Bahnübergang Richtung Cottbus
Niveaulose Grafittischmiererei
Im Nordbahnhof ausgestellte Fahrkarten
Oberes Bild: Ausgang zur Bahnhofstraße Unteres Bild: Fahrradweg: Im Hintergrund die ehemalige Bäckerei Schulze
Oberes Bild: Antrag auf eine Arbeiterrückfahrkarte Unteres Bild: Personenzugwaggon um 1960
Abriss Stellwerk 2008
Hans-Hermann Schneider
Prolog
Der Kolkwitzer Nordbahnhof soll abgerissen werden, weil das 2. Gleis der Strecke Berlin-Görlitz wieder gebaut werden soll. Es wurde nach 1945 als Reparationsleistung für die Siegermacht des 2. Weltkrieges Sowjetunion abgebaut.
Die Strecke Berlin Cottbus wurde dann wieder eingleisig errichtet und bis Ende der 1980er Jahre elektrifiziert. Von Cottbus nach Görlitz führt heute immer noch nur ein Gleis und die Strecke ist auch nicht elektrifiziert.
Das Bahngebäude
Auf dem Grundstück steht das eingeschossige Bahnhofsgebäude mit Grobputzfassade. Östlich davon stand das Toilettengebäude mit Walmdach und zwei Eingängen und Oberlichtaufbau. Daran schloss sich ein Garten an, den die Eisenbahner zur eigenen Nutzung bearbeiten konnten. Das Bahnhofsgebäude hat auf viereckigem Grundriss ein überstehendes Walmdach mit Biberschwanzeindeckung und drei Schleppdachgauben auf der Nordseite. Über der westlichen Gaube ragt der Schornstein mit dem Ausstieg für den Schornsteinfeger empor, der diesen durch eine Bodenluke im Warteraum besteigen konnte. An der Nordseite des Hauses zum Gleis hin war zwischen jeweils zwei Fenstern der Ausgang für den Bediensteten. Dieser Fensterfront folgt unter dem Walmdach bis zur Bahnhofsstraße hin eine Veranda mit Fensterbändern zu beiden Seiten bis zum Eingang für die Fahrgäste. Hier wird das Walmdach mit einem Pfeiler abgestützt. Betrat man den Wartesaal mit seinem Holzdielenfußboden waren links und rechts lange Bankreihen mit Rückenlehnen. Beheizt wurden die Räume über einen Kachelofen. Auch Reisende, die den letzten Zug nach Cottbus verpasst hatten, konnten, besonders in der kalten Jahreszeit hier auf den ersten Zug am Morgen nach Cottbus warten. Links kam man zur Fahrkartenausgabe und daneben befand sich die Gepäckabfertigung.
Zwischen dem Bahnhof Kolkwitz, der von der Bahn als Kolkwitz (siehe Fahrkarten) und nicht als Nordbahnhof, wie es beim Bahnhof Kolkwitz-Süd der Fall ist, bezeichnet wird, und dem Bahnübergang zur B115 standen zwei Stellwerke gleichen Typs. Das eine stand in Höhe der Unterführung des Ströbitzer Landgrabens und wurde im Krieg zerstört und nicht wieder aufgebaut. Das Stellwerk am Straßenübergang war noch lange in Betrieb und wurde 1988 abgerissen.
Am Sonntag Nachmittag, wenn die Fußballmannschaft von Traktor Kolkwitz nicht gerade ein Heimspiel hatte, wanderte unsere Bergstraßenclique dorthin. Wir marschierten durch die Langossa am Ströbitzer Landgraben entlang. Sahen wir die Ruine, gingen wir die Gleise entlang wie der Streckenläufer, den wir öfter schon bei seinen wöchentlichen Kontrollgängen beobachtet hatten. Er suchte nach Beschädigungen und Veränderungen am Gleiskörper und vor allem prüfte er die Schraubenbefestigungen der Schienen und den allgemeinen Zustand des Bahnkörpers. Angekommen konnten wir noch nach oben steigen und hatte eine herrliche Aussicht.
Die Bahnstrecke Berlin Görlitz wurde bis Ende 1867 endgültig fertig gestellt. In Kolkwitz gab es nur einen Wegübergang mit Wärterbude, die der Bahnwärter vor Zugdurchfahrt mit aufgestellten Barrieren sicherte. Auf Antrag der Gemeinde wurde der Übergang als Haltestelle ausgebaut und am 15. Oktober 1878 eröffnet. Trotzdem gingen noch viele in Cottbus arbeitende Einwohner weiter die 6 Kilometer nach Cottbus zu Fuß, um das Fahrgeld zu sparen. 1892 wurde die Strecke zweigleisig ausgebaut und in Kolkwitz ein zweiter Bahnsteig und ein massives Gebäude gebaut. Es war schon bald baufällig und wurde abgerissen. Das in heutiger Gestalt bestehende Bahnhofsgebäude wurde 1936 errichtet. Der Autor Harald Großstück hat den Haltepunkt Kolkwitz im Heimatjahrbuch aus dem Spreewald „Stog- Der Schober 2020“ in einem ausführlichen Beitrag über die Geschichte und Zukunft des Nordbahnhofs mit dem Titel
„Haltepunkt Kolkwitz
An der Berlin-Görlitzer Eisenbahn“
beschrieben, der diesen Beitrag sehr gut ergänzt.
Am Fahrkartenschalter kaufte man sich vor Antritt der Fahrt eine Fahrkarte. Sie kostete von Kolkwitz nach Cottbus für die 2. Klasse vor der Wende für die 6 km 0,50 M und galt für einen Tag. Ein km kostet 8 Pfg. in der 2. Klasse und in der 1. Klasse 11,6 Pfg. Die Fahrkarte wurde auf Karton auf einer mechanischen Druckmaschine gedruckt, die die verschiedensten Zielorte enthielt. Nach allen Orten, die die Maschine im Programm hatte, konnte man Fahrkarten kaufen, die beim Betreten des Bahnsteiges oder im Zug kontrolliert wurden. Ich fragte einmal die Schaffnerin, warum sie ein Loch in die Karte macht. Sie antwortete witzig: „Ohne Loch kann man keinen fahren lassen.“
Arbeiter-, Schüler- und FDGB-Ferienrückfahrkarten wurden von Hand geschrieben. Dauerfahrkarten mussten beantragt werden und der Kauf wurde auf der Rückseite des Antrags abgestempelt und bestätigt. Am Bahnsteigein- und -ausgang in einem Unterstand, so wettergeschützt, kontrollierte ein Eisenbahner alle Fahrkarten bei Abfahrt und Ankunft.
Wenn ich meine Schwester am Sonntagabend zum Zug brachte, musste ich für 10 Pfg eine Bahnsteigkarte kaufen. Sie studierte in Leipzig, aber am Südbahnhof hielten keine D-Züge und mit dem Personenzug nach Leipzig war es von der Zeit her ungünstig.
Zur Oberschule nach Cottbus benutzte ich die Bahn. Man konnte nicht von einem Waggon in den anderen gehen, sondern jedes Abteil wurde über eine lange Trittstufe, die auf der gesamten Länge am Wagen außen entlangführte, betreten. Der Schaffner gelangte so, auch während der Fahrt, über die Trittstufe von Abteil zu Abteil. Die Wagen hatten noch die Bezeichnungen 2. und 3. Klasse. In der 2. Klasse waren die Sitze gepolstert und in der 3. Klasse waren sie mit Holzleisten ausgestattet. Man nannte diese Klasse daher auch Holzklasse. Bis 1928 gab es sogar noch eine 4. Klasse, wo man nur stehen konnte, und wo vor allem Bauern auf ihren Körben saßen und Händler mit ihren Waren standen. Das nannte man dann die Stehklasse.
Als kleiner Junge war mein Berufswunsch Schrankenwärter zu werden. Als Arbeitsplatz wünschte ich mir aber dann den Nordbahnhof, weil hier der Schrankenwärter nicht bei Wind und Wetter nach draußen musste, um die Schranken herunterzulassen. Dabei beachtete ich aber nicht, dass er zwecks Fahrkartenkontrolle bei haltenden Personenzügen doch nach draußen musste. Ein Unterstand schützte ihn bei schlechtem Wetter. Der Bahnwärter konnte durch die große Fensterfront den Verkehr auf Straße und Bahn beobachten. Am Südbahnhof musste der Schrankenwärter wie auch auf den Wärterbuden an der Strecke Cottbus Leipzig an der Alten und Hänchener Straße nach draußen gehen.
Übrigens gab es zwischen Hänchener Straße und dem Stellwerk an der Kirschallee noch eine Wärterbude, die im Volksmund Totenbude genannt wird, aber schon vor 1945 nicht mehr betrieben wurde. Von der Berliner Straße (Heute Bauzentrum Szonn) Richtung Klein Ströbitz führte ein Weg über die Bahn deren Verlauf man noch heute südlich der Bahnstrecke erkennen kann. Er war vor allem für die Arbeiter, die im Süden von Cottbus in den Tuchfabriken arbeiteten und die Bauern, die in der Madlower Mühle gezwungen waren, ihr Getreide mahlen zu lassen, ehe nach der Reichsgründung 1871 der Mahlzwang aufgehoben wurde.
Epilog
Als am Samstag, dem 12. Dezember 2015 um 12.10 Uhr der vorläufig letzte Zug in Kolkwitz hielt, gab es am Bahnsteig starken Protest der Kolkwitzer. Vier Sargträger trugen einen Sarg mit der Aufschrift 1876 - 12.12.2015 auf den Bahnsteig. An der Kirche hörte man schon die Trauermusik des Posaunenchores. Das Bahnhofsgebäude war schwarz verhangen. Den Trauerzug bildeten junge Frauen in schwarzer wendischer Tracht. und Männer mit schwarzen Zylindern. Als der letzte Zug hielt, wurde dem Zugbegleiter ein Abschiedsgeschenk überreicht. Ein Kondolenzbuch lag aus, in dem sich für mich erstaunlich viele Kolkwitzer eintrugen. Ich schrieb:
Deutsche Reichsbahn: Die Bahn kam immer!
Deutsche Bundesbahn: Die Bahn kommt nimmer
Im RBB kam die Kolkwitzer Aktion als Topmeldung um 19 Uhr 30 in Brandenburg aktuell.
So präsentiert sich der Bahnhof heute: