Der Lichtmeßumzug zieht durch den Ort
Die Lichtmeßkarre - das Schicksalsgefährt mit seinem sichtbaren Geheimnis
Die zweibeinigen Pferde springen um das Lichtmeßfeuer
Die Erbsbären mit ihrem Führer
Der Wursttanz zur Spergauer Lichtmeß
Die Spergauer Lichmessgesellschaft
Die Spergauer Lichtmeß ist ein uralter Brauch, der am ersten Sonntag nach Maria Lichtmeß in Spergau gefeiert wird. Erste Hinweise auf dieses Brauchtum gehen auf das Jahr 1688 zurück. Mit der Lichtmeß wollen die Spergauer symbolisch den Winter austreiben. Ab dem frühen Morgen ziehen verschiedenste Lichtmeßfiguren, teilweise maskiert, auf dem „Heischegang“ durch den Ort und sammeln unter anderem Eier, Milch und Bratwürste. Am Abend folgt dann der Höhepunkt des Tages auf dem Saal des Gasthofes „Zur Linde“, der Lichtmeßtanz.
Das war auch in diesem Jahr am 4. Februar wieder der Fall. An Ausschlafen war im Örtchen Spergau nicht zu denken.
Ab 4:00 Uhr etwa gellten Urlaute durchs Dorf, Fanfaren, Johlen, Geschrei: Traditionsgemäß wurde zur Lichtmeß geweckt - einem mitreißenden und herzerfrischenden Brauch, der seine Wurzeln bereits in vorchristlicher Zeit hat.
Der Schriftsteller Jürgen Jankofsky, ein herausragender Kenner und charmanter Erzähler der Geschichte und der Bräuche der Region, hat sich auch über die Spergauer Lichtmeß ergiebig ausgelassen - etwa in seinem beachtenswerten Büchlein “Spergauer Lichtmeß-Berichte“. Hieraus einige kurze Beschreibungen zur ungefähren Darstellung des imposanten Volksfestes, das jedes Jahr zahlreiche Besucher nicht nur aus der unmittelbaren Nachbarschaft anlockt. Wobei - wie Einheimische immer wieder hervorheben - eine Präsentation in Worten niemals den wahren Geist der Lichtmeß erfassen kann. Das schaffe nur die unmittelbare und innige Teilnahme. Zudem muss sogar von einer “Lichtmeß-Trilogie“ gesprochen werden, bezieht man korrekter weise die so genannte “Wurstdisco“ und den “Wursttanz“ an den unmittelbar voraus gehenden Wochenenden mit ein.
Zurück zum großen Tag. Mittlerweile kündeten die Zeiger am Spergauer Kirchturm - dem Wahrzeichen der 1.300 Einwohner zählenden Gemeinde - fast 6:00 Uhr an. Da versammelten sich die Mitglieder der Lichtmeßgesellschaft im Großen Saal des Gasthofes “Zur Linde“. Gegen 7:00 Uhr, bevor der erste Sonnenstrahl den Ort erreichte, formierte sich das bunte Volk zum Umzug durchs Dorf. Nun scheinen mittlerweile alle Einwohner Spergaus auf den Beinen, Jung und Alt, und hunderte Schaulustige säumten die Straßen.
Die Kapelle begann zu schrummen. Der Lichtmeßzug setzte sich in Bewegung. Voran der Läufer, der Bändermann - die wohl prächtigste und den nahenden Frühling verkörpernde Figur, dann der Registrator, ihm folgend die sechs Lichtmeßältesten - die Küchenburschen mit ihren Küchenmädchen, schließlich wohlgeordnet all die anderen streng nach Vorschrift kostümierten Lichtmeßfiguren: Handelsmänner und Guckekastenmann, Vögel, der Milchkannen- und die Wurststangenträger, Kornweib, Schnurrradmann, Soldaten, Schwarzmacher, Pritscher und Eierfrauen. Der Erbsbär schüttelte an der Kette des Bärenführers bedrohlich sein zu eng gewordenes Winterfell, stößt wild brummend in die Menge. Die zweibeinigen Pferde zogen, angetrieben vom Kutscher, symbolisch und Funken sprühend einen Pflug zu Felde.
Der Lichtmeßzug erreicht den Bäckerplatz - unmittelbar neben der Kirche gelegen. Dort brannte bereits lichterloh ein aus Plunder angefachtes Feuer, und der Lichtmeßzug kommt im Halbkreis zum Stehen. Die zweibeinigen Pferde jagen mit dem Pflug durch die Glut.
Plötzlich hob der Registrator sein Namensregister - und die ganze wohlgeordnete Gesellschaft gerät schreiend durcheinander: Die Schwarzmacher und Pritscher begannen ihr Tagwerk. Geschwärzt zu werden ist eine Ehre, die eigentlich nur den Jungfrauen des Ortes zukäme, mittlerweile aber jeder Frau zuteil wird. Mitglied der Lichtmeßgesellschaft kann nur werden, wer gebürtiger Spergauer, mindestens 14 Jahre alt, männlich und unverheiratet ist. Ausnahmen bestätigen allerdings auch diese Regeln: “Ältere Herren“ können den Milchkannenträger, den Erbsbär und die Pferde darstellen. Zudem dürfen sechs volljährige und unverheiratete Frauen als Küchenmädchen Partnerinnen der Lichtmeßältesten - den Küchenburschen - sein.
Die Lichtmeßgesellschaft ist streng hierarchisch geordnet. Von Lichtmeß zu Lichtmeß steigt man von Figur zu Figur auf. Beginnend als Eierfrau oder Pritscher wird man Schwarzmacher, Soldat, Wurststangenträger, Vogel, - vielleicht Registrator oder Bändermann, schließlich Küchenbursche. Die Position des Ersten bzw. Ältesten Küchenburschen erreicht zu haben, ist eine ehrenvolle Sache in Spergau. Lange vor und nach dem Fest steht der Lichtmeßälteste im Mittelpunkt des Interesses. Da hat schon manch einer seine Hochzeit um einige Monate oder gar Jahre verschoben.
Zurück zum Geschehen am großen Tag: Während Schwarzmacher und Pritscher Mädchen und Schaulustige durchs Dorf jagten und mit einer schwarzen Creme beschmierten - um symbolisch den Winter zu vertreiben, zogen andere Lichtmeßfiguren von Haus zu Haus, sangen, tanzten, verkauften, beschwörten, ließen vom Lichtmeßtrunk kosten, trieben Gaben ein zum gemeinsamen Verzehr - gingen Heische. Allen voran der frühlingsbunte Bändermann, der Läufer, der zahllose Wünsche und Hoffnungen fürs kommende Jahr durchs Dorf trägt. Nicht zu vergessen die Lichtmeßkarre, das “Schicksalsgefährt“ - das in sich ein sichtbares Geheimnis birgt, welches früher einmal die nahe Zukunft gewesen sein soll.
Bevor der letzte Sonnenstrahl wich, versammelte sich die Gesellschaft nach getaner Lichtmeßarbeit wieder auf dem Bäckerplatz - nach rund zwölf Stunden, zur Demaskierung. Der mittlerweile heisere Registrator überprüfte erneut die Anwesenheit, dann zog der fröhliche Tross schunkelnd zum Gasthof “Zur Linde“ weiter - zum finalen Lichtmeßtanz. Hier erreichte die Begeisterung ihren Höhepunkt, wurden die Mitglieder der Lichtmeßgesellschaft mit Ovationen empfangen. Es folgten ungestüme Darbietungen der einzelnen Figurengruppen, das so genannte Auskehren des Saales, dann der eigentliche Lichtmeßtanz - eröffnet vom Läufer und dem ältesten Küchenmädchen. Die Stimmung brodelte heftig hoch und hielt sich bis weit nach Mitternacht. Obwohl da längst schon wieder Montag war ...
„Wissen. Können. Weitergeben.“: Immaterielles Kulturerbe sind kulturelle Ausdrucksformen, die von menschlichem Wissen und Können getragen und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Gemeinschaften prägen diese lebendigen Traditionen und entwickeln sie kreativ weiter.
Zum Immateriellen Kulturerbe zählen nach dem 2003 verabschiedeten und von 181 Staaten unterzeichneten UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes
| - | mündliche überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, |
| - | darstellende Künste, |
| - | gesellschaftliche Bräuche, Rituale, Feste (auch Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation), |
| - | Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum |
| - | und traditionelle Handwerkstechniken. |
Immaterielles Kulturerbe im Sinne des UNESCO-Übereinkommens ist zugleich traditionell, zeitgenössisch und zukunftsgerichtet. Menschen spielen hierbei die Schlüsselrolle. Die oft nur mündlich tradierten Praktiken wirken identitätsstiftend und gemeinschaftsfördernd. Gerade im Zuge der Globalisierung gewinnen regionale Traditionen und lokales Wissen wieder an Bedeutung.
Es geht um die praktizierte Ausdrucksform und ihre Bedeutung für die jeweiligen Gemeinschaften und Gruppen. Für das Immaterielle Kulturerbe entscheidend sind Wissen und Können – die Produkte der kulturellen Ausdrucksform (wie etwa Aufführungen, Erzählungen, Handwerksprodukte etc.) oder Objekte/Artefakte sind von nachrangiger Bedeutung.
Erhaltung Immateriellen Kulturerbes meint die Sicherung der Lebendigkeit und Lebensfähigkeit der kulturellen Ausdrucksformen. Immaterielles Kulturerbe ist dynamisch und wird kontinuierlich an veränderte Umstände angepasst. Es geht also nicht um Konservierung oder Schutz eines bestimmten Zustands, sondern um Entwicklungsfähigkeit. Immaterielles Kulturerbe ist immer auch durch Improvisation, Weiterentwicklung und Veränderung gekennzeichnet. Die Weitergabe Immateriellen Kulturerbes ist jeweils ein Akt informellen Lernens.
Immaterielles Kulturerbe ist nicht „Welterbe“. Als „Welterbe“ gelten ausschließlich Baudenkmäler, Stadtensembles sowie Kultur- und Naturlandschaften. Grundvoraussetzung für die Anerkennung einer Stätte als Welterbe ist Einzigartigkeit – sie muss von außergewöhnlichem universellem Wert sein.
Als Immaterielles Kulturerbe gelten lebendige kulturelle Ausdrucksformen. Für die Anerkennung einer Kulturform als Immaterielles Kulturerbe im nationalen wie auch im internationalen Rahmen spielen Teilhabe, Vielfalt, Kreativität und Weiterentwicklung eine herausragende Rolle. Kulturformen im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes können als „Immaterielles Kulturerbe“, solche auf der internationalen Repräsentativen Liste der UNESCO als „Immaterielles Kulturerbe der Menschheit" bezeichnet werden.
Zwischen den verschiedenen Formen des Kultur- und Naturerbes (Welterbe, Immaterielles Kulturerbe, Dokumentenerbe/Memory of the World, Biosphärenreservate und Geoparks) bestehen aber durchaus vielfältige Wechselwirkungen. Durch Erhaltung soll dieses Erbe für die Gegenwart und Zukunft relevant und anwendbar gemacht werden. Immaterielles Kulturerbe ist an Menschen und deren Überlieferungen gebunden. Es unterliegt stark den Einflüssen gesellschaftlicher, technologischer und wirtschaftlicher Transformationsprozesse.