IN GEDENKEN AN PAUL OTHMA
Erinnerungen an die Vorgänge des 17. Juni 1953 in Bitterfeld [Auszug]
9.30 Uhr:
Die Arbeiter kommen Dann aber, es war so gegen 9.30 Uhr, schob sich eine schwarze Wand wogend vorwärts über die Bahnüberführung dicht an unserer Schule. Die Arbeiter kamen! Vor Erregung schlug mein Herz bis zum Hals. Ich sah, daß die Arbeiter sich gegenseitig untergehakt hatten. Ein jeder zog und schob jeden. Die Fühlung, die Masse, machte sie stark und mutig. Vor der schwarzen Menschenmasse ging ein einzelner Mann: Paul Othma. (...) Ich war wie in einem Rausch. Zuerst stand ich an der Hoftür. Schüler stürmten aus der Schule. Fenster wurden aufgerissen. Einige Lehrer standen plötzlich neben mir. „Machen wir mit?“ fragte ich sie. Sie standen da, offenbar von dem Ereignis völlig überrascht, unfähig etwas zu sagen. Vielleicht dachten sie in diesem Augenblick weiter als ich. Sie blieben passiv. Mit einem inneren Ruck löste ich mich aus der Lehrer- und Schülerschar, trat auf die Spitze des Zuges zu und rief der ersten Reihe entgegen: „Ich bin auch einer von Euch! Ich denke wie Ihr! Ich erkläre mich mit Euch solidarisch! Ich will mit Euch marschieren!“ „Lehrer sind 100 %ige! rief einer. Othma rief mir zu: „Reihe Dich ein!“ Ein anderer rief: „Gleich in die zweite Reihe! Wenn es knallt, dann bist Du auch dran!“ Ich beteiligte mich an den Sprechchören. Als ich merkte, daß diese sich wiederholten, formulierte ich neue. Das war die Aufgabe, die ich mir nun selbst stellte. Wir kamen an der Feuerwehr vorbei. Arbeiter rissen die bolschewistischen Embleme ab. Ich sah es mit innerer Genugtuung. In diesem Augenblick formulierte ich die erste gegen die Regierung gerichtete Forderung: „Wir fordern den Rücktritt des Ulbricht-Regimes!“ Eine Stimme erscholl von hinten: „Nicht so scharf! Wir streiken gegen die Norm-, Preis- und Steuerschraube!“ Mich kümmerte das nicht. Die Begeisterung riss mich mit. Ich schrie meinen angestauten Zorn gegen die korrupten kommunistischen Funktionäre heraus. Sie sollten weg. Ganz weg! „Rücktritt der SED-Regierung!“ Kaum ein Fenster der Wohnstraßen blieb geschlossen. Alle waren offen. Frauen warfen Blumen auf die Streikenden. Viele winkten, da die Taschentücher zu klein waren, mit Bettlaken. Von dieser Flut der Begeisterung wurden alle angesteckt. Die Bitterfelder Einwohner reihten sich ein. Geschäfte schlossen, die Besitzer und Angestellten gingen mit. Die Stadt befand sich in einem Begeisterungstaumel. Nicht nur von mir, sondern von allen Seiten wurden nun politische Forderungen erhoben, von den Sprechchören angenommen und durch die Straßen geschrien. Othma, der vorher rückwärts gegangen war, um den Zug im Auge zu behalten, ging nun selbst vorwärts. Er führte den Zug der Streikenden auf die Binnengartenwiese.
10.30 Uhr: Auf der Binnengartenwiese
Ein Lautsprecherwagen der AGFA stand uns zur Verfügung. Othma sprach. Er redete u. a. über diesen erhebenden Tag, der eine einzigartige Solidarität der Arbeiter zeigte. Was war nun weiter zu tun? Wie sollte es weiter gehen? Der nächste Schritt bahnte sich an, Ein Streikender sagte plötzlich neben mir: „Im Rathaus befindet sich der Anschluss für den Stadtfunk.“ Das teilte ich Othma mit und bat ihn, die Menge ein wenig hinzuhalten. Ich hätte die Absicht, den Stadtfunkanschluss zu holen. Mit zehn Mann liefen wir zum Rathaus. Die Tür war verschlossen. Wir pochten dagegen ...
Lesen Sie diesen Bericht weiter unter http://www.17juni53.de/karte/halle/fiebelkorn.pdf
Historisch aufgearbeitet wurde die Person Paul Othma und der 17. Juni 1953 auch von unseren Ortschronisten Horst Barschdorf, Klaus Peter Synnatzschke. Nachzulesen unter: www.synnatzschke.net/sdf_hist_paul_othma.htm
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