Liebe Leserinnen und Leser,
folgende Bücher aus der Bibliothek Holzhausen möchte ich Ihnen heute empfehlen:
Robert Seethaler: Der letzte Satz
Hanser, Berlin 2020, 126 Seiten
Der österreichische Autor ist spätestens nach Erscheinen seiner sehr erfolgreichen Romane „Der Trafikant“ und „Ein ganzes Leben“ vielen ein Begriff.
In diesem schmalen, recht melancholischen Buch begleiten wir den berühmten Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler auf seiner letzten Reise, die ihn im Jahr 1911 mit dem Schiff von New York nach Europa führt. Gekonnt nimmt uns der Autor über Selbstgespräche des schon sehr kranken Mannes mit in seine Vergangenheit. Wir erfahren episodisch Einiges über seine erfolgreiche Karriere als Komponist und Dirigent, die Sommer in den Bergen, den traumatischen Verlust der großen Tochter und seine zunehmend schwierige Beziehung zu Alma, der gefeierten Schönheit und großen Liebe seines Lebens.
Dieses Buch ist eigentlich zu kurz, man möchte mehr erfahren über diesen genialen Musiker, der ja auch mit Leipzig verbunden ist. Das kann ein Impuls sein, sich an eine Biografie zu wagen, denn Vieles wird angerissen, dann aber im Vagen gelassen.
Elke Heidenreich: Alles kein Zufall
Carl Hanser Verlag, München 2016, 233 Seiten
Und noch einmal empfehle ich Ihnen Elke Heidenreich zur Lektüre, weil es einfach so schön ist, diese Miniaturen zu lesen. Die Autorin schreibt amüsant und ironisch, dabei nie abwertend über die Absonderlichkeiten, aber auch über die liebenswerten kleinen Macken der Mitmenschen.
Das Buch ist ein Schatz voller Kurz- und Kürzestgeschichten. Um die 200 Anekdoten sind es. Die Autorin nimmt uns mit in ihre Erinnerungen, sie schildert voller Ehrlichkeit, manchmal auch für sie selbst nicht vorteilhafte Erlebnisse und Begegnungen. Neben heiteren und komischen Geschichten gibt es traurige und auch solche, die unter die Haut gehen. Auch Begebenheiten mit ihren Eltern werden geschildert. Ihre Mutter scheint eine eher kühle, fordernde Person gewesen zu sein, der sie es nie recht machen konnte, der Vater hat die Familie früh verlassen ...
Ernest van der Kwast: Die Eismacher
Andreas Ecke (Übersetzer)
btb Verlag, München 2016, 383 Seiten
Zugegeben, es ist nicht gerade die Jahreszeit, in der man ständig an Eisbecher denkt. Aber da man früher, als die Kreation des Speiseeises noch ganz neu war, tatsächlich den Schnee aus den Dolomiten als Grundlage für dessen Herstellung nutzte, ist die Lektüre in der Winterzeit gar nicht so abwegig.
Der Roman entführt uns in eben jene Region Italiens, ins Tal der Eismacher - dort, wo sich etliche Familien zugutehalten, diese Verführung erfunden zu haben. Fakt ist, dass fast alle damit zu tun haben.
Die Familie Talamini siedelt jedes Frühjahr nach Rotterdam über, um dort während der Sommermonate ein Eiscafé betreiben. Wie sie machen es fast alle im Tal, in den Anfangsjahren beladen mit dem Eis aus den Bergen. Später hilft ihnen natürlich die Technik, aber es bleibt ein körperlich sehr anstrengender Beruf, eine Plackerei - nur im Winter, wenn sie in ihr Tal zurückkehren, kehrt etwas Ruhe ein.
Seit fünf Generationen macht man Eis in der Familie Talamini und immer geht das Geschäft vom Vater auf den Sohn über. Beide Söhne sind talentiert, es werden beständig neue Sorten erfunden: zartschmelzendes Grappasorbet, sanftgrünes Pistazieneis, aber auch Eis mit Basilikum ...
Dennoch beschließt der ältere Sohn Giovanni, mit der Familientradition zu brechen, um sein Leben der Literatur zu widmen. Diese Entscheidung führt zum Zerwürfnis mit seinem Bruder Luca und zu Spannungen mit den Eltern. Doch dann sucht sein Bruder ihn eines Tages auf: Luca, der das Eiscafé übernommen hat, ist inzwischen mit Sophia verheiratet, der schönsten Frau des Dorfes, in die beide Brüder einst unsterblich verliebt waren. Und er hat eine höchst ungewöhnliche Bitte ...
Der Autor des Buches wurde übrigens 1981 in Bombay geboren und lebt in den Niederlanden.
Christine von Brühl: Schwäne in Weiß und Gold
Geschichte einer Familie
Aufbau Verlag, Berlin 2021, 352 Seiten
Das Buch erzählt die Geschichte der Grafen von Brühl und ihres Schwanenporzellans.
Sobald der Name fällt, steht Vielen Heinrich Graf von Brühl (1700-1763), der bekannte und umstrittene sächsische Politiker, und die nach ihm benannte Brühlsche Terrasse in Dresden vor dem geistigen Auge. Die Familie ist Sachsen schon lange eng verbunden. Mit diesem Buch begibt sich eine Nachfahrin des berühmten Ministers, Christine von Brühl, auf die Spuren ihrer Familie und gewährt interessante Einsichten. Das Schwanenservice der Meissener Porzellanmanufaktur, dass über viele Generationen hinweg für die Familie eine große Bedeutung hatte, wird geschickt in diese Chronik eingebaut. 1737 von Heinrich Graf von Brühl in Auftrag gegeben, wurde es von Johann Joachim Kaendler gestaltet und umfasste ursprünglich über 2.200 Einzelteile, die durch eine besonders opulente plastische Gestaltung beeindrucken. In der Dresdner Porzellansammlung finden sich heute noch Objekte dieses „Jahrhundertservice“, das im Buch als Anfangs- und Endpunkt der Familienchronik eine gelungene Klammer gibt.
Lutz Seiler: Stern 111
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 528 Seiten
Im letzten Jahr erhielt Lutz Seiler den Georg-Büchner-Preis, den wichtigsten Literaturpreis im deutschen Sprachraum. Das der aus Gera stammende, heute in Stockholm lebende Schriftsteller ein begabter Erzähler ist, hatte er schon 2014 mit dem Roman „Kruso“ bewiesen.
Auch im vorliegenden Buch steht mit Carl wieder ein Student im Mittelpunkt, der mit sich und der Welt im Unreinen ist. Indem seine Eltern nur kurz nach dem Mauerfall ihr angestammtes Leben in Gera abrupt aufgeben, berauben sie Carl endgültig seiner Heimat. Mit dem Shiguli seines Vaters und allen Habseligkeiten im Kofferraum fährt er nach Berlin und findet Aufnahme in der Hausbesetzerszene an der Oranienburger Straße. Der Autor schildert eine Gesellschaft im Umbruch, das anarchische Chaos der Wendezeit mit den sich damals plötzlich eröffnenden Möglichkeiten, vielfältigen Zumutungen und handfesten Gefahren.
Viel Freude bei der Lektüre wünscht