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Amtsblatt der Verwaltungsgemeinschaft für die Stadt Neusalza-Spremberg
Ausgabe 3/2023
Stadt Neusalza-Spremberg
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IGO

In der Zeitung „Unsere Heimat“ Nr. 6 vom 22. März 1929, die in Schirgiswalde erschien, veröffentlichte Ortschronist Walter Heinich (1876-1940) einen interessanten Artikel über das Theatergeschehen in unserem Städtchen – konkret in Neusalza. Wir geben diesen Text in 2 Teilen im originalen Wortlaut wieder.

Teil 2 von 2:

Die Wandertheater in Neusalza bis 1838

Von Walter Heinich

„Der Schauspielunternehmer Hartmann gab vom 27. Januar bis 5. März 1833 mit seiner Gesellschaft 18 Vorstellungen. Es wurde also jeden zweiten Tag gespielt. Auch war der schon genannte Moser vom 22. September bis zum 3. November in Neusalza und trat mit seiner Truppe 21 mal auf. Auch ein „Professor, der Magie ergeben, Herr Schumann“ gab vier Vorstellungen. Vom 17. August bis 8. September hatte der „Mechanikus, Herr Just“ den Rathaussaal inne. Wahrscheinlich hat er kunstvolle Schauwerke mit beweglichen Figuren, Krippen, Bergwerke und dergl. ausgestellt und vorgeführt. Um Weihnachten zeigte der „Voltigirkünstler“1 Brillof an 4 Abenden der staunenden Mitwelt seine Künste. Der Schauspieldirektor Moser war 1837 vom 11. Juni bis 20. August wiederum in Neusalza tätig. Einen Tag um den anderen fanden Vorstellungen statt. Er brachte folgende Stücke auf die Bretter: Karl der Zwölfte, Die Lichtensteiner, Der Pariser Taugenichts (2 mal), Der Pole und sein Kind, Der dumme Junge von Meißen, Die Grabesbraut, Lumpaci Vagabundus (2 mal), Der Dachdecker, Dr. Martin Luther, Die Schleichhändler, Der Wald bei Hermannstadt, Der politische Kannegießer (von Ludwig von Holberg 1742 erschienen), Die Braut aus der Residenz, Eleonore, Der Glöckner von Notre Dame (von der Birch-Pfeiffer, 2 mal), Das Mädchen von Zwenke (Zwenkau bei Leipzig ? ?), Graf von Burgund, Die Kreuzfahrer, Hans Just, Wilhelm Tell, Napoleons Leben und Ende (3 mal, etwa nach Grabbe?), Johann Gutenberg, Die Abendglocke bei Waldenstein, Jacob und seine Söhne, Doch mal recht gemacht, Graf Bankeraz, Margarethe von Burgund, Ben David oder Jude und Christ, Die heilige Genoveva, Der Wirrwar (von Kotzebue) und Der Schutzgeist.

Im folgenden Jahre 1838 spielte die aus 9 Herren, 6 Damen und einem Kind bestehende Pitterlinsche Truppe im November und Dezember hier. Sie mußte aber für jede Vorstellung schon 10 Groschen in die Stadtkasse abgeben. Aufgeführt wurden: Der Bräutigam aus Mexiko, Lustspiel von Clauren; Die Schule des Lebens, Schauspiel von Raupach; Die vier Temperamente, Lustspiel von Ziegler; Der Verschwender, Posse von Raimund; Genoveva, Schauspiel von Raupach; Till Eulenspiegel, von Raupach; Joseph und seine Brüder, Oper von Mehul; Der Freischütz, Oper von Weber; Der General-Hof-Schneider, Lustspiel von Albini; Der Nasenstüber, Lustspiel von Raupach; Die Verwandtschaften, Lustspiel von Kotzebue; Der Bauer als Millionär, Zauberposse von Raimund; Viola, Schauspiel von Auffenberg; Das Donauweibchen, Oper von Müller; Griseltis, Schauspiel von Halm; Moses, Schauspiel von Klingemann; Zur ebenen Erde und im ersten Stock, Posse von Nestroy; Der Pflegevater, Lustspiel v. d. Prinzessin Amalie von Sachsen.

Das Lustspiel und die Posse wurden, wie wir sehen, stark gepflegt und Raupach, der heute ungenießbar ist, bevorzugt; manche Stücke haben sich aber bis heute gehalten. Vermutlich war aber der Zuschauer und Hörer viel bescheidener als heute, denn mit der damaligen Beleuchtung und Garderobe würden wir kaum zufrieden sein. Die Kunst der Darstellung dürfte aber weit höher gestanden haben als bei den verschiedenen Wandertruppen, die wir nach 1918 hier gesehen haben.

Es ist nicht leicht, die Theaterzustände von damals mit heutigen Verhältnissen zu vergleichen: Eins steht aber wohl fest: Eine Theatergesellschaft von 16 Köpfen würde sich heute keine 2 Monate in Neusalza halten können. Damals war das Auftreten einer Schauspielergesellschaft ein Ereignis, nicht allein für den Ort, sondern auch für die Umgegend, und ein Wandertheater die einzige öffentliche Veranstaltung neben dem Schützenfeste. Wie man heute gefragt werden kann: „Haben Sie Ben Hur gesehen?“ oder „Kennen Sie Harry Liedtke oder Lil Dagover oder Dita Parlo?“, so dürfte damals das Auftreten des Direktor Moser als Napoleon oder Caspar, in Neusalza und Spremberg Tagesgespräch gewesen sein. Wie aber gespielt wurde, das wissen wir nicht, weil keine Kritiken darüber geschrieben worden sind. Außerdem darf man diesen Urteilen nicht immer trauen, sonst kann es geschehen, daß wir in 90 Jahren um den Hochstand unserer Darstellungskunst beneidet werden.

Um eine Posse oder ein Lustspiel mit Erfolg zur Aufführung zu bringen, braucht man keine Künstler. Dazu gehört das Können einiger fröhlicher mit gutem Willen. Daher die manchmal beachtlichen Erfolge unserer Liebhabervorstellungen in den Vereinen. Schwieriger sind schon Schau- oder gar Trauerspiele auf die Beine zu stellen. Der Mangel an Sprachkultur kann da verheerend wirken, wenn man sich nicht an Volksstücke hält. Die Zeiten der wandernden Schauspielertruppen scheinen endgültig dahin zu sein. Für das einfache Schaubedürfnis sorgen heute die Laufbildtheater; Posse und Lustspiel pflegen mit mehr oder weniger Geschick die Liebhabervorstellungen in den verschiedenen Vereinen; die hohe Kunst bleibt aber nach wie vor den Berufsschauspielern, welche heute für einen Abend an den stehenden Bühnen der größeren Städte im raschen Kraftwagen nach entfernteren Orten fahren, um dort ihr Können zu zeigen. Bildungs- und ähnliche Vereine sind dabei meistens die Unternehmer.“

Ausgewählt von Horst Wagner und Günter Hensel (IGO)

1) Beim Voltigieren (italienisch volta, französisch volte ‚Bogenschlag‘, ‚Bogensprung‘) werden turnerische und akrobatische Übungen auf einem sich an einer Longe im Kreis bewegenden Pferd ausgeführt. (aus Wikipedia)