Inzwischen war es Juli geworden.
Der Jungstorch, schon groß und kräftig, wird bereits ab und zu allein gelassen, weil beide Elternteile auf Nahrungssuche gehen.
Er hockt im Nest und beobachtet die Pferde auf der Koppel, die Schafe auf der Wiese und alles, was sonst noch hier los ist. Er kann also den ganzen Tag fernsehen. Da wird das Flugtraining schon mal vergessen.
Am 18. Juli wurde das Heu von den Wiesen rundum eingefahren. Ein genussreicher Tag für die Storcheneltern, denn das Buffet wurde direkt neben dem Horst ausgebreitet. Die beiden spazierten unbeeindruckt von den riesigen Maschinen und sammelten alles auf, was so vor den Schnabel kam.
Für den Junior jedoch wurde es ein recht abenteuerreicher Tag und wieder mal ein sorgenvoller für uns.
Da unser Haus den Blick auf den Storchenhorst ermöglicht, merken wir schon gar nicht mehr, wie häufig wir aus Küche oder Wohnzimmer zum Horst hinübersehen. Es geschieht unbewusst und sehr oft.
So registrierten wir gegen 11.00 Uhr das leere Storchennest. Junior war noch nie auf dem Nest mit ausdauerndem Flügelschlagen gehopst, um seine Flugtauglichkeit zu testen, denn das ist Voraussetzung für sicheres Fliegen und Landen, er war also noch nicht flügge. Und nun war er plötzlich weg …
Keiner hatte es bemerkt, auch nicht die Arbeiter, die neben dem Horst die Heuballen in die Lagerhalle transportierten. Der Lärm der Traktoren war ihm wohl zu viel geworden, so dass er einfach zu seinen Eltern auf die Wiese gesegelt war. Dort entdeckten wir ihn mit dem Fernglas.
Zunächst große Erleichterung, aber gleichzeitig trieb uns die Sorge um, ob er es bis zum Abend wieder zurück ins Nest schaffen würde. Bei seiner fehlenden Flugerfahrung dürfte das ein Problem sein …. Und es war eins.
Das Storchenpaar stand abends wieder auf dem Horst und Junior schlich (vermutlich mit hängenden Ohren) unten auf der Wiese mit Blick zu den Eltern, von denen jedoch keine Hilfe kam. Wie sollte das auch gehen?
Wir haben das Geschehen bis zum Dunkelwerden mit Bangen beobachtet und gehofft, dass in dieser Nacht die Wethautaler Füchse bitteschön anderswo nach Beute suchen möchten.
Es gab Überlegungen, eventuell eine Nachtwache zusammen mit Freunden für den jungen Storch zu organisieren. Diese Idee wurde aber wieder verworfen. Dafür haben wir mehrmals in der Nacht das Fernglas bemüht, um Ausschau zu halten.
Als wir am Folgetag im Morgengrauen alle drei Störche friedlich beim Frühstücken auf der Wiese sahen, waren wir sehr erleichtert. Später flogen die Eltern dann wieder auf den Horst, nur unser Jungstorch traute sich nicht, auch wenn die Eltern heftig klapperten.
Irgendwie ist er dann doch aus eigener Kraft nach oben gekommen, denn am Nachmittag war er plötzlich wieder auf dem Horst.
Noch größere Erleichterung!
Von da an gehörte es zur Normalität, dass der Jungstorch die Freiheit des Fliegens nutzte. Meist war er mit den Eltern unterwegs und lernte so sein näheres und weiteres Umfeld kennen.
Jungstörche müssen in knapp 3 Monaten vieles lernen, was sie für ihr Leben und Überleben brauchen. Dazu gehört zum Beispiel, wie und wo man am besten startet und landet und wo man Nahrung findet.
Auch beim Nestbau werden Jungstörche schon mit einbezogen.
Sie lernen aber auch, den Aufwind zu nutzen und sich im Spiralflug immer höher tragen zu lassen.
Es ist ein faszinierender Anblick, wenn die gesamte Storchenfamilie über uns schwebt und sich immer höher ins Himmelsblau schraubt, bis sie nicht mehr für unsere Augen sichtbar ist - ein echter Gänsehaut-Glücksmoment.
Im Juli nahmen wir auch Kontakt zur Auswilderungs- und Aufzuchtstation in Thräna auf, dem Herkunftsort unserer Störchin. Der dortige Leiter war erfreut zu hören, dass die dort vor 4 Jahren geschlüpfte und beringte Störchin in Punkewitz erfolgreich gebrütet hat.
Im Gespräch ergab sich, dass er derzeit auch 2 Jungstörche, die er vom Storchenhof Loburg übernommen hat, aufzieht.
Und welch ein Zufall! Es handelt sich genau um die beiden, die in Wethau vom Nest genommen werden mussten, da das Storchenmännchen am Pfingstmontag an einer Stromleitung tödlich verunglückt war. Amtstierarzt, Untere Naturschutzbehörde und ehrenamtliche Helfer waren im Einsatz.
Da es sich ursprünglich um 3 Nestjunge handelte, mit denen die Wethauer Störchin als Alleinversorgerin total überfordert gewesen wäre, wurde entschieden, nur einen Jungstorch bei ihr zu belassen und die beiden anderen extern aufzuziehen.
So kamen die beiden Wethauer Jungstörche über Loburg nach Thräna.
Storchenfreund Timo Kirmes hat es gefreut zu hören, wo seine Schützlinge bis zu ihrem Abflug ein sicheres Zuhause gefunden haben.
Fortsetzung folgt