Der ehemalige Verein der Neustädter Autoren begeht bin diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum. Aufgrund der Auflösung des Vereins wurde der „Zirkel Schreibender“ ins Leben gerufen. Die nachfolgende Geschichte und das Gedicht stammen von Autorinnen, die einmal dort engagiert waren.
Nur durch Felder führen die kurzen Pfade, die unsere Altvorderen zwischen den Siedlungen getreten hatten. Daraus bauten sie später Fahrwege und pflanzten zu beiden Seiten Obstbäume.
Wer in den achtziger Jahren von Polenz nach Rückersdorf wollte, musste einen Umweg nehmen, weil ihm ein neuer Kuhstall den Weg versperrte. Auf dem Rest dieser idyllischen Straße fuhren nur noch Traktoren. Sie zerstörten die Oberfläche, der Frost tat das Übrige. Immer unwegsamer wurde die Fahrbahn. Alles war zerbröselt und zerlöchert, das Laufen ein einziges Gestolper.
Trotzdem zog es mich hinter dem Stall auf die alte Straße. Nach Rückersdorf muss man über eine Anhöhe. Von oben überschaue ich die ganze Gegend. Ich sehe die verschiedenen Farben der Wälder, Wiesen und Äcker, die grünen Haine auf den Kuppen und die Baumriesen, die einsam in den Fluren ausharren und jene, die sich über den Horizont erheben.
Ich freue mich an den Spielen der Wolken, wenn ihre Schatten über weiße Schnee- oder gelbe Rapsfelder schweben und ich liebe die alten Alleen mit ihren Bäumen, die im Winter Scherenschnitten gleichen und im Mai blühen wie Bräute. Inzwischen muss keiner mehr stolpern. Die Straßen haben einen neuen Belag und sind Radwege geworden. Wie dunkle Seidenschleifen ziehen sie über die Hügel.
Aber wo sind die Apfelbäume? Den Stürmen konnten sie trotzen, nicht den Scharen der schweren Pflüge, die ihnen die Wurzeln zerschnitten und nicht den großen Landmaschinen, die ihnen die Kronen beschädigten. Äste liegen halb verrottet und vermoost im Graben. Dire Stämme sind zerborsten, ohne Rinde glänzen die grau und glatt.
Hingeworfene Eicheln keimten und ein Wäldchen entstand. Niemand hat die jungen Eichen ausge- lichtet. Hochaufgeschossen stehen sie dicht an dicht und halten die Apfelbäume gefangen. Diese konnten nur ihre obersten Zweige zum Licht schießen lassen und nun ähneln sie den Besen, die unsere Großväter aus Birkenreisern gebunden hatten. Aus einem hohlen Baumstumpf wächst ein daumendicker Trieb. Und ein Ästchen spreizt ab, mit samtig grauen Knospen. Wenn die im Frühjahr blühen!
Endlich ein hoher breit ausladender, ebenmäßiger Baum. Jemand hat ihn irgendwann verschnitten und ihm die Krone geformt. Vögel laben sich an seinen erfrorenen Äpfeln. Sein Nachbar war offensichtlich einst der größte Apfelbaum weit und breit. Der Stamm lässt sich nicht mit beiden Armen umfassen. Er ist hohl und auf einer Seite nackt. Käfer haben unzählige Löcher in das Holz gebohrt. Von den seltsamen Wucherungen und Knoten könnte man annehmen, ein Künstler hätte sie geschaffen. Die andere Seite behielt die großschuppige Rinde, tiefgrüne Moosbuckel befeuchten seinen Fuß. Krone hat er keine. Ein Jäger hat sie abgesägt, um auf dem mächtigen Stumpf seinen Hochsitz zu errichten. Der Sitz ist verschwunden. Morsche Latten mit rostigen Nägeln verrotten im Gras. Ist es möglich, dass dieser geschundene Baum noch einmal blüht?
Junge Reiser sprießen aus dem Stamm, der sich schon bedenklich neigt. Aber er fällt nicht. Er wird gestützt von einem Vogelbeerbaum, der im Inneren des morschen Riesen wächst. Seine Zweige schauen oben aus dem „Apfelrohr“. Ich muss genau hinsehen, um Ebereschen- und Apfeltriebe zu unterscheiden. Einander umwindend halten sie den alten Baum.
Auch dich wird mein Ruf nicht erreichen,
auch du wirst den anderen gleichen
nicht ahnend, wie tief du in meinem Traum.
Auch du wirst mich flüchtig nur streifen,
auch du wirst den Frühling dir greifen -
und doch blüht manchmal im Herbst noch ein Baum.
So hüll ich die Blüten in Nebel ein
und schlage Wimpern darüber,
bett sie in herbe Falten hinein,
dass kein Duft je zu dir reich hinüber.