Titel Logo
Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft für die Stadt Neusalza-Spremberg
Ausgabe 12/2024
Stadt Neusalza-Spremberg
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

IG Ortsgeschichte

Wie wär’s? Zur Weihnachtszeit eine Sage gefällig? Unser korrespondierendes IGO-Mitglied Lutz Mohr hat die „Sage vom unterirdischen Gang“ in Spremberg neu bearbeitet. Unterirdische Gänge und mystische Schätze sind vielfach Inhalte von Sagen. Die hier vorgestellte Sage ist in früheren Sagensammlungen veröffentlicht worden. Zu hinterfragen ist, ob diese Geschichte sich tatsächlich in unserem Spremberg zugetragen hat oder vielleicht eher doch in der Stadt Spremberg in der Niederlausitz. Nun, wie dem auch sei – begeben wir uns unter die Erde … (G. Hensel)

Der geheimnisumwitterte unterirdische Gang

Eine fast vergessene Sage aus der Frühzeit der Stadt Neu-Salza und der Gemeinde Spremberg

Vor Zeiten, kurz nach der Gründung des kursächsischen Städtchens Neu-Salza 1670, gab es in der Muttergemeinde Spremberg noch einen unterirdischen Gang, von dem man glaubte, dass er am Spremberger Kirchberg begann und unter der Spree zu einer dem Heiligen Georg geweihten Kapelle führte, die jenseits des Flusses auf einem Hügel stand. Georg galt als einer der vierzehn Nothelfer und insbesondere als Schutzpatron der ländlichen Bevölkerung und ihrer Nutztiere. Er war auch der gute Hirte der Soldaten und Gefangenen und schützte gegen Pest, Lepra, Geschlechtskrankheiten und giftige Schlangenbisse. Im Aberglauben jener Zeit galt der „Georgstag“ (23. April) als Frühlingsanfang und Beginn der Weidezeit sowie als Glückstag für Liebeszauber und Schatzgräberei.

Vollständigkeitshalber soll ausgeführt werden, dass sich dem Heiligen Georg geweihte Kirchen und Kapellen noch heute in den katholisch-sorbischen Kommunen der Ober- und Niederlausitz finden, so in Gebelzig, Ortsteil von Hohendubrau; Daubitz, Ortsteil von Rietschen sowie in der Gemeinde Großkmelen im Landkreis Oberspreewald-Lausitz. In der Niederlausitzer Stadt Spremberg an der Spree existierte bis 1970 eine „St. Georg-Kapelle“ aus dem 15. Jahrhundert auf dem städtischen „Georgenberg“, die wegen baulichem Verfall abgerissen werden musste. Heute erinnern nur noch Findlinge, eine rekonstruierte Bodenplatte und eine Gedenktafel daran. Wie der aktuellen regionalen Presse zu entnehmen ist, möchte ein Spremberger Förderverein die historische Kapelle wieder aufbauen.

Begeben wir uns nun wieder auf die Spuren der regionalen Sage zurück: Eines Tages beschloss der Rat der kleinen Stadt Neu-Salza, einem unschuldig zum Tode Verurteilten das Leben zu schenken, falls er den Weg durch den Gang wage und bei der Kapelle wieder ans Tageslicht käme. Der Mann erklärte sich bereit, konnte er doch bei dem Handel nichts verlieren, aber sein Leben gewinnen. Von vielen Schaulustigen aus Stadt und Dorf begleitet, stieg er in die Erde hinab. Doch kehrte er weder zurück noch kam er bei der Kapelle an. Jedermann glaubte also, er habe seinen Tod gefunden oder sei vielleicht gar von bösen Geistern entführt worden. Niemand fühlte sich verpflichtet, nach seinem Verbleib zu forschen.

So gingen einige Jahre ins Land. Da begaben sich mehrere Neusalzaer Bürger und Spremberger Dörfler geschäftlich in die Sechsstadt Zittau. Wie staunten sie, als sie dort auf der Straße versehentlich mit einem wohlhabenden und anscheinend angesehenen Städter zusammenstießen, in dem sie unzweifelhaft den vor Jahren bei ihnen verurteilten Mitbürger erkannten. Er nahm sie gastlich in sein Haus auf und erzählte ihnen schließlich, als ihre Neugier keine Ruhe gab, seine Geschichte.

Und so war es ihm ergangen: Er war eine Weile mutig in dem unterirdischen Gang entlang gegangen, bis er über seinem Kopf Hundegebell vernahm. Daraus schloss er, dass er sich unter dem Grundstück des Scharfrichters befände. Plötzlich sah er vor sich einen Geist mit einer brennenden Kerze. Die Erscheinung fragte ihn, was er da unten suche. Erschrocken, aber wahrheitsgetreu antwortete er: „Man hat mich zum Tode verurteilt. Finde ich aber den Weg zur Kapelle, so wird mir das Leben geschenkt.“

Darauf sprach der Geist: „Wohl dir! Fürchte dich nicht! Geh getrost weiter, und du wirst dein Glück finden“. Nach diesen Worten verschwand die Erscheinung. Er aber fasste neuen Mut und schritt den dunklen Pfad weiter voran. Allmählich erweiterte sich der Gang zu einem breiten Gewölbe, in dem zwölf armlange und leuchtende Apostelfiguren aus Gold standen. Er setzte sich und wartete, bis er glaubte, oben sei die Nacht angebrochen. Dann nahm er eine der Apostelstatuen an sich und verließ den Gang.

Da er draußen niemand mehr vorfand, ging er im Schutz der Nacht über die nahe und dicht bewaldete Grenze nach Böhmen. Dort zerschlug er die Figur und löste die Stücke nach und nach in Geld ein. Als reicher Mann ließ er sich nun in Zittau nieder und führte ein geachtetes und ehrbares Leben. Der Gang aber war inzwischen vermauert worden, weil aus ihm übler Gestank aufstieg. So warten die übrigen elf Apostelfiguren wohl noch immer vergeblich, dass sie gefunden werden.

Der historische Kern der Sage liegt anscheinend darin begründet, dass es lange vor der Reformation in Deutschland, also in katholischer Zeit, auch im Kirchdorf Spremberg an der böhmischen Grenze eine Wallfahrtskapelle analog anderer Orte in der Oberlausitz gegeben haben kann. Sie lag wahrscheinlich am Fuß des Kretschamberges (373 m ü. NN). der in älterer Zeit auch „Kritschenberg“ genannt wurde. Hier führte einst am Kretscham die historische „Kaiserstraße“ von der königlichen Residenzstadt Prag nach Bautzen, der Hauptstadt des böhmischen Nebenlandes Oberlausitz, vorbei. In Bautzen nahm auch die uralte Landstraße nach Löbau ihren Anfang.

Mit der Einführung der Reformation im Dorf Spremberg 1555 wurde das Bethaus als katholisches Relikt überflüssig und verfiel. Über hundert Jahre später - zur Zeit der Erbauung des Städtchens Neusalza durch Christoph Friedrich von Salza und der Ansiedlung böhmischer Exulanten - waren nur noch vage Erinnerungen an diese Kapelle vorhanden, in denen sich Lokalgeschichte und Sage vermischten. Und in den ersten drei Jahrzehnten des Bestehens des kursächsischen Städtchens Neu-Salza seit 1670 gab es hier wirklich eine Scharfrichterei, deren Amtsinhaber ihres „Handwerks“ walteten. Es wurden namentlich vier Scharfrichter und vier Hinrichtungen bezeugt.

Aber Relikte einer Georgskapelle wie in der Niederlausitzer Spreestadt Spremberg traten in der Oberlausitzer Landstadt Neusalza-Spremberg im Landkreis Görlitz bisher nicht zutage. Aus dem seit alter Zeit überlieferten Sagenstoff und dessen mehrmalige Bearbeitung durch verschiedene Editoren lässt sich demzufolge schlussfolgern, dass Inhalt und Lokalisierung in etwa sowohl auf die heutige Landstadt Neusalza-Spremberg im Oberlausitzer Bergland als auch auf die Niederlausitzer Stadt Spremberg an der Spree im heutigen Bundesland Brandenburg zutreffen.“

Dipl.-Hist. Lutz Mohr