vakant geblieben, bevor Hans Poelzig sie verantwortungsbewusst ausfüllte.
Ihn hierher zu verpflichten, obwohl Deutschland am 26. Juli 1914 den militärischen Flächenbrand entfacht hatte, wurde vom einflussreichen Direktor der Deutschen Werkstätten Hellerau, Karl Schmidt, und von Poelzigs bestem Freund Dr. Theodor Heuß (später erster deutscher Bundespräsident) angebahnt. Dresdens Oberbürgermeister Blüher gestand Professor Poelzig alle in dessen Brief vom 25. März 1916 selbstbewusst geäußerten finanziellen Forderungen zu, auch den Ausgleich der Umzugskosten von Breslau nach Dresden und je Woche ein vierstündiges Lehramt für Stegreifentwerfen an der Technischen Hochschule Dresden (ab 1962 Technische Universität).
Als der nun 47-jährige Hans Poelzig an jenem Montag zu Dienstbeginn, von seiner Wohnung in der Villa Kaitzer Str. 8 - im Februar 1945 wie die gesamte Dresdner Südvorstadt und die komplette Innenstadt zerstört - kommend, das Rathaus betrat und sein Arbeitszimmer mit Fenstern zur lebhaften Prager Straße aufsuchte, besaß er solide Facherfahrungen der Architektur, des Kunstgewerbes, der Lehre und der Farbgestaltung. Ausgeprägt waren auch seine Fähigkeiten gegenüber Verwaltungsaufgaben, denn er hatte sie zuvor in „seiner“ Breslauer Akademie reichlich erworben. Er ahnte jedoch nicht, dass jener „Verwaltungskram“ hier im Dresdner Rathaus fast überwiegen würde; Poelzig bewältigte auch dies, doch ironisch merkte er gegenüber einem Freund an, dass er seinen Dresdnern - begonnen beim OB Dr. Blüher und den Stadträten, die ihn sehr mochten, seinen Kopf und nicht den Hintern verpachtet habe.
Architekt, Lehrer und Künstler Hans Poelzig hatte vor Dienstantritt in Dresden bereits hohe Anerkennung mit seinem 1908 begonnenen und 1914 abgeschlossenen Frühwerk „Bau der Weißeritz-Talsperre Klingenberg“ als Hochwasserschutz und zwecks Dresdner Trinkwasserversorgung erworben, hatte sich hierfür an der Queis-Talsperre im Isergebirgsvorland Marklissa bei Lauban (Projektant Prof. Dr. ing. Intze, Greiffenberg am Queis; Oberbauleiter Baurat Dr. ing. Bachmann, Universität Breslau) orientiert und die Staumauer in Fließrichtung der Wilden Weißeritz errichtet.
Für Schlesien hatte die Preußische Staatsregierung am 3. Juli 1900 ein grandioses Hochwasserschutz-Programm verabschiedet, um den alljährlich wiederkehrenden Hochwasserkatastrophen entlang der Sudeten vom Zittauer Gebirge bis zur Niederen Tatra Einhalt zu gebieten. Dieses Programm strahlte auf das Königreich Sachsen aus. An solch wirkungsvolle Projekte wollte Hans Poelzig im Elbflorenz mittels weiterer adäquater Vorhaben anknüpfen, wie zuvor in Breslau öffentliche Großprojekte schaffen, um Bestätigung und Anerkennung zu finden. Er kam vor Ort gleich zur Sache, entwarf, verwarf, beriet sich und plante für Dresden monumentale Objekte: 1916 ein Produktionsgebäude zwecks Erweiterung des Gaswerks Reick (als einziges Vorhaben in seiner Dresdner Zeit realisiert, jedoch um 1973 abgetragen; der noch von Hans Erlwein dort errichtete Gasometer dient heutzutage als Panometer, ist also Ausstellungsgebäude für monumentale Rundbilder); 1916 die Hauptfeuerwache in der Louisenstraße; 1916 eine vierstöckige Doppelschule (Höhere Mädchenschule und Berufsschule für eintausend junge Leute) hinter der damaligen Zionskirche im Geviert Nürnberger-/Hohe-/Bayreuther Straße.
Den Standort für die viertelkreisförmige Doppelschule zwischen Zionskirche und Altem Annenfriedhof kannte er genau, haben doch Poelzigs und ihre drei Kinder in jener Kirche ihre Gottesdienste gefeiert. Aber niemand ahnte, dass nur 25 Jahre bis zur anglo-amerikanischen Zerstörung dieses Gotteshauses vergehen würden und dass dessen Ruine seit 1985 als Lapidarium der Stadt Dresden dient.
1917 legte er Dokumente zum Errichten eines Gasbehälters in der Dresdner Neustadt, den Bau eines Bürogebäudes in der Theaterstraße und eines Museum-Berges (in Dresden-Plauen?) sowie zur Überarbeitung des Altstadtringes auf den Tisch. Außerdem erarbeitete er 1918 Entwürfe für einen riesigen Konzertsaal in der Altstadt und eine zusätzliche Elbbrücke flussab des „Blauen Wunders“. Poelzig, 1923 zum Professor der Technischen Hochschule Berlin berufen, war umtriebig, optimistisch und rastlos, doch ab dem Jahr 1918, nachdem der gehasste Weltkrieg 1914 – 1918 vorüber war, gewann er zunehmend die Erkenntnis, dass für seine Dresdner Planungen, bedingt durch den Ersten Weltkrieg und die Nachkriegsjahre, die öffentlichen Kassen leer waren und darum - ebenso bitter für ihn - an seinen Planungen und Vorschlägen nur wenig Interesse bestand.
Schließlich begann sein bedrückender Prozess, sich innerlich von Dresden zu verabschieden, was er offiziell am Freitag, dem 30. April 1920 - taggenau vier Jahre nach seinem Dienstbeginn - in Ehren vollzog. In Preußen erwarteten ihn herausfordernde Lehr- und Planungstätigkeiten, die ihn nach der Dresdner Enttäuschung bautechnisch, künstlerisch und pädagogisch durchatmen ließen. Bald folgten neue nationale und internationale Ehrungen und Preise; die Technische Hochschule Stuttgart verlieh ihm anlässlich des 60. Geburtstages 1929 die Ehrendoktorwürde.
Schnell war Professor Poelzig wieder der „Alte“, rief mit Projekten wie Verwaltungsgebäude der IG Farben Frankfurt am Main, Kino „Babylon“ und „Haus des Rundfunks“ Berlin oder mit dem Festspielhaus Salzburg viel Zustimmung und Begeisterung hervor, war zugleich für die Städte Moskau, Charkow, Ankara und Istanbul tätig. Die politischen Ereignisse des Jahres 1933 - Hitlers Politik des Wahnsinns und der Menschenverachtung in allen gesellschaftlichen Bereichen - trafen Professor Dr. h.c. Hans Poelzig äußerst hart, denn es wurde ihm jüdische Abstammung vorgeworfen, „undeutsche“ Kunst unterstellt und jegliches öffentliches Betätigen verboten. Dies war für ihn, der menschlichen Umgang und geistvolle Anregungen wie das tägliche Brot brauchte, unfassbar und niederschmetternd. Bald folgten heftige gesundheitliche Einschränkungen; der dritte Schlaganfall beendete dieses schöpferische, verdienstvolle Leben am 14. Juni 1936.
Bestattet wurde Hans Poelzig auf dem Friedhof Berlin-Wannsee. Sein Grab wird von der Berliner Stadtverwaltung betreut. Wir wissen nicht, ob Vater Hans noch wahrnehmen konnte, dass sein ältestes Kind, Sohn Peter, als Architekt in seine Fußstapfen getreten war und bald ebenso anerkannt wurde.
Lebten Hans Poelzig und Dresden ab 1920 oder gar schon früher im gespaltenen Verhältnis? Nein, es blieb nach dem Weggang des Professors nach Berlin auch weiterhin der konstruktive Umgang. Dafür mögen folgende Tatsachen sprechen: Hans Poelzig legte 1921 Planungen für ein Hotel und ein Bankgebäude in Dresden vor. 1922 projektierte er einen Majolika-Brunnen, wofür es allerdings ebenso keinen Nachweis gibt wie für Poelzigs vermuteten Anteil am Straßenbahn-Betriebshof Dresden-Trachenberge.
Hingegen hat der Mosaikbrunnen, den er mit seiner Frau Marlene Moeschke-Poelzig 1926 anlässlich der Internationalen Gartenbauausstellung mittels 500 000 farbiger Mosaiksteinchen herstellte, die wechselnden Zeiten überdauert, obwohl er mehrfach abgerissen werden sollte. Dies geschah zum Glück nicht, sondern saniert für die Zukunft mit neuem Betonbaukörper, modernen technischen Anlagen und Hinweis auf die Schöpfer ist und bleibt er ein Anziehungspunkt innerhalb des Großen Gartens nahe der Hauptallee. Schon einige Jahre früher hatten die Poelzigs im Großen Garten einen kaskadenförmigen Brunnen anlässlich der „Jahresschau der Arbeit“ geschaffen, der allerdings 1922 entfernt wurde.
Außerhalb seiner Stellung als Stadtbaurat, also rein privat, entwarf und errichtete Poelzig 1920/1921 unterhalb des Lingner-Schlosses (offiziell Villa Stockhausen genannt) im Loschwitzer Weinberg das Mausoleum aus Muschelkalk in zwölf Segmenten und Skulpturen trauender Frauen für „Odol-König“ und Philanthrop Karl August Lingner.
[…] Neben den beruflichen Verpflichtungen ließ sich Hans Poelzig in Dresden von 1919 bis 1921 als ehrenamtlicher Vorsitzender des Deutschen Werkbundes e. V. wählen. Diese Organisation strebt bis heute das Verknüpfen des Kunstgewerbes mit industriellen und handwerklichen Anfertigungen an. Für Poelzig erwuchs daraus seine Planungsbeteiligung an der Werksiedlung Deutsche Werkstätten Hellerau - ab 1921 entstanden die mehr als 50, bis heute intakten Holzhäuser in Dresden-Hellerau, die UNESCO-Welterbe werden möchten.
Also: Dresden und Poelzig sowie Poelzig und Dresden hatten sich weder entzweit noch verloren – im Gegenteil hinterließ uns dieser befähigte Mann sein auf Dresden bezogenes anregendes, im „Kunstblatt Jahrgang (1921)“ amüsantes und keineswegs verbittertes Resümee: „Ich warte wie der auf die einsame Insel verschlagene Engländer [gemeint ist Robinson Crusoe im Roman des Daniel Defoe, zweihundert Jahre vor Hans Poelzig erschienen – W. G.], daß die Eingeborenen meine Sprache lernen; ich lerne nicht mehr und mache mein Zeug wie ich es mit meinem Gewissen verantworten kann, und nicht anders!“
Wir wollen Professor Hans Poelzigs emsiges Schaffen dankbar würdigen und jede noch so geringschätzige Annahme, dass er hier wenig geleistet habe, abweisen. Jedoch ist im öffentlichen Raum der sächsischen Landeshauptstadt Poelzigs Name lediglich am Lingner-Mausoleum und am Mosaikbrunnen vermerkt, wurde jedoch keiner Straße, keinem Platz und keiner Einrichtung verliehen.
[…] Die meisten Dokumente dieses großartigen, schöpferischen und verdienstvollen Menschen sind im Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin deponiert, so auch Poelzigs Planungen zur Errichtung des Boberhauses in Löwenberg/Schlesien. H. P. gegenüber den Bauherren Max und Elisabeth Zwirner: „...mein schönster Auftrag, den ich für mich selbst wiederholen würde“. Vor allem dieses ideelle und konstruktive Vermächtnis Poelzigs und die dort von der Schlesischen Jungmannschaft zwischen 1926 und 1937 geleistete internationale Jugendarbeit haben uns begeistert und entlassen uns längst nicht mehr.
Zu Ostern 2026 werden einhundert Jahre seit Eröffnung des Boberhauses in Trägerschaft der Schlesischen Jungmannschaft vergangen sein. Deshalb diese Anmerkung: Drei fleißige Modellbauer - Rainer Dierchen, Heidenau; Dieter Schulz, Dresden, und Bernd Sonsalla, Zittau - haben in ungezählten Arbeitsstunden, in unterschiedlicher Weise und unabhängig voneinander das legendäre Boberhaus Löwenberg in Schlesien nachgestaltet und somit symbolisch den Grundstein für dessen Wiederaufbau gelegt ...