Wer redlich hält zu seinem Volke,
Der wünsch ihm ein gesegnet Jahr!
Vor Misswachs, Frost und Hagelwolke
Behüt uns aller Engel Schar!
Und mit dem bang ersehnten Korne,
Und mit dem lang entbehrten Wein
Bring uns dies Jahr in seinem Horne
Das alte, gute Recht herein!
Man kann in Wünschen sich vergessen,
Man wünschet leicht zum Überfluss,
Wir aber wünschen nicht vermessen,
Wir wünschen, was man wünschen muss.
Denn soll der Mensch im Leibe leben,
So brauchet er sein täglich Brot,
Und soll er sich zum Geist erheben,
So ist ihm seine Freiheit not.
(Ludwig Uhland: Neujahrswunsch 1817)
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
meinem Gruß zum Neujahr stelle ich heute ein Gedicht von Ludwig Uhland voraus. Der liberale Poet, Anwalt und Abgeordnete des ersten frei gewählten Parlaments sah zu dieser Zeit auf mehrere Missernten und großes Leid. Doch er formuliert in seinem Neujahrsgruß bis heute aktuelle Gedanken, ohne die auch unsere moderne Demokratie nicht funktioniert, Sicherung der materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung und Freiheit. Letztere ist dabei stets verantwortungsbewusst im politischen Prozess zu nutzen. Der "Geist" brauche sie so notwendig wie der "Leib" das "täglich Brot". Diese modernen Worte formuliert Uhland zu einer Zeit, als dem Absolutismus erste „demokratische“ Prinzipien abgerungen wurden.
Mit diesem historischen Blick werden unsere aktuellen Krisen und daraus erwachsene Herausforderungen nicht kleiner. Dennoch kann uns ein Blick in die Vergangenheit Demut lehren, denn sie beinhaltet eben sehr viel mehr als die Verkürzung auf das Verb „dienen“. Die einschlägige Literatur hat den Begriff für ein zeitgemäßes Management von Organisationen und Verwaltungen weiterentwickelt.
Mit Blick auf manche Interpretationen von Fraktionsvorsitzenden zur Arbeit im Gemeinderat, der Verwaltung und unserem Haushaltsbeschluss für 2023 haben wir noch manchen Lernprozess vor uns. Die Adaption von politischer Praxis von Landes- und Bundesebene widerspricht der Grundstruktur von Kommunalpolitik und sicher der Erwartungshaltung der Mehrheit der Leserschaft unseres Gemeindekuriers. Verwaltung und Gemeinderat stehen sich in Kommunen gerade nicht als Parlament und Regierung gegenüber. Vielmehr sind sie Teile der Exekutive. Rat und Verwaltung setzten auf gemeindlicher Ebene Gesetze und Verordnungen um und gestalten „ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern“. So § 1 der Kommunalverfassung unseres Bundeslandes. Vereinfachende und teils populistische Äußerungen sind in einer freiheitlichen Grundordnung selbstverständlich auszuhalten, doch verantwortungsbewusste Freiheit im politischen System ist dies nicht. Insoweit sollten wir folgende Worte von Friedrich Rückert beherzigen. Auch diese stammen bemerkenswerterweise aus einem Neujahrsgruß für das Jahr 1817.
„Daß sich Schlechtes schäme,
Rechtes nicht sich lähme,
Gutes selbst sich zähme,
Alles wachse frei!
Daß kein wildes Schwärmen,
Und kein lautes Lärmen,
Und kein stilles Härmen
Unter uns in Zukunft sei!“
(Friedrich Rückert: Zum Neujahr 1817)
Gemeinsam mit allen Mitarbeitern der Verwaltung und allen politischen Gremien werde ich im neuen Jahr unsere Einheitsgemeinde weiter positiv entwickeln. Die weitere Verbesserung der Bürgerfreundlichkeit wird auch aus meiner Sicht berechtigt angemahnt. Die Einführung einer Onlineterminvergabe und die Beibehaltung der zusätzlichen Sprechzeiten am Mittwoch für das Ordnungsamt waren erste Schritte auf diesem Weg. Seit Dezember arbeitet darüber hinaus ein neuer Mitarbeiter des Ordnungsamtes komplett im Außendienst. Wir versprechen uns dadurch eine zusätzliche Verbesserung von Ordnung und Sicherheit in unseren zwölf Ortschaften. Ich bin mir aber durchaus im Klaren, dass dem einen oder anderen die Bürgernähe fast schon zu viel wird, wenn an der eigenen Windschutzscheibe ein Knöllchen klebt.
Darüber hinaus sind unsere zwei großen Bauvorhaben in Ermlitz (Ersatzneubau der Kita) und Wallendorf( Anbau an die Grundschule) die wichtigsten Projekte. Dabei werden uns die enormen Baukostensteigerungen und die Lieferfristenproblematik sicherlich noch vor zusätzliche Probleme stellen. Aber wir haben als Gemeinde in den letzten drei Jahren der Pandemie und den Auswirkungen des von Rußland initiierten Krieges gezeigt, dass wir mit viel Einsatzbereitschaft aller Beteiligten, Besonnenheit und gegenseitigem Verständnis den Herausforderungen stets gewachsen waren. Viel zu oft galt und gilt es unausgegorene Verordnungen und Gesetze des Bundes und des Landes auf kommunaler Ebene praxistauglich umzusetzen. Aktuell denke ich dabei an die Einführung der Grundsteuerreform und des §2b des Umsatzsteuergesetzes.
Das Jahr 2023 wird für uns privat und gesamtgesellschaftlich nicht einfacher. Die Steigerung der Energiekosten, der erst begonnene Strukturwandel, die Suche nach den richtigen Antworten auf den Klimawandel haben direkte Auswirkungen auf unseren Alltag. Steigende Energiekosten sind nicht nur für viele private Haushaltskassen ein riesiges Problem. Sie können auch zur Gefahr für Arbeitsplätze werden und mittelfristig zu sinkenden Steuereinnahmen führen.
Gehen wir dennoch nicht ängstlich sondern gestärkt durch die positiven Erfahrungen der letzten drei Jahre an die neuen Aufgaben heran.
In diesem Sinn wünsche ich allen Leserinnen und Lesern des Kuriers Gesundheit und Zuversicht für 2023.