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Amtsnachrichten – Amtsblatt für das Amt Schlieben und die amtsangehörigen Gemeinden
Ausgabe 1/2024
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Die Bedeutung der vor 170 Jahren erfundenen Petroleumlampe für das gesellschaftliche Leben

Klassische Petroleumlampe mit Glaszylinder und Reflektor, Fundus Historisches Feld

Leistungsfähige Petroleum-Tischlampe von W. Enigk, Kolochau

Allwetter-Petroleumlampe, Höhe ohne Bügel 30 cm, Fundus Drandorfhof

Akten des Gesellschafts-Theatervereins

Freischütz-Inserat im Stadt- und Landboten vom 23. 12. 1922

Schliebener Schauspieler zwischen Martinstraße und Dr.-Wagner-Weg

In der jetzt dunklen Jahreszeit ist es interessant sich zu erinnern, welche Lichtquellen es vor der modernen und abgasfreien elektrischen Beleuchtung gab. Ein gelegentlich benutzter Kienspan gab helles Licht, was aber nicht lange reichte. Von Nachteil waren darüber hinaus die Rußentwicklung und die Feuergefahr. Eine weitere Stufe der Entwicklung bildeten die länger brennenden Fackeln. Darüber hinaus gab es bereits seit vorchristlicher Zeit primitive mit Tierfetten oder Pflanzenölen betriebene Lampen, deren Lichtausbeute jedoch sehr gering war. Später folgten (Bienen-)Wachskerzen und für die Öllampen das aus dem Körperfett von Walen und Robben produzierte Tranöl. Beides war jedoch sehr teuer und für die meisten unerschwinglich.

Einen großen Fortschritt brachte die Petroleumlampe, die 1853 vom polnischen Chemiker und Apotheker Ignacy Łukasiewicz in Lemberg (jetzt Lwiw) erfunden wurde, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Durch fraktionierte Destillation des in der Umgebung von Lemberg in Sickergruben gewonnenen Erdöls gelang es Ignacy Łukasiewicz und seinem Kollegen Jan Zeh klares, dünnflüssiges Petroleum herzustellen. Angepasst an diese neue Substanz hat er dann zusammen mit einem Blechschmied Prototypen der ersten Petroleumlampen entwickelt. Eine erste erfolgreiche Anwendung fand seine Lampe bei einer nächtlichen Operation im Krankenhaus. Bereits ein Jahr später dienten Petroleumlampen zur Straßenbeleuchtung im galizischen Gorlice.

Über Wien erfolgte eine schnelle Verbreitung der neuen Beleuchtungstechnik in ganz Europa, denn gegenüber Kerzen war das Licht der Petroleumlampen wesentlich heller, der Brennstoff deutlich billiger und die Betriebsdauer viel länger. Nach mehreren Verbesserungen der Brennerkonstruktion setzte in den technisch führenden Ländern eine Massenproduktion dieser Lampen ein. Die Abbildung zeigt eine typische noch im und nach dem letzten Krieg als Tisch- oder Wandlichtquelle genutzte Petroleumlampe mit einer Höhe von 37 cm.

Infolge seiner Dünnflüssigkeit steigt der Brennstoff aus dem gläsernen Tank weit in dem aus Baumwollfasern bestehenden Docht auf und geht an dessen oberen Ende im Brenner in den gasförmigen Zustand über. Dieses Gas kann dann angezündet werden. Bei optimaler Einstellung gibt es keinen Abbrand des Dochtes. Zur Wahl der gewünschten Flammenhöhe und um eventuellen Abbrand zu ersetzen, ist der Docht durch einen Zahnradantrieb im Brenner höhenverstellbar. Zur Erzielung maximaler Helligkeit wird der Docht im Brenner als Kreisring nach oben geführt, damit Sauerstoff nicht nur vom Rand, sondern auch vom Zentrum Zutritt hat. Bei der gezeigten Lampe hat der Dochtring einen Durchmesser von 10 mm. Die meist aus Messing gefertigten Brenner wurden u.a. in großer Zahl von der Firma HASAG in Leipzig produziert.

Der bereits etwa 1810 für Öllampen erfundene Glaszylinder dient dem Schutz der Flamme gegen Zugluft. Der Kamin-Effekt des langen Zylinders erzeugt darüber hinaus einen kräftigen Luftzug von unten nach oben, womit mehr frische Luft der Flamme zugeführt wird. Eine Verengung des Glases im Brennbereich bewirkt eine lokal höhere Luftgeschwindigkeit, was zu einer länglichen, heller brennenden Flamme führt, die nicht rußt. Bei Wahl einer optimalen Flammenhöhe erfolgt eine vollständige Verbrennung des Petroleums. In diesem Fall sowie bei der Verwendung von hochreinem Petroleum wird der Umgebungsluft zwar ebenfalls Sauerstoff entzogen, aber es entstehen als Verbrennungsprodukte nur Kohlendioxid und Wasserdampf, die auch von uns bei der Atmung abgegeben werden. Die Abluft brennender Kerzen ist demgegenüber wesentlich gesundheitsschädlicher wegen der dort stattfindenden unsauberen Verbrennung, die zur Emission von flüchtigen organischen Verbindungen und von Feinstaub führt.

Petroleumlampen für den Wohnbereich wurden vor und nach 1900 in außerordentlich vielen verschiedenen Formen und Ausführungen als Tischlampen, Stehlampen, Wandlampen und auch Hängelampen hergestellt. Die Abbildung zeigt eine 46 cm hohe leistungsfähige Tischlampe. Der Milchglasschirm wird hierbei von einem von Stäben gestützten Schirmreif getragen. Das Einbringen von Petroleum in den Ölbehälter ist nach Abnahme des Brenners möglich. Eine Füllung reicht dabei üblicherweise für einen Betrieb von 20 Stunden, was die Brenndauer von Kerzen wesentlich übersteigt.

Während sich heute kaum noch jemand an die damals außerordentlich wichtige Innenraumbeleuchtung mit Petroleumlampen erinnert, sind die Allwetter- bzw. Sturmlaternen, wie in der Abbildung zu sehen, noch recht bekannt. Sie dienten zur Beleuchtung bei Arbeiten im Außenbereich und in Ställen, wo die elektrische Beleuchtung erst viel später Einzug hielt. Zum Anzünden und zum Löschen der Lampe kann der Glaskörper mit einer Hebelvorrichtung angehoben werden. Mit einem Zahnrad ist auch hier die Größe der Flamme verstellbar. Gleichartige Lampen, jedoch wesentlich kleiner als die gezeigte, dienten u.a. als Lichtquelle für unterwegs. In unterschiedlichen Ausführungen hergestellte windsichere Petroleumlampen fanden vielfältige Anwendung bei der Bahn, bei der Post, auf Schiffen und im Bauwesen.

Die Erfindung der Petroleumlampe gab den Anstoß für den Beginn der Erdölförderung, bei der Österreich um 1900 weltweit noch an dritter Stelle hinter den USA und Russland lag. Das neue Licht unterstützte nicht nur ganz wesentlich die industrielle Entwicklung, sondern sie ermöglichte auch Fortschritte bei der Arbeit in Kleinbetrieben und im Bildungswesen. Ab etwa 1850 bestand auf Grund neuer Gesetzgebung in den Ländern Mitteleuropas die Möglichkeit der Bildung von Vereinen, solange diese sich nicht aufrührerischen politischen Themen widmeten. Es kam daher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Städten und auf dem Land vermehrt zur Gründung von u.a. Lesevereinen, Heimatvereinen, Musiziergruppen, Gesangsvereinen, Theatervereinen, landwirtschaftlichen Vereinen, Turnvereinen und Landwehrvereinen. Für sie alle war die Verfügbarkeit des neuen, hellen und preisgünstigen Lichts der Petroleumlampen von großer Bedeutung. Besonders wichtig war das auf dem Lande, wo vom Frühjahr bis Herbst die Arbeiten in der Landwirtschaft nur wenig Zeit ließen, und daher die Hauptaktivitäten der Vereine in den dunklen Wintermonaten stattfanden.

Man muss sich vergegenwärtigen, dass es damals kein Kino, kein Radio, kein Fernsehen und keine der inzwischen verbreiteten Handys und Computer gab. Die Mitwirkung in Vereinen ermöglichte gesellschaftliches Leben über den sonntäglichen Kirchenbesuch und der Teilnahme an jährlichen lokalen Festen, wie z.B. den Moienmarkt, hinaus.

In Schlieben, wie an vielen anderen Orten, lernten Mitglieder des Theatervereins die Texte damals beliebter Theaterstücke auswendig und brachten sie auf den Bühnen der Gastwirtschaften in geeigneter Kostümierung und mit entsprechenden Requisiten selbst zur Aufführung. Nach den Darbietungen folgte meist ein Ball, ein Tanz oder ein sogenanntes Tanzkränzchen. Für den Schliebener Theaterverein, der in den 1870-er Jahren über hundert Mitglieder hatte, von denen bis zu 12 Personen den Vorstand bildeten, gab es ein Statut mit 23 Paragraphen. Für Generalversammlungen, in denen jeweils ein neuer Vorstand gewählt wurde, musste von der lokalen Polizeibehörde eine Genehmigung mit Stempel eingeholt werden, die dann z.B. bis zum nächsten Morgen 1 Uhr galt.

Die Abbildung zeigt einen alten Ordner des Vereins mit den gesammelten handschriftlichen Dokumenten. In den Wintermonaten gab es jeweils 4 bis 8 Aufführungen, wobei die Einladungen mit den Programmen auf Zetteln an die Bevölkerung verteilt wurden. Die Übernahme von Theaterstücken und Operetten, die gerade in Berlin und anderen großen Städten modern waren, garantierte große Besucherzahlen und begeisterte Aufnahme. Das dem Schliebener Stadt- und Landboten entnommene hier wiedergegebene Inserat von Ende Dezember 1922 weist mit dem Freischütz auf eine anspruchsvolle Aufführung hin.

Auf der folgenden Abbildung sind neun Mitglieder des Schliebener Theatervereins Ende der 1920er Jahre in den für ihren Auftritt notwendigen Kostümierungen zu sehen. Die Fotografie ist auf der Anhöhe gegenüber dem Böttcherschen Saale, dem späteren Lindenhof, aufgenommen worden. Da die Bäume ohne Blätter sind, erfolgte die Aufnahme offensichtlich im Winter vor oder nach einer Aufführung. Die zweite Person von links ist der Leineweber und Landwirt Otto Kunze aus der Langen Straße, die dritte seine Schwester Frieda und die vierte der bekannte Schuhmacher Karl Gerloff. Ältere Mitbürger erinnern sich beim Blick auf die historische Fotografie sicher noch an den einen oder anderen Mitspieler. Ein ähnliches Bild an der gleichen Stelle aufgenommen mit 35 aktiven Schauspielern ist in dem Buch von Hans-Dieter Lehmann "Die Geschichte des Schliebener Landes" enthalten. In seinem Buch "Was Großvater einst in der Zeitung las, Band III" sind, vermutlich vor dem Schützenhaus, 44 Schliebener Theatervereins-Mitglieder zu sehen.

Auch nach 1945 hat es noch mehrere gern besuchte Aufführungen von Lustspielen bzw. Volksstücken gegeben. Der Förster Werner Zimmermann berichtet über eine Aufführung mit dem Titel "Krach um Jolanthe" von August Hinrichs, die er als Schuljunge selbst erlebt hat. Dabei erinnert er sich an den Darsteller Schuhmachermeister Karl Gerloff aus der Lindenstraße, als dieser auf einer Bank sitzend sang: "Mädel ruck, ruck, ruck, an meine grüne Seite". Am anderen Ende der Bank saß die hübsche Tochter des Schneidermeisters Lorenz aus der Luckauer Straße, und vermutlich einen Bauern spielte der Landwirt Walter Groschke aus der Lindenstraße. Es war echtes Volkstheater.

Trotz der gegenwärtig vielfältigen Ablenkungen durch Radio, Fernsehen und soziale Kommunikationsdienste sollte eigene aktive ehrenamtliche Mitarbeit in Vereinen nicht verkümmern. Denn es gilt: "Was wir heute nicht pflegen, werden wir morgen nicht mehr besitzen".

P. Müller