Abb. 1: TK 25, Blatt 4152-Peitz, Ausgabe 1943, Preußische Landesaufnahme 1903, Hauptvermessungsabteilung IV
Abb. 2: Frühe Situationsskizze vom Bauvorhaben von Hein, Bauarchiv Amt Peitz
Abb. 3: Die geplante Fabrikantenvilla von HEIN, Bauarchiv Amt Peitz
Abb. 4: Briefköpfe der Firma Hein aus dem Jahr 1916
Abb. 5: Arbeitsordnung der Drahtziegelfabrik, Bernhard Hein, Kreisarchiv Forst
Das neue Jahrhundert brachte die Textilstadt Peitz in eine Notlage. Im Februar 1900 ist die damals zweitgrößte Tuchfabrik BUCHHOLZ insolvent. 1906 folgt die größte der Brüder GRÜNDER, die allein vier Standorte in Peitz und Ottendorf hat. Bürgermeister MARTIN mit dem Magistrat, die Stadtverordneten, selbst Vereine der Stadt bemühen sich, die verlorenen über 800 Arbeitsplätze zu ersetzen. Die Gubener Firma LINKE bietet 1904 im Georgenhof in Ottendorf 25 Mädchen Arbeit in einer Strumpfwirkerei. 100 Arbeiterinnen kommen bei der Samtverarbeitung MENGERS & SÖHNE in Lohn und Brot. Diese Berliner Velvetfirma hat als erste die günstigen Angebote aus Peitz angenommen, geht aber nach Kurzarbeit bereits 1914 in Konkurs. Der Trikotagenbetrieb SPRICK aus Lübben beschäftigt 30 Arbeiterinnen an Rundwebstühlen in der Cottbuser Straße 3 und in Heimarbeit, muss wenige Monate später aber auch aufgeben. 1906 baut der Kaufmann Heinrich DRAHT die Schneidemühle in der August-Bebel-Straße 9 zu einer Holzgroßhandlung aus und lässt für seine Berliner Niederlassung Fenster und Türen produzieren. Die gegenüber liegende 1900 gegründete Molkerei der Genossenschaft schafft neue Arbeitsplätze, als die Mitgliederzahl von einst 70 auf über 500 steigt. Sogar die Landwirtschaftskammer der Provinz unterstützt und gründet am 1. November 1906 die erste Landwirtschaftsschule von Brandenburg in Peitz. Vier Lehrerfamilien und ein Dutzend Pensionen haben mindestens im Winter (Winterschule) Verdienst. Nur die Textilfabrik von Carl REHN in der Schulstraße, die Schuhfabrik von Theodor RICCIUS am ehemaligen Lieberoser Tor und die seit 1905 erweiterte Lederfabrik Eduard DROSIHN in der Dammzollstraße 68 erfreuen sich größerer Aufträge. 1907 übernimmt die Norddeutsche Trikotagengesellschaft AG die ehemalige GRÜNDER’sche Fabrik in der Cottbuser Straße 14. Sie kann sich mit dem Verkauf von Unterwäsche am Markt halten. Der Verkauf der großen voll funktionstüchtigen Kammgarnfabrik im Plantagenweg 3 verzögert sich bis 1914, weil die Gläubiger von 1907-1909 einem Betrüger aus Berlin aufsitzen, der mit einer kessen Gaunerkomödie die Hypothekenlast auf das Grundstück vergrößert und unrühmlich in die Peitzer Stadtgeschichte eingeht (siehe Peitzer Landecho 7/2021, S. 6). 1910 richtet der Berliner Fabrikant Wilhelm CHRIST im erhaltenen Hauptgebäude der Ostern 1900 abgebrannten GRÜNDER’schen Fabrik in der Dammzollstraße eine Pantoffelproduktion ein. 1912 folgt der Antrag auf die Errichtung einer Glashütte in der Lieberoser Vorstadt. 1913 wird der große Ottendorfer Textilbetrieb wiederbelebt, den die Cottbuser Paul und Hermann FRANCKE für ihre Lausitzer Wollwerke ersteigern. 1914 ist mit Georg MARX aus Hessen auch ein Käufer für die Kammgarnfabrik im Plantagenweg gefunden.
Die Stadt Peitz kauft am 1. März 1914 für 12 000 Mark 9 Morgen Ackerland im „Turnower Feld“ für ein Industriegebiet.
Im gleichen Monat stellt der aus Rheinland-Pfalz stammende Ingenieur Bernhard HEIN einen Bauantrag für eine Drahtziegelgewebe- und Maschinenfabrik. Eine große Maschinenhalle mit einem Ankleideraum, zwei Lehmkeller mit einem Raum für die Lehmpresse, am Brennraum mit dem Ofen ein 33 Meter hoher Fabrikschornstein, ein Generator- und Motorraum, eine Weberei, Tischlerei und Schmiede sind mit diversen Lagerräumen bis auf einen Lichthof am Schornstein zu einem geschlossenen Ganzen angeordnet. An der langen Fassade der Maschinenhalle ist mittig ein kleiner Anbau geplant, der als Büroraum und Verbindung zur zweigeschossigen repräsentativen Fabrikantenvilla mit einem Walmdach dient. In einer ersten Situationsskizze vom Maurermeister Franz DAEHN ist sogar ein Anschlussgleis an den Peitzer Stadtbahnhof vorgesehen.
Am 1. April genehmigt die Königliche Gewerbeinspektion Cottbus II den Fabrikbau mit acht Auflagen, die der Cottbuser Maurermeister HELMCKE in die Bauunterlagen einarbeitet und am 8. April der Peitzer Polizeiverwaltung übergibt. Diese gestattet am 17. April die Einleitung der Abwässer in den offenen Abzugsgraben, sofern nach einem gesonderten Antrag ein wasserdichter Schlammabsonder und eine Dunggrube gebaut sind. In der Ausgabe vom 22. April des „Cottbuser Anzeiger“ steht die frohe Kunde aus Peitz:
„… Ein neues Unternehmen wird sich hier ansiedeln. Nachdem Bohrversuche nach Lehm ein befriedigendes Ergebnis hatten, wird nun mit dem Bau eines Ziegelwerkes begonnen.“
Im „Monatsblatt für die Kirchengemeinde Peitz“ schreibt in der Maiausgabe Oberpfarrer KNIESCHKE:
„Im übrigen ist unsere Stadt im Aufblühen begriffen. Wieder wächst eine Fabrik aus der Erde heraus. In der Nähe des Bahnhofs auf dem Wege nach Turnow soll die Anlage zu stehen kommen.“
Damals vergehen zwischen Bauantrag und Baubeginn wenige Wochen. Der Bau war in vollem Gange, als am 1. August der Krieg ausbrach. Die geplante Fabrikantenvilla und das Anschlussgleis werden aber nicht gebaut.
Ingenieur HEIN beantragt am 3. Oktober 1914 persönlich beim Peitzer Amtsgericht seine offene Handelsgesellschaft, die der Peitzer Gerichtsschreiber Justizinspektor DUBERT unter dem Namen „Bernhard Hein Drahtziegelfabrik und Maschinenbauwerkstätte“ einträgt. Der Zweck wird mit der Herstellung von Drahtziegelgewebe und Maschinen für diese Produktion ausgewiesen. Am 13. Oktober ist die Firma im Handelsregister A eingetragen, was im „Deutschen Reichs- und Königlich Preußischen Staatsanzeiger“ veröffentlicht ist.
Am 22. Februar 1915 wird der mit einigen Änderungen und Kompromissen fertiggestellte Rohbau vorläufig abgenommen. Die endgültige Bauabnahme wird erst erteilt, wenn die Bauänderungen auch in den Bauzeichnungen ausgewiesen sind. HEIN hat damit (wahrscheinlich kriegsbedingt) Schwierigkeiten, denn die fehlenden Korrekturen werden noch im Sommer 1916 angemahnt. Trotzdem erbittet er die Inbetriebnahme, was ihm im Frühjahr gestattet wird. Es darf angenommen werden, dass die Maschinenfabrik von der Militärverwaltung Aufträge erhalten hat. Der Kaufmann Eduard HÜNDORF erhält am 30. September 1915 die Prokura. HÜNDORF wohnt wie HEIN in der Frankfurter Straße 9.
Neben den wahrscheinlich ersten Briefbögen, die das Logo mit dem Drahtziegelgewebe tragen, wird im Stempel von 1916 nur die Maschinenwerkstatt genannt. Ob überhaupt im Krieg die Produktion von Drahtziegelgewebe aufgenommen wird, ist nicht erwiesen. Leider ist in den erhaltenen Bauunterlagen auch keine Abnahme der Brennöfen dokumentiert. Ende 1916 wird die Arbeitsordnung nach Maßgabe der Gewerbeaufsicht neu verfasst. 28 Paragraphen auf 16 Seiten gelten als Vertrag, den jeder Arbeitnehmer vor Beginn der Arbeitsaufnahme unterschreiben muss. Diese Arbeitsordnung fixiert die Modalitäten der Arbeitsaufnahme und Kündigungen, der Arbeitszeit und der Lohnauszahlung (die damals jeden Sonnabend erfolgt), die Arbeitsorganisation und Weisungsbefugnisse u.a. Im § 2 ist die Probezeit geregelt: „Jeder in Beschäftigung tretende erwachsene oder jugendliche Arbeiter kann in den ersten 14 Tagen nach der Annahme jederzeit entlassen werden; ebenso ist er befugt, jederzeit in diesen 14 Tagen seine Arbeit nieder zu legen.“ Das Verhältnis zum Vorgesetzten ist im § 19 geregelt: „Alle Arbeiter sind ihrem Vorgesetzten im Dienst Gehorsam schuldig; Ungehorsam und Widersetzlichkeit gegen die Letzteren berechtigt zur sofortigen Entlassung.“ Bemerkenswert ist in dieser Arbeitsordnung der § 18 zur Geheimhaltungspflicht: „Alle Arbeiter sind hiermit ausdrücklich zur Geheimhaltung über Fabrikationsverfahren und Betriebseinrichtungen verpflichtet und dürfen Mitteilungen darüber an Dritte unter keinen Umständen gemacht werden.“ Dieser Paragraf kann als Hinweis gesehen werden, dass sich die Maschinenbauwerkstatt in der Kriegsproduktion befindet.
Unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg erteilt B. HEIN dem als Betriebsleiter eingesetzten Otto HEIN (ein Sohn?) die Prokura, die das Peitzer Amtsgericht am 27. November als Gesamtprokura (mit Eduard HÜNDORF) bestätigt. Die Maschinenwerkstatt läuft noch drei Jahre. Eine Drahtziegelproduktion ist nicht dokumentiert gefunden. Auch in einer Protokollniederschrift einer Besprechung zum Antrag des Peitzer Magistrats auf Eingemeindung des Hüttenwerkes vom 28.10.1920 ist festgehalten, dass Oberregierungsrat NEUBAUR nebenbei allein die Maschinenfabrik von Hein erwähnt. HEIN hatte wie andere Peitzer Fabrikanten in patriotischer Überzeugung reichlich Kapital in Kriegsanleihen angelegt, das nun nicht mehr zur Verfügung steht. Am 28. Oktober 1921 beantragt B. HEIN die Löschung seiner Firma gegenüber dem Justizinspektor Paul GALLE im Amtsgericht Peitz. Da es kein Konkursverfahren gibt, sind höchstwahrscheinlich Kaufverhandlungen mit Paul STAUSS aus Cottbus vorausgegangen. HEIN geht in die Politik, wird Stadtverordneter und arbeitet in Ausschüssen der „Wirtschaftlichen Vereinigung“, einer bürgerlichen konservativen Verbindung, die in Peitz mit dem Landbund und den Vereinen der Beamten und der Hausbesitzer als Gegensatz zu den Gewerkschaften gegründet wird. Im Protokoll der Peitzer Stadtverordnetenversammlung vom 27.10.1924 ist vermerkt: „Der Ing. B. HEIN von der bürgerlichen Einheitsliste legt sein Amt als Stadtverordneter nieder, da er längere Zeit abwesend ist. Dafür wird der Buchdruckfabrikant R. RICHTER folgen…“. Dann verlieren sich die Spuren von HEIN, der, zumindest dem Namen nach, die Produktion von weltweit begehrten Drahtziegelgewebe nach Peitz brachte.