Dr. Heiko Enke
Die uns heute bekannte Zuordnung von Postleitzahlen, Orts- und Straßennamen und Hausnummern für unseren Wohnort ist für uns selbstverständlich. Wie sollte der Postbote das Paket des Versandhauses, den Brief oder die Zeitung sonst zustellen können? Ohne genaue Definition des jeweiligen Wohnortes wäre ein Leben in der heutigen Zeit nicht mehr denkbar.
Im vorliegenden Beitrag wollen wir die Entwicklung der Straßennamen und Hausnummern in der Großgemeinde Kolkwitz in den letzten ca. 150 Jahren an einigen ausgewählten Beispielen beleuchten.
Die Zeit bis zum Ende des Deutschen Reiches 1918
Bis Mitte des 18. Jahrhunderts war es in den Dörfern und Kleinstädten meist noch nicht üblich, Straßen und Plätzen amtliche Namen zuzuweisen bzw. Grundstücke zu nummerieren. Auf Grund der geringen Einwohnerzahlen kannten sich die Bewohner in aller Regel untereinander. Zur Unterscheidung der Häuser und Höfe dienten hier vor allem Hof- und Hausnamen mit individuellen Hauszeichen. Im Jahrbuch der Gemeinde Kolkwitz aus dem Jahr 2020 gibt Astrid Schramm in ihrem Beitrag „Wems bis du“ hierzu interessante Einblicke.
Erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurden in mehreren europäischen Ländern schrittweise Hausnummern flächendeckend eingeführt. Dabei wurden die vorhandenen Häuser einer Ortschaft zunächst durchnummeriert. Neue Gebäude erhielten danach in der Reihenfolge ihrer Errichtung eine fortlaufende Nummer (das sog. System der Konskriptionsnummern). Diese neue Hausnummerierung hatte vor allem einen militärischen, finanziellen und steuerlichen Hintergrund. Die Obrigkeit des Landes behielt so den Überblick über seine Untertanen. Jede Person konnte so einem bestimmten Haus zugeordnet werden. Dies war wichtig zur Rekrutierung von Soldaten oder für die Eintreibung von Steuern und Abgaben. Ein sicher prominentes und allgemein bekanntes Beispiel für diese Nummerierung ist die Hausnummer „4711“ in Köln, auch heute noch die Markenbezeichnung eines bekannten Duftwassers.
Solch prominente Hausnummern können wir in Kolkwitz zwar nicht vorweisen, aber anhand alter Bauunterlagen konnten die früheren Nummern zahlreicher Kolkwitzer Grundstücke aufgearbeitet werden. Exemplarisch eine kleine Auswahl:
| Nr. | Straße | Eigentümer |
| 2 | (heute Bahnhofstraße 13) | Adolf Poesch |
| 6 | Dorflage | Martin Mußlick |
| 8 | Dorfstraße | Friedrich Mußlick Herrmann Kschenka |
| 9 | Dorfstraße | Friedrich Saretz |
| 13 | Weg nach Dahlitz | Martin Nugel |
| 19a | Dorfstraße | Mathes Tullick |
| 23 | Dorfstraße | Christian Kettlitz Herrmann Weinert |
| 28 | Dorfstraße (heute Bahnhofstraße 90) | Christian Kettlitz |
Die genannten Hausnummern dienten bis Anfang der 1920er Jahre der Adressierung der einzelnen Höfe in Kolkwitz und Umgebung. Amtlich zugeordnete Straßennamen waren auch in dieser Zeit noch nicht üblich. Die vorhandenen Wege wurden im allgemeinen Sprachgebrauch nach ihrer Lage im Dorf, nach Flurnamen oder nach ihrem Zielort benannt. Hierzu einige Beispiele:
Die Dorfstraße oder Dorflage war der zentrale Weg durch das Dorf und in vielen Dörfern bis zur Umbenennung im Rahmen der Gründung der Großgemeine in den 1990er Jahren vorhanden.
Wege mit Zielbenennung:
| Dalicańska droga: | Dahlitzer Weg (heute Teichstraße, Kolkwitz) |
| Měsćańska droga: | Stadtweg (heute Cottbuser Straße, Kolkwitz) |
| Hajnkojska droga: | Hänchener Weg (heute Hänchener Straße, Kolkwitz) |
| Mušyńska droga | Müschener Weg (heute Burger Straße, Babow) |
| Kósobuska droga | Kunersdorfer Weg (heute Kunersdorfer Straße, Dahlitz) |
| Dubjańska droga: | Eechscher Weg (heute Eichower Weg, Krieschow) |
Wege nach Flurnamen
| Špowtna droga: | Schpowtenweg, benannt nach dem Flurnamen spowty, Spolte, Spote (gemeinsame Beete) (heute Florian-Geyer-Straße, Kolkwitz |
| Gliny, do glin, w glinach: | Ackerfeld Lehmfluren, 1721 Glienfeld, Glienheide Glienickfeld (heute An der Bahn, Eichow) |
| Pódgolska droga: | Podgolaweg (heute Wiesenstraße, Kolkwitz) |
Durch die zunehmende Industrialisierung der Region am Ende des 19. Jahrhunderts, vor allem dem Aufbau der Textilindustrie und des Bahnwesens, erhöhte sich der Bedarf an Arbeitskräften in der Stadt Cottbus sprunghaft. Das führte zu einer deutlichen Zunahme der Bautätigkeit und damit auch der Einwohnerzahlen in Cottbus und in den Dörfern der Region. Das System der Konskriptionsnummern kam hierdurch an seine Grenzen. Neu erbaute Häuser zwischen Bestandbauten bekamen die nächste freie Nummer. Ein Beispiel aus Kolkwitz: Nr. 93 lag am Weg nach Papitz, Nr. 93a in der heutigen Bahnhofstraße Süd und Nr. 97 am Dahlitzer Weg. Das machte eine Orientierung ohne gute Ortskenntnisse zunehmend schwierig.
Die Zeit der Weimarer Republik
1924 gab es schließlich einen Beschluss zur Einführung amtlicher Straßennamen in Kolkwitz. In der Baugenehmigung für den Neubau des Saales des Schwarzen Adlers vom 07.03.1925 ist beispielsweise erstmals die Bahnhofstraße verzeichnet. Viele der damals eingeführten Straßennamen begleiten uns bis in die heutigen Tage. Im Adressbuch für Cottbus Stadt und Landkreis von 1927 finden wir in Kolkwitz bereits folgende Straßen:
| Berliner Straße Alte Straße Am Priorgraben An der Steinteichmühle Bergstraße Birkenallee Cottbuser Straße Drebkauer Straße Eisenbahnstraße Feldstraße Bahnhofstraße | Friedhofstraße Glinziger Straße Güterbahnhofstraße Hänchener Chaussee Koschendorfer Straße Leuthener Straße Lindenstraße Mittelstraße Neue Straße Lungenheilstättenweg Papitzer Straße | Parzellenstraße Rubener Straße Schulstraße Ströbitzer Straße Teichstraße Turnstraße Vetschauer Straße Waldstraße Winkelgasse Putgolla |
Für die anderen Dörfer der heutigen Großgemeinde finden wir weder im Telefonbuch von 1927 noch von 1940 entsprechende Straßenangaben, sondern lediglich die bereits oben angesprochenen Hausnummern.
Die Zeit des Nationalsozialismus
In der Zeit des Nationalsozialismus ab 1933 wurden in Kolkwitz mehrere Straßen umbenannt. Die Berliner Straße wurde zur Adolf-Hitler-Straße, die Bahnhofstraße zur Hindenburgstraße und der Bismarck-Platz (heute Friedensplatz) zum Horst-Wessel-Platz. Gegenstand der weiteren Recherchen wird es sein, die Zeitpunkte und Hintergründe dieser Umbenennungen näher zu beleuchten.
Die Nachkriegszeit bis zur Gründung zum Ende der DDR
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges und dem Ende der NS-Herrschaft wurden die Umbenennungen aus den 1930er Jahren rückgängig gemacht. Die Berliner Straße und die Bahnhofstraße erhielten ihren ursprünglichen Namen zurück. Der Horst-Wessel-Platz wurde zum Friedensplatz. Die offizielle Benennung dieses Platzes erfolgte jedoch erst im September 2024 mit einem Gemeindebeschluss. Zeitgleich mit der Rückbenennung der o.g. Straßen erfolgte eine Umbenennung folgender Kolkwitzer Straßen:
| • | Bergstraße in Karl-Liebknecht-Straße |
| • | Drebkauer Straße in Wilhelm-Schadow-Straße |
| • | Rubener Straße in Florian-Geyer-Straße |
| • | Vetschauer Straße in Friedrich-Engels-Straße |
| • | Neue Straße in Karl-Marx-Straße |
| • | Turnstraße in Martin-Kaltschmidt-Straße |
Noch ungeklärt ist bis heute, wer Martin Kaltschmidt war. Die entsprechenden Gemeindebeschlüsse aus den Jahren 1946/47 müssen noch gefunden und gesichtet werden. Bekannt ist bis heute lediglich, dass er ein Bürger aus Kolkwitz war, 1847 in Briesen geboren wurde und 1936 in Kolkwitz verstarb. Welche Verdienste hatte er, dass eine Straße nach ihm benannt wurde? Der Autor möchte alle Leser aufrufen, ihr vielleicht vorhandenes Wissen darüber mit ihm zu teilen. Die Kontaktadresse findet sich am Ende des Textes.
Die 40 Jahre DDR waren auch geprägt durch ein reges Baugeschehen in den Gemeinden. Neue Wohngebiete wurden erschlossen und neue Straßennamen vergeben, wie das Wohngebiet „Am Klinikum“ oder die „Gerhard-Hauptmann-Straße“ in Kolkwitz.
Die Nachwendezeit
Im Dezember 1993 wurde die Großgemeinde Kolkwitz gegründet. Infolgedessen waren einige Straßennamen mehrfach vergeben. Das betraf insbesondere die Dorfstraße (12x). Eine Vielzahl von Umbenennungen wurde daher erforderlich. Hier einige Beispiele für die Umbenennung ehemaliger Dorfstraßen:
| • | An der Feuerwehr (Babow), Caseler Straße (Brodtkowitz) |
| • | Drei Kaiser Ecke (Dahlitz), Dorfring (Eichow) |
| • | Zur Koselmühle (Glinzig), Gulbener Hauptstraße (Gulben) |
| • | Kastanienallee (Kackrow), Am Denkmal (Klein Gaglow) |
| • | Am Gut (Krieschow), Schlossstraße (Milkersdorf) |
| • | In den Wiesen (Wiesendorf), Dorfaue (Zahsow) |
Weitere Ausführungen zur Systematik der Straßennamenvergabe enthält ein Betrag von Ingo Höhne in den „Kolkwitzer Geschichte(n) 2020“.
Zahlreiche neue Wohn- und Gewerbegebiete entstanden in den Jahren nach 1990 und mussten somit auch neu adressiert werden, wie das „Musikerviertel“ in Kolkwitz, die Wohngebiete „Am Moorgraben“ und „Am Lapainzgraben“ in Kolkwitz, das Wohngebiet „Grabensiedlung“ in Glinzig, die Wohngebiete „Wiesendorfer Weg“ und „Lindenpark“ in Limberg und weitere. Die gegenwärtig letzten Namensvergaben waren im Jahr 2024 in einem neuen kleinen Wohngebiet im Osten von Kolkwitz „Gliena/Glina“, benannt nach dem dortigen Flurstück Gliny, na Glinach (Ackerfeld Lehmbeete), sowie die offizielle Benennung des Friedensplatzes.
Eine umfassende Aufstellung der historischen und aktuellen Straßen für alle Orte der Großgemeinde Kolkwitz liegt im Archiv der IG Heimatgeschichte im Haus der Gemeindebibliothek zur Einsicht aus. Die Aufarbeitung der Geschichte der Straßennamen der Großgemeinde Kolkwitz ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Die Arbeit an diesem Thema ergab hochinteressante Einblicke in die Historie unserer Heimatorte und neue, zum Teil auch brisante und unbequeme Fragen insbesondere für die Zeit der NS-Herrschaft. Neben der Archivarbeit sind wir dabei auch auf die Hilfe der Bürger der Großgemeinde angewiesen. Eine große Hilfe für unsere Recherche wären alte Landkarten, Straßen- und Stadtpläne, Adressbücher sowie historische Straßenfotos oder Postkarten. Wer hat vielleicht solche uralten Unterlagen noch in Verwahrung und kann uns diese, ggf. auch leihweise, zur Verfügung stellen? Wer kann uns bei der Aufarbeitung der Martin-Kaltschmidt-Straße mit seinem Wissen helfen?
Wir sind dankbar für jede Form der Hilfe!
Unsere Kontaktdaten:
Interessengemeinschaft Heimatgeschichte, erreichbar über die Gemeindebibliothek Kolkwitz oder an Dr. Enke per E-Mail: h.e.kolkwitz@web.de
(Die verwendeten Quellen können beim Autor erfragt werden.)