im OP in Tansania
Jeder Ort lebt durch seine Menschen. Jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen. Manche auch mehr als eine. Unter der Rubrik „In guter Nachbarschaft“ porträtiert diese Kolumne Menschen aus Haida.
Heute im Gespräch:
Nadin Vaternam, eine vielschichtige, junge Frau, bei der nichts ist, wie es auf den ersten Blick erscheint.
Als ich für die Vorbereitungen eines Gemeindefestes Nadin im Herbst 2022 erstmalig traf, wirkte sie beim ersten Eindruck zugeknöpft. Schon in der Verabschiedung begriffen, schnappte ich dann ihre Worte von „Auslandseinsatz“ und „... bin dann erst mal weg ...“ auf. Hellhörig geworden, erfragte ich mir einige Randinformationen und verabredete mich mit ihr für ein Gespräch.
OP-Säle deutschlandweit und dann doch Haida? - Fußball und Gemeinschaft machen es möglich
Aus Hohenleipisch stammend, kann Nadin bereits auf 14 Jahre Kontakt zum Haidaer Dorfleben zurückblicken. Über den Fußball gab es erste Begegnungen, die dazu führten, dass sie sich glücklicherweise entschied, nach ihrer Ausbildung in Chemnitz und Wohnsitz in Dresden, 2020 hier in unserem kleinen Örtchen Fuß zu fassen.
Die Pendelei ist der operationstechnischen Assistentin, die aktuell an der Dresdner Uniklinik arbeitet, nicht zu viel. Sie konnte sich über ein attraktives Modell einer Zeitarbeitsfirma eigene, passende Bedingungen für die Balance zwischen Arbeit und Freizeit schaffen. Als überall im Land der Fachkräftemangel im medizinischen Bereich deutlich wurde, arbeitete die sportbegeisterte 32-Jährige zwischenzeitlich für ihre Firma auch in den Operationssälen in Greifswald, Freiburg und Münster. Die Städte als temporäre Bewohnerin zu erkunden hatte seinen eigenen Reiz, dazu kam die unbezahlbare Erfahrung, mit fortschrittlichster Technik und internationalen Profis zusammenzuarbeiten. In kürzester Zeit eroberte sich Nadin Vaternam in ihren jeweiligen Teams Respekt und ein faires Miteinander. Davon profitiert sie nicht nur an ihrem aktuellen Arbeitsplatz, auch für sich selbst nimmt sie viel aus dieser Zeit mit.
Im Herzen immer ein Kind unseres Landstrichs, genoss sie das Stadtleben für eine Weile, sehnte sich dann jedoch wieder nach der Nähe gewachsener Beziehungen und Freundschaften, wie besonders zu ihrer engsten Freundin Anika. Den Kontakt nach Hause ließ Nadin ohnehin nie abreißen und erlebte im Zurückkommen in die Heimat ein bestätigendes Glücksgefühl.
Tansania - alles, nur kein Urlaub
Eine Kollegin erzählte der Neu-Haidaerin von einer Organisation, die im Ausland „pro bono“ - also zum Wohle der Öffentlichkeit und unentgeltlich - Operationen vornimmt. Unter dem Dach des Vereins „Interplast Germany e. V.“ finden sich Ärzte und medizinisches Fachpersonal, um Patienten in Entwicklungsländern durch plastisch-chirurgische Operationen zu helfen. Nadin informierte sich und fing Feuer für die Idee. Sie teilt den Grundgedanken der Organisation, der davon spricht, dass es nicht unser Verdienst sei, in einer Welt geboren worden zu sein, in der eine medizinisch umfangreiche Versorgung selbstverständlich ist.
Der Verein funktioniert über unterschiedliche Sektionen, die sich in diversen Regionen wie beispielsweise Uganda, Tansania, Ruanda oder Nepal unentgeltlich engagieren.
Freunde, Bekannte und Familie reagierten auf ihren Aufruf, für die Reise zu spenden, denn alle Neben- und Reisekosten, Unterbringung, Versicherungen und mitgenommenes OP-Material müssen vorfinanziert werden.
Ausgestattet mit den notwendigen Impfungen, hilfreichen Utensilien wie Stirnlampe und Insektiziden sowie universell einsetzbarem Gaffa-Tape machte sich Nadin Vaternam im November 2022 auf den Weg nach Tansania zu einem prägenden Arbeitsaufenthalt.
Im Team von 12, ihr bis dahin unbekannten, Medizinern und Hebammen aus der Münchener Vereins-Sektion reiste sie in die Stadt Sumbawanga.
Kopfüber in die Arbeit
Die Menge der Patienten, die zum Teil aus großen Entfernungen zu Fuß in die Klinik gekommen waren, überwältigte die Ankömmlinge. Gleich am ersten Tag wurden mehrere Kinder entbunden, diverse Brandwunden verarztet und die nächsten Eingriffe geplant.
Für Nadin wurde bereits an diesem Tag klar, dass sich Vorstellung und Realität nur schwer miteinander abgleichen ließen. Die OP-Bedingungen waren für europäische Verhältnisse abenteuerlich. Die Stirnlampen erwiesen sich in Zeiten von Stromausfall als unentbehrlich.
Zwischen 12 – 14 Stunden täglich wurden Amputationen nachversorgt, Haut transplantiert und Verletzungen fachgerecht behandelt. Die üblichen Erschwernisse gaben sich in Regelmäßigkeit die Hand. Internetausfall, zeitweilig nur kaltes Wasser und die Verständigungsproblematik erschwerten die Arbeit. Stark beeindruckt waren Nadin und ihre Kollegen von der Lebensfreude der Tansanier.
Für viele Patienten war dies ihr Erstkontakt zu Weißen. Einige Worte der Landessprache Swahili setzten sich bei der OP-Assistentin fest und öffneten schnell die Herzen der scheueren Kinder. Die physische und psychische Herausforderung sowie diverse Magen-Darm-Beschwerden machten die Arbeit für die Spezialisten an manchen Tagen recht schwer. Die Medikation der Malaria- sowie HIV-Prophylaxe in Kombination mit dem regionalen Essen forderten die Kollegen heraus. Alle Umstände vor Ort wurden jedoch durch sehr erfreuliche, medizinische Erfolge und die große Dankbarkeit der Patienten und ihrer Angehörigen entschädigt.
Osteomyelitis, eine verbreitete Knochen(mark)entzündung, fordert in Tansania leider diverse Amputationen. Ein vielleicht 10-jähriges Mädchen, dem in einem vorherigen Einsatz einer Medizinergruppe ein Teil des Beines amputiert werden musste, konnte mit einer Prothese versorgt, nun die ersten Schritte machen. Das erhebende Gefühl, Teil dieses Prozesses gewesen zu sein, wird Nadin Vaternam nicht wieder vergessen.
Auch wenn sie nach der 18-tägigen Reise erschöpft nach Hause kam, beurteilt sie heute diesen Einsatz als absolut wiederholenswert.
Entscheidung für das Richtige
Warum setzt sich die junge Frau dieser Strapaze aus, anstatt einfach als Touristin gepflegt Urlaub zu machen? Nadin formuliert ganz klar ihre Motivation. Ihr berufliches Können in eine altruistische, d.h. uneigennützige, selbstlose Unternehmung zu investieren und damit anderen zur elementaren Hilfe zu werden, sei schon Grund genug. Sie selbst, so sagt sie mit einem wissenden Lächeln, nehme ja auch einen reichen Erfahrungsschatz aus dieser Zeit mit. Nicht zuletzt sei ihr sehr bewusst geworden, wie reich und gut versorgt mit allem wir hier in Deutschland leben und in welchem Selbstverständnis wir ruhig und sicher schlafen können.
Beeindruckt lehne ich mich nach dem spannenden Austausch zurück und denke mir, wie froh ich bin, diese Einstellung in der Mitte unserer Dorfgemeinschaft zu wissen.
Das macht Hoffnung und zeigt, dass es möglich ist, sich mit dem Feuer anderer anstecken zu lassen, um mit den eigenen, begrenzten Kräften eine größere Sache zu unterstützen.
Nadin Vaternam muss das Rad der Humanität nicht neu erfinden, sie hat genau die richtige Stelle ausgefüllt, um mit den eigenen Fähigkeiten Großes zu bewegen.
In ihrer Kindheit eher schüchtern, entwickelte sie durch manch harte Herausforderung des Lebens einen starken Antrieb, sich nicht von einem einmal gefassten Ziel abbringen zu lassen. Diesen Antrieb strömt Nadin Vaternam auch aus. Was mir anfangs forsch und unnahbar vorkam, wandelte sich im Gespräch miteinander zu Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und klaren Vorstellungen. Die Reaktionen in ihrem Bekanntenkreis und in der Familie sprechen von Respekt und Stolz auf die zurückgelegten Wege der jungen Haidaerin. Ich schließe mich dem gern und voller Anerkennung an.
Kleines und Großes
Was als Nächstes auf dem Plan steht, möchte ich beim Abschied gern von ihr wissen.
Als Abteilungsleiterin im Frauenfußball des SV Diana Haida freut sie sich auf das „100 Jahre plus 1“ Sportfest im Juli, für den Sommer ist eine Urlaubsreise mit ihrem Freund Jens geplant und irgendwann, so sagt sie fröhlich, erfüllt sich auch der Wunsch nach einem eigenen Haus mit Garten für Familie und Hund. Ich habe an all dem keinen Zweifel. Nadin wird das schaffen!
Wer sich von Nadins Engagement anstecken lässt und für die wertvolle Arbeit des Vereins „Interplast Germany e.V.“ etwas spenden möchte, dem sei folgendes Spendenkonto empfohlen:
Projekt Sumbawanga, IBAN: DE62 7601 0085 0137 9518 59, Postbank Nürnberg
Vielleicht unterstützen Sie dadurch bald den nächste Einsatz Nadin Vaternams in Tansania.