Es ist erst einmal ein komisches Gefühl, wenn man in der Zeitung liest, dass in der Aula der Oberschule Halsbrücke, wo ich 15 Jahre die Ehre hatte, als Schulleiter zu arbeiten, eine Versammlung stattfindet, in der ein König spricht. Diese Aula hat vieles gesehen. Schulanfangsfeiern, Schulentlassungen, Ausstellungen, Projekte, Schulleiterkonferenzen, Elternabende und nicht zu vergessen Schulaufführungen, an die sich bestimmt viele erinnern werden. Und jetzt das. Ein Herr spricht, der sich König eines Reiches nennt, zu seinen vielleicht zukünftigen Untertanen, der sich in ganz Deutschland Grundstücke mit Geld in Millionenhöhe aufkauft, Geld, das er offensichtlich hat oder sich aus diversen Quellen organisiert. Jetzt also Halsbrücke.
Man will unter sich sein, gesunde Lebensmittel anbauen, mit Reichsgeld bezahlen. Das böse, von unfähigen Leuten regierte Deutschland, dass es ja eigentlich gar nicht gibt, hinter sich lassen. Reichsbank, Reichskrankenkasse, Reichsführerscheine ... Toll!
Sympathien mit rechten Populisten und Extremisten sind offensichtlich. Denn da gibt es gemeinsame Ziele. Ein bestehender Staat, in dem vieles, aber längst nicht alles, gut läuft, soll diffamiert und ausgehöhlt werden. Sand ins Getriebe schütten, die Vertreter dieses Staates jagen. Solche schon gesagten Zitate hört man nicht nur von einzelnen kleinen Gruppen, sondern von einer Partei, die mittlerweile in Deutschland 20 % Stimmenanteil hat und der bei den letzten Landtagswahlen in Halsbrücke 40 % ihre Stimme gaben. Das macht mir Angst. In einer solchen Atmosphäre gedeiht die Ideologie eines Spinners, der in zahlreichen Verfahren verurteilt wurde, deren Urteil aber in den meisten Fällen noch nicht rechtskräftig ist. Wir leben eben in einem Rechtsstaat. In einem Königreich wäre der Prozess vermutlich kürzer.
Die Situation ist vergleichbar mit der in den späten 20er und frühen 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Deutschland.
Heute gibt es weltweite Krisensymptome. Viele Regierungen, auch unsere, versuchen darauf zu reagieren.
Vor fast 100 Jahren war es eine Wirtschafts- und Finanzkrise, heute sind es Klimawandel, Pandemie, Inflation, Wanderungsbewegungen auf dem gesamten Planeten. Da sind komplexe Lösungen gefragt, die auch nicht von heute auf morgen wirken und auch persönliche Unannehmlichkeiten verursachen. Die Mühlen einer Demokratie malen leider langsam. Ein idealer Nährboden für Demagogen.
In den 30er Jahren gelang es der demokratischen deutschen Regierung nicht, die Krise zu bewältigen. Durch Wahlen gelangte mit 40%! eine Partei mit einem Mann an die Spitze, die einfache Lösungen parat hatte. Das internationale Finanzjudentum, die Gewinner des 1. Weltkrieges und natürlich die Kommunisten seien an allem Schuld und die müsse man bekämpfen. Aus der demokratisch gewählten Regierung wurde allerdings binnen Wochen eine knüppelharte Diktatur, die Deutschland in die Katastrophe führte.
Heute heißt die vermeintliche Lösung: die EU ist an allem Schuld, macht die Grenzen dicht, schmeißt die Ausländer raus, Deutschland den Deutschen.
Übersteigerter Nationalismus und Rassismus feiern fröhliche Wiederauferstehung.
Die EU abschaffen wird allen Ernstes wieder gefordert.
Nach zwei verheerenden Kriegen schworen sich die Menschen im freien Teil Europas, dass es genug ist mit Feindschaft und Hass zwischen den Völkern. Sie haben es geschafft, ein geeintes Europa zu bauen und wir im Osten können froh und glücklich sein, uns durch die friedliche Revolution dieser Entwicklung angeschlossen zu haben.
Aus Nationalismus wird Missachtung anderer Völker, werden ökonomische und politische Differenzen, wird der Kampf um Einflusssphären und schließlich eine Eskalation, die auch mit Waffen ausgetragen werden kann. Das ist der Giftcocktail aus dem in den letzten150 Jahren die Kriege in der Welt entstanden sind.
Lassen wir zu, dass die derzeitige Entwicklung so weiter geht, kann es in zwei bis drei Jahrzehnten wieder so weit. Russland und die Ukraine zeigen gerade was passiert, wenn nationalistischer Hass über kühle Vernunft siegt.
Die Gründer des vereinten Europa wollten diese Entwicklung verhindern und haben es, bei aller Kritik an einzelnen Erscheinungen, geschafft, dass es zwischen den Ländern Europas seit fast 80 Jahren keinen Krieg gab.
Kommen wir wieder zum Ausgangspunkt zurück.
Wenn ein selbsternannter König von Deutschland seine absurden Ideen mit Hilfe von Demagogie und viel Geld umsetzten kann, hält das vielleicht einige hundert Menschen für eine bestimmte Zeit zusammen, aber einer Einheit Europas und damit dem Frieden dient das nicht.
Im günstigeren Fall haben wir es mit einer Art Amisch-People zu tun, die isoliert in eigenen Dörfern in den USA leben, alles Moderne ablehnen, aber sonst friedlich sind. Im schlimmeren Fall ist eine solche Kommune der Quell für Rassismus und Elitedenken. Ein „neuer Mensch“ soll geschaffen werden, der alles Fremde von sich weist und irgendwann die Welt beglückt. Vielen Dank!!!
Ich hoffe inständig, dass bei einem in Kürze anstehenden Beschluss über die Zukunft des Kanzleilehnguts, allen Beteiligten klar ist, welche Verantwortung und Erwartung auf ihnen liegt. Zum einen für das Wohl der Gemeinde, aber auch für die weitere Entwicklung in Deutschland und Europa.
Schön wäre es, wenn mein komisches Gefühl, das eigentlich ein ziemlich schlechtes ist, umschlagen könnte in ein Gefühl der Zufriedenheit und der Befreiung.
Nämlich dann, wenn im Kanzleilehngut eine Stätte der Begegnung, Diskussion und Kultur zum Wohle der Menschen entsteht, vieler verschiedener Menschen und nicht einer Truppe, bestehend aus einem „König“ und seinen „Untertanen“.