Titel Logo
Stadtanzeiger – Mitteilungsblatt der Stadt Leuna mit den Ortschaften
Ausgabe 11/2025
Freizeitangebote
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Leunaer Kommunalwahlen zwischen Biertisch (1816) und Rundem Tisch (1990)

Teil 15:

von Ralf Schade

____________________________________________________________

Quellen für diesen Beitrag sind: StA Leuna; Rep. XII; Akte Nr. 72, StA Leuna; Rep. XII; Akte Nr. 76, StA Leuna; Rep. XII; Akte Nr. 70 und StA Leuna; Rep. XII; Akte Nr. 145.

Neu war 1961 auch, dass es in der Woche vor der Wahl noch einmal zu Diskussionsveranstaltungen kam und am Wahltag selbst Sport- und Musikveranstaltungen vor den Wahllokalen stattfanden:

„Kulturprogramm

zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl 1961

Dienstag, den 12. September 1961

Anschließend:

Forum mit Hausfrauen und Rentnern

Film „Reifender Sommer“

Mittwoch, den 13. September 1961

Anschließend:

Jugendforum

Film „Rabaukenkabarett“

Donnerstag, den 14. September 1961

Frauenforum – Thema: „Was können wir Frauen für die

Erhaltung des Friedens tun?“

Sonnabend, den 16. September 1961

19.00 Uhr

Fackelzug der Jugend und Pioniere

(Auflösung am Rathaus)

20.00 Uhr

Tanzabend im Klubhaus der Werktätigen

Sonntag, den 17. September 1961

8.00 Uhr

Musik und Sportwerbegruppe im Wohnheim

10.00 Uhr

Agit.-Prop.-Gruppe der Ludw.-Jahn-Schule im Wohnheim

9.00 Uhr

Agit.-Prop.-Gruppe der Ludwig-Jahn-Schule in der

Ludwig-Jahn-Schule

9.45 Uhr

Zentraler Chor in der Ludwig-Jahn-Schule

8.30 Uhr

Zentraler Chor in der August-Bebel-Schule

9.00 Uhr

Gesangs- und Sprechchor der Aug.-Bebel-Schule

in der Aug.-Bebel-Schule

8.30 Uhr

Leuna-Chor im Bau 1700

9.00 Uhr

Musik und Sportwerbegruppe im Bau 1700

10.15 Uhr

Volksinstrumentalgruppe im Bau 1700

9.30 Uhr

Leuna-Chor im Rathaus

9.45 Uhr

Musik und Sportwerbegruppe im Rathaus

10.00 Uhr

Gesangs- und Sprechchor der August-Bebel-Schule

im Rathaus

12.45 Uhr

Blasorchester im Rathaus

10.45 Uhr

Leuna-Chor im Gasthaus Göhlitzsch

11.00 Uhr

Gesangs- und Sprechchor der August-Bebel-Schule

Im Gasthaus Göhlitzsch

12.00 Uhr

Blasorchester im Gasthaus Göhlitzsch

10.00 Uhr

Blasorchester in Leuna-Kröllwitz

11.00 Uhr

Blasorchester in Leuna-Daspig

15.00 Uhr

Tanztee im Klubhaus der Werktätigen. “

Am Abend des Wahltages musste der Bürgermeister noch einen Lagebericht schreiben und durch Kurier den übergeordneten Organen zuleiten:

„Stadtwahlausschuß Leuna  —  Leuna, den 17.9.1961

Abschlußbericht des Stadtwahlausschusses Leuna

Zur Einschätzung über den Ablauf der Volkswahl am 17.9.1961 kann gesagt werden, daß dieser Tag zu einem Festtag für die Einwohner der Stadt Leuna wurden. Es wurde ein fast einmütiges Bekenntnis zu unserem Friedensstaat abgelegt.

Im Verhältnis zu den früheren Wahlen in der Stadt Leuna kann eingeschätzt werden, daß die Bevölkerung aktiver, aufgeschlossener und wahlfreudiger, unsere Wahlvorstände bei ihrer Arbeit unterstützen.

Die Bevölkerung war in diesem Jahr besonders in den Morgenstunden wahlfreudig. Während im Jahr 1958 um 8.00 Uhr 20 % der Einwohner ihrer Wahlpflicht nachkamen, waren es 1961 bereits 28,8 %. Um 9.45 Uhr waren es im Jahr 1958 48 %, im Jahr 1961 61,1 %. 1958 waren um 14.00 Uhr 90 % der Bevölkerung ihrer Wahlpflicht nachgekommen, während es in diesem Jahr bereits 95 % waren. Im Jahr 1958 war die Wahlbeteiligung insgesamt 98,7%. Bei der Volkswahl 1961 beteiligten sich insgesamt 99,1% der Bevölkerung der Stadt Leuna.

Die 10 Wahllokale der Stadt Leuna wurden 4.30 Uhr ordnungsgemäß eröffnet. Den ersten Wählern wurde von Jungen Pionieren der Aug.-Bebel-Schule ein Blumenstrauß überreicht. Den 29 Einwohnern die am heutigen Tag Geburtstag feierten, wurde in würdiger Form ein Buch zum Andenken an die Wahlen zum Kreistag und zur Stadtverordnetenversammlung am 17. September 1961 überreicht. Darüber hinaus erhielt die älteste Einwohnerin (94 Jahre) eine Schachtel Konfekt und der Schneidermeister Figura anläßlich seines 40 jährigen Meisterjubiläums einen Blumenstrauß überreicht.

Die Stimmung der Bevölkerung bei der Stimmenabgabe kann als positiv eingeschätzt werden. Zu den ersten, die das Wahllokal des Wahlbezirkes VI aufsuchten, gehörte der 64-jährige Maschinist Karl Westphal, der als erster den Stimmschein in die Wahlurne steckte, erklärte, den Frieden kann man nicht früh genug seine Stimme geben. Mit meiner heutigen Wahl habe ich auch zum Abschluß eines Friedensvertrages Ja gesagt. Im selben Wahllokal erklärte Ingenieur Grafe, ich gebe meine Stimme offen den Kandidaten der Nationalen Front. Im Wahlbezirk V erklärten Wähler, daß sie volles Vertrauen zu den Kandidaten der Nationalen Front haben und deshalb ihre Stimme offen abgeben.

Es muß gesagt werden, daß in diesem Jahr sehr wenig Bürger die Wahlkabine aufsuchten. So haben im Wahlbezirk VII mit 1.766 Wahlberechtigten nur 4 Bürger die Wahlkabine aufgesucht. Im Wahlbezirk V gaben alle Bürger ihre Stimme offen den Kandidaten der Nationalen Front.

Im Wahlbezirk I erschienen 9.00 Uhr das Lehrlingswohnheim geschlossen zur Wahl. Um 8.00 Uhr erfüllten die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr ihre eingegangene Verpflichtung, indem sie geschlossen zur Wahl gingen. Zu beachten ist, daß in diesem Jahr erstmalig die Diakonie geschlossen zur Wahl gingen. Um 6.00 Uhr kam der Pfarrer Vetter seiner Wahlpflicht nach, während die Pfarrer Laßmann um 7.00 Uhr und Hüttel von Heinfeld um 11.00 Uhr ihre Stimme offen den Kandidaten der Nationalen Front gaben.

Die 380 eingesetzten Agitatoren traten nur in den Wahlbezirken II, III und VIII besonders in Erscheinung. In den anderen Wahlbezirken erschienen die Wahlberechtigten bereits in den frühen Morgenstunden in ihrem Wahllokal. Besonders im Wahlbezirk VII kam es zu Wartezeiten der Wähler, obwohl der Wahlablauf flüssig von statten ging.

Vor allen Wahllokalen traten während des gesamten Vormittags Kultur- und Sportwerbegruppen auf.

Auf Grund seines provokatorischen Auftretens in Vorbereitung der Wahlen und am Wahltag selbst, mußte der Einwohner Otto Herzke Wohnheim West, durch unsere Sicherheitsorgane in Haft genommen werden.

Die Bürgerin Gertrud Moritz leistete der Aufforderung der Agitatoren Folge und ging zur Wahl. Im Wahllokal benahm sie sich jedoch provokatorisch, indem sie die Stimmzettel zerknüllte und mit wegwerfender Geste in die Urne warf. Die Bürgerin Moritz ist in der Stadt als anständige und fleißige Bürgerin bekannt.

Zur Sichtwerbung in der Stadt Leuna ist zu sagen, daß der Anlauf nicht zufriedenstellend war. In einer Funktionärssitzung am Donnerstag, dem 14.Sept. 1961 wurde dies als Schwerpunkt behandelt, an dem ein Vertreter das Bezirksausschusses der Nationalen Front teilnahm.

Am Sonntag, dem 17.9.61 konnte festgestellt werden, daß in gemeinsamer Arbeit mit der Kreisleitung der SED des VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“ die Rückstände aufgeholt worden waren. Die Kandidaten des Kreistages Merseburg und der Stadtverordnetenversammlung Leuna im VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“ wurden durch Bildaufsteller am Ernst-Thälmann-Platz nochmals popularisiert.

Von den 71 Bürgern, die ihrer Wahlpflicht nicht nachkamen, ist zu berichten, daß 36 Bürger in Tbc-Heilstätten, Krankenhäusern außerhalb des Kreises bzw. zu längeren Kuraufenthalten abwesend waren. 19 Bürger befanden sich im Urlaub. 3 Bürger lehnten es ab, zur Wahl zu gehen.

Die Bürgerin Pflaume, Ursula begründete ihre Handlungsweise damit, daß sie mit unseren bewaffneten Streitkräften nicht einverstanden ist.

Die Einwohner Dörgschlag, Wilhelm und Gertrud verweigerten ohne Gründe ihre Stimmabgabe. Diese beiden Einwohner sind Mitglied des evang. Kirchenrates.

Rat der Stadt Leuna
(Haugk)
Bürgermeister.“

Dieses 1961 eingeführte Ritual hatte in der DDR für Wahlen auf allen Ebenen bis 1989 Bestand. Die Kandidaten und Nachfolgekandidaten von 1961 hatten folgende Struktur.

„1. Politische Zusammensetzung

nominiert von:

Kandidaten

Nachfolger

23 Kandidaten

SED

SED

11

5

4 Kandidaten

CDU

CDU

4

2

4 Kandidaten

LDPD

LDPD

4

2

4 Kandidaten

NDPD

NDPD

4

1

6 Kandidaten

ptl

FDGB

9

6

FDJ

4

2

VdgB

3

1

DFD

3

2

KG

2

1

KB

1

Nachfolger

15 Kandidaten

SED

2 Kandidaten

CDU

2 Kandidaten

LDPD

1 Kandidat

NDPD

2 Kandidaten

ptl

2. Soziale Herkunft

Arbeiter

29 Kandidaten

Angestellte

8 Kandidaten

Landwirte

2 Kandidaten

Intelligenz

2 Kandidaten

Gewerbetreibende

1 Kandidat

Mittelstand

3 Kandidaten

Nachfolger

Arbeiter

15 Kandidaten

Angestellte

4 Kandidaten

Landwirte

5 Kandidaten

3. Jetzige Tätigkeit

Arbeiter

22 Kandidaten

Angestellte

11 Kandidaten

Genossenschaftsbauern

3 Kandidaten

Intelligenz

5 Kandidaten

Gewerbetreibende

1 Kandidat

Sonst.

3 Kandidaten

Nachfolgekandidaten

Arbeiter

11 Kandidaten

Angestellte

3 Kandidaten

Genossenschaftsbauern

1 Kandidat

Intelligenz

1 Kandidat

Sonst.

3 Kandidaten

4. Altersmäßige Zusammensetzung

Bis 25 Jahre

3 Kandidaten

26 – 30 Jahre

4 Kandidaten

31 – 40 Jahre

12 Kandidaten

41 – 50 Jahre

10 Kandidaten

51 – 60 Jahre

9 Kandidaten

über 60 Jahre

7 Kandidaten

Nachfolger

bis 25 Jahre

1 Kandidat

26 – 30 Jahre

3 Kandidaten

31 – 40 Jahre

8 Kandidaten

41 – 50 Jahre

4 Kandidaten

51 – 60 Jahre

5 Kandidaten

Über 60 Jahre

1 Kandidat

5. Von den vorgeschlagenen Kandidaten sind

11 Frauen

34 Männer

Von den Nachfolgekandidaten sind

5 Frauen

17 Männer

Rat der Stadt Leuna
(Haugk)
Bürgermeister“

In der Mitte der 60er Jahre des 20. Jh. kristallisierte sich ein weiteres Problem heraus, das hohe Alter der Kandidaten von SED und FDGB. Zu Wahlen durften nur Partei- und Massenorganisationen aus den Wohngebieten ihre Kandidaten nominieren. Die jungen Leute von SED und FDGB waren jedoch im Werk organisiert. Nur SED, FDJ, FDGB, DSF, GST und KDT durften Strukturen im Werk haben, alle anderen Parteien und Massenorganisationen nicht. Die SED und die anderen Massenorganisationen, die sich im Werk organisierten, waren in den Leunaer Wohngebieten nur durch Rentner und Hausfrauen vertreten. Es mussten nun Vereinbarungen zwischen Werk, SED und betroffenen Massenorganisationen geschlossen werden, damit die Mitglieder aus dem Werk auch in den Wohngebieten kandidieren durften. Die führte in Leuna zum Absinken des Durchschnittsalters unter den Volksvertretern:

„ Altersmäßige Zusammensetzung der Kandidaten für die Wahlen am 10. Okt. 1965.

21 – 25 Jahre

10 Kandidaten

25 – 30 Jahre

6 Kandidaten

30 – 40 Jahre

11 Kandidaten

40 – 50 Jahre

15 Kandidaten

50 – 60 Jahre

9 Kandidaten

Über 60 Jahre

3 Kandidaten

Die Kandidaten kommen aus folgenden Bereichen:

Staatliche Organe

7 Kandidaten

Massenorganisationen

4 Kandidaten

Volksbildung

2 Kandidaten

Gesundheitswesen

1 Kandidat

Grundstoffindustrie-Chemie

26 Kandidaten

Lebensmittel einschl. Handel

3 Kandidaten

Bauwirtschaft

1 Kandidat

Landwirtschaft und Landtechnik

4 Kandidaten

Handwerker, Rentner und Frauen

6 Kandidaten

(Bauer)
Leiter des Wahlbüros.“91