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Gemeinde Osternienburger Land – Amts- und Mitteilungsblatt
Ausgabe 7/2023
Nichtamtlicher Teil
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Ortsteil Dornbock und Bobbe

Der 17. Juni 1953 in Dornbock

An diesem Tage kam es in der früheren Deutschen Demokratischen Republik zu Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen gegen die Politik der damaligen Regierung. Einer der Ausgangspunkte waren die Beschlüsse u. a. zur Erhöhung der Arbeitsnormen um mindestens 10 bzw. sogar um bis zu 30 Prozent in einigen Industriezweigen. Gleichzeitig wurden die Preise z. B. für Lebensmittel angehoben. Zwar wurde dies am Anfang des Monats Juni wieder korrigiert, aber das konnte den allgemeinen Frust gegen die gesamte politische Entwicklung nicht mehr abbauen. Auch deshalb kam es dann am 17. Juni 1953 zu den Streiks und Demonstrationen in den Zentren der Republik, die nicht nur friedlich verliefen.

Die in dem Lande stationierten sowjetischen Truppen beendeten dies dann gewaltsam, wobei es zu zahlreichen Toten und Verletzten kam. Im Anschluss daran gab es viele Verhaftungen, wo zahlreiche davon Betroffene zu langjährigen Zuchthausstrafen und sogar zum Tode verurteilt wurden. In den nachfolgenden Texten wird an Hand von vier Aussagen nur auf das, was an jenem Tag in Dornbock im früheren Kreis Köthen geschah, zurück geblickt.

Was der Ortschronist Gerhard Bringezu aus Dornbock darüber schrieb

“In unserer Nähe war besonders Calbe ein Schwerpunkt der Unruhen ... Der Berufsverkehr wurde mittels einer Autobuslinie von Köthen nach Calbe abgewickelt. Auf ihrer Heimfahrt legten die Arbeiter an diesem Tage in Dornbock, einen längeren Halt ein und begaben sich in die Gaststätte - damals Max Wagner (in der heutigen Zuchauer Straße Nr. 65 - siehe beistehendes Bild). Sie berichteten von den Ereignissen in Calbe und sprachen auch dem Alkohol zu. Sie verbrannten eine schwarz-rot-goldene Fahne und zerschlugen ein Bild mit Walther Ulbricht. Nach längerer Zeit bestiegen sie den Bus und setzten ihre Fahrt fort.

In den späten Nachmittagsstunden erschienen vor der alten Schule, Gehöft Nr. 23 (an der jetzigen Zuchauer Straße) zwei Lastkraftwagen mit russischen Soldaten und einem Angehörigen der Staatssicherheit. Sie umstellten die „Insel“ zwischen Hauptstraße - heute Zuchauer Straße, Bäckergasse (heute Schlippe) und der Straße - heute Mittelgasse Nr. 18, vor der Tischlerei. Sie nahmen Matthias Oswald fest, der damals im Gehöft Nr. 27, jetzt Schlippe - wohnte und fuhren mit ihm nach Köthen. Er soll seinen Schwager Heinz Leonhard bedroht haben, der nach Köthen angerufen hatte und dann zum Bruch flüchtete. Ob das Ganze einen politischen Hintergrund hatte oder nur privater Natur war, sei dahin gestellt. Oswald erschien nach einigen Tagen wieder in Dornbock."

Aus Berichten an die Dienststellen der Partei und der Polizei in Köthen

In einem Schreiben vom 18.06.1953 der Politabteilung der „Volkseigenen Maschinen-Traktoren-Station“ - der MTS Trinum an die Kreisleitung der SED in Köthen über die Ereignisse am 17.

Juni heißt es: „Erste Auswirkungen waren dann in Dornbock zu verzeichnen. Dort wurden in der Gaststätte die Bilder vom Gen. Wilhelm Pieck und Gen. Otto Grotewohl zerschlagen, sowie die Fahne der FDJ verbrannt. Anschließend fand eine Demonstration im Ort statt, wobei eine Ansprache gehalten wurde, und zwar von dem Wachschutzmann aus dem Hüttenwerk Calbe, Lass, Rudi, der Inhalt der Ansprache ist nicht bekannt.“

Der Operativstab des Volkspolizeikreisamt Köthen–VPKA wiederum schrieb dazu über die Gemeinde Dornbock, dass dort „... sich durch Provokateure in Bobbe und Dornbock angestachelt, etwa 30 Personen mit der Absicht zusammen gerottet hatten, den Sekretär der BPO – Betriebsparteiorganisation zu verprügeln.“

Was der damals 12 Jahre alte Dornbocker Schüler E. G. über diesen Tag erzählte

„Im Juni 1953 gastierte ein Karussell bei uns im Ort auf dem Dorfplatz. Das war ein Anziehungspunkt für uns Kinder. Auch am 17. Juni hielten wir uns dort auf. Nach dem Mittag ertönte aus dem Radio des Karussells immer wieder die Meldung über die Verkündung des Ausnahmezustandes. Am Nachmittag legte der Bus, der die Arbeiter aus dem Niederschachtwerk Calbe nach Hause beförderte, einen längeren Halt in Dornbock ein. Die Arbeiter stiegen aus und stießen gleich eine große Plakatwand um, an der sich Propaganda für die Nationale Front befand. Der Lehrer des Orts, der als Wiedergutmachung für seine NSDAP - Zugehörigkeit dafür verantwortlich war, klebte die Plakate immer sehr eifrig. Er bekam es nun mit der Angst zu tun und verschanzte sich in der Schule.

Wir Kinder hörten den lauten Knall, als die Plakatwand umfiel und liefen neugierig dorthin. Die Arbeiter gingen in den Gasthof und kurz darauf flogen zuerst die Bilder von Pieck, Ulbricht und Grotewohl aus dem Fenster, danach Fahnen, die in der Gaststätte deponiert waren. Die Fahne brannte schon. Jemand von den größeren Kindern forderte uns auf, unsere Russischbücher zu holen und auch zu verbrennen. Ich tat das dann auch, wofür mich meine Mutter bestrafte, weil sie das Buch wieder ersetzen musste. Den Parteisekretär trieb man aus dem Dorf. Er lief Richtung Wulfener Bruch und wurde erst nach einigen Tagen wieder im Dorf gesehen.

Die Arbeiter sind später mit dem Bus weitergefahren. Wir gingen zum Karussell.

Am späten Nachmittag kamen unsere Mütter aufgeregt auf den Platz gelaufen und holten uns nach Hause, weil mehrere LKW mit russischen Soldaten das Dorf abgeriegelt hatten und dabei waren, Leute zu verhaften. Vermutlich sind sie vom Parteisekretär denunziert worden.“

Unabhängig von den unterschiedlichen Sichtweisen auf diesen Tag im Ort, der für die dortigen Einwohnerinnen und Einwohner verhältnismäßig noch glimpflich ablief, wird daraus ersichtlich, dass der 17. Juni des Jahres 1953 mit all seinen tragischen Ereignissen, selbst um die Gemeinde Dornbock keinen Bogen machte.

Norbert Krieg

Verwendete Literatur:

Gerhard Bringezu, Heft 3 der Auszüge aus der Chronik der Gemeinde Dornbock, S. 26 Kreisvolkshochschule Köthen, -Geschichtswerkstatt- Der 17. Juni 1953 im Kreis Köthen - Ein Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte - ein von der Bundesanstalt für Arbeit gefördertes Projekt Landeshauptarchiv Magdeburg, Bestand: SED-Kreisleitung Köthen IV/411Nr. 263, Blatt 62 VS Kopie