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Amtsnachrichten – Amtsblatt für das Amt Schlieben und die amtsangehörigen Gemeinden
Ausgabe 3/2023
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Seit 30 Jahren wieder Schliebener WeinTeil 1/2

Pflanzung im Frühjahr 1992

Iris Schülzke überreicht Herrn Doil die erst Flasche Schliebener Wein.

Gründungsversammlung des „Vereins zur Förderung des historischen Weinbaus in Schlieben e. V.“

Die fleißigen ABM-Frauen im Jahr 1994

Erste Weinlese im Jahr 1993

Teil 1/2

Wein - steht wie kaum etwas anderes für Genießen, Feiern und Geselligkeit. Seit Jahrtausenden ranken sich um dieses Getränk vielerlei Bräuche und Kulte, die im klassischen Griechenland und im alten Rom sogar einen eigenen Gott für den Wein und die Weinkultur hatten, nämlich Dyonisos bzw. Bacchus. In den einzelnen Zeitepochen wechselte die Bedeutung des Weins als Getränk und Nahrungsmittel für alle Gesellschaftsschichten, als festlicher Tropfen auf fürstlichen Tafeln oder als Stimulans für Dichter und Denker, Maler und Komponisten. Sie haben den Wein in unzähligen Gedichten, Erzählungen, Gemälden und Liedern gepriesen und besungen. Nicht zu vergessen ist die Rolle der christlichen Kirche: Bischöfe und Klöster waren im Mittelalter die bedeutendsten Förderer des Weinbaus, denn Wein wurde nicht nur für kultische Zwecke und den Eigenbedarf, sondern vor allem als wichtige Einnahmequelle benötigt.

Solche Gedanken werden wohl die Schliebener Stadtverordneten eher nicht im Kopf gehabt haben, als 1991 einer oder eine von ihnen die Idee ins Spiel brachte - wer es war, ist heute nicht mehr zu ermitteln - in Schlieben wieder Wein anzupflanzen. Man hatte eher praktische Ziele: den Tourismus zu beleben, den Moienmarkt in Zusammenhang mit den historischen Weinkellern interessanter zu machen. Zugleich hoffte man, die vielen Arbeitslosen, die in der Region, wie überall nach der Wende, ein großes Problem darstellten, sinnvoll in ABM-Maßnahmen beschäftigen zu können.

Im Frühjahr 1992 war eine ehemalige, im Besitz der Stadt Schlieben befindliche Rebfläche am Südhang des Langen Berges soweit hergerichtet, dass mit der Pflanzung begonnen werden konnte.

Viele fleißige ABM-Kräfte, vor allem Frauen, hatten das zu Wald gewordene ehemalige Weinbergs-Areal mit viel körperlicher Arbeit von Buschwerk und kleineren Bäumen befreit, eine Planierraupe der ehemaligen Herzberger Firma Doil & Sohn brachte die noch vorhandenen Weinterrassen wieder in Form. Herr Doil erhielt dafür die erste Flasche Wein vom Schliebener Langen Berg.

Diese umfangreichen Arbeiten wurden ohne Haushaltsmittel der Stadt realisiert. Fördermittel, Spenden, ABM-Mittel und ehrenamtliche Arbeit ermöglichten die Realisierung des ehrgeizigen Projektes.

Am schwierigsten war es, die bürokratischen Hürden zu überwinden, vom Kreis über Potsdam, Dresden und Bonn, ja bis nach Brüssel mussten Genehmigungen eingeholt werden. Doch der damaligen Bürgermeisterin, Iris Schülzke ist es gelungen, alle Hindernisse zu meistern. Der Weinbau in der EU ist sehr reguliert; irgendjemand hat einmal gesagt:

“Bevor der Wein Gegenstand der Bürokratie wurde, war er eine Sache des Genusses und der Freude.“

Praktische Erfahrungen mit dem Weinbau hatte in Schlieben niemand mehr, nachdem der Weinbau im Ort und in der Umgebung seit etwa 80 Jahren eingegangen war. Zur fachlichen Beratung konnten die Sächsische Winzergenossenschaft Meißen sowie erfahrene Winzer aus dem benachbarten Jessen gewonnen werden.

Zur Pflanzung wurden dann interessierte Bürger der Stadt angesprochen, die gemeinsam mit den ABM-Kräften die ersten tausend Pflanzen in den Boden brachten. Zu den Pionieren des erneuerten Weinbaus in Schlieben, gehörten: Dr. Karl-Fritz Schmidt (Diplomlandwirt), Willi Gelfort (Lehrer), Arthur Urban (Lehrer), Otto Krüger(Landwirt), Heinz Golm (Dipl. Landwirt) und Dr. Eberhard Brüchner (Tierarzt). Diese sechs „Jungwinzer“ übernahmen zunächst gemeinsam mit den ABM-Frauen die weitere Pflege des Weins.

Das war aber keine Dauerlösung, für die Bewirtschaftung des Weinbergs sollte ein Verein gegründet werden.

So fanden sich, nach längeren Vorbereitungen, am 4. März 1993 etwa 30 Schliebener Bürger in der Gaststätte Lindenhof ein, um einen Weinbauverein zu gründen. 22 bekundeten durch ihre Unterschrift den Beitritt zum „Verein zur Förderung des historischen Weinbaus in Schlieben e. V.“ Zum Vorsitzenden wurde Willi Gelfort, Lehrer im Ruhestand, gewählt, weitere sechs Mitglieder gehörten zum Vorstand.

In der beschlossenen Vereinssatzung, die nach Beratung mit unserem späteren Partnerverein aus Plochingen/Neckar so angelegt ist, dass vor allem gemeinnützige Ziele verfolgt werden. Darin ist festgelegt, dass der Verein

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eine bisher brachliegende Rebfläche landschaftspflegerisch rekultiviert und den Weinberg als lebendes Naturdenkmal betreibt

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die historischen Traditionen des Schliebener Weinbaus pflegt und somit die Verbundenheit der Bevölkerung mit der Heimatgeschichte wachhält

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die Geschichte des Weinbaus in der Region erforscht und die Ergebnisse daraus der Bevölkerung auf geeignete Weise vermittelt

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die Weinkultur fördert

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den Weinberg publikumsoffen betreibt und durch Vorträge und Führungen zu heimatkundlichen Veranstaltungen beiträgt

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einen Teil des Naturalerlöses kostenlos der Stadt Schlieben für repräsentative Zwecke übergibt

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mit anderen Gemeinschaften, die den Heimatgedanken pflegen, zusammenarbeitet

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erwirtschaftete Mittel, die nicht für die Realisierung des satzungsmäßigen Vereinszweckes benötigt werden, für gemeinnützige Zwecke übergeben werden.

Soweit es das wirtschaftliche Ergebnis des Vereins erlaubte, kamen die Mittel bisher vor allem der geplanten Sanierung der Orgel in der Schliebener Kirche, der Seniorenarbeit, Traditionsveranstaltungen, wie Kellerstraßenfest und Moienmarkt, zugute.

Die ABM-Maßnahmen für den Weinberg liefen im Wesentlichen im Jahre 1993 aus. Von da an übernahmen die Mitglieder selbst die Bewirtschaftung des Weinberges. Wöchentlich treffen sich seitdem die Mitglieder jeden Dienstag im Weinberg, um alle Arbeiten zu erledigen, die anstehen.

Der Anfang war nicht einfach. Zunächst mussten alle Arbeiten per Hand erledigt werden. Erst nach und nach konnten einige Kleingeräte angeschafft werden, teils ausrangierte von Winzern aus Rheinhessen, teils neue, die durch Spenden oder erwirtschaftete Mittel finanziert wurden.

Eine große Bedeutung wurde der Einbeziehung der Bevölkerung in die Tätigkeiten des Vereins beigemessen. Von Anfang an wurden viele Veranstaltungen organisiert, um die Schliebener am Werden und Wirken teilhaben zu lassen. Schon 1993, also ein Jahr nach der ersten Pflanzung, konnte zur ersten Weinlese eingeladen werden. Das war eine eher symbolische Lese, denn die Menge war mit 180 kg Trauben nur gering. Aber Musik und ein kleiner Imbiss im Weinberg zogen viele Neugierige auf den Langen Berg.

Dieses Weinlesefest konnte mit großem Erfolg alljährlich im Schliebener Veranstaltungskalender etabliert werden. Es ist eine Freude, wenn am Lesetag viele Menschen, junge und alte, Omas mit Enkeln, Schliebener und Weitgereiste mit Eimer und Gartenschere bewaffnet, fröhlich zum Weinberg ziehen. Kaum einer lässt es sich nehmen, nach getaner Arbeit bei Blasmusik noch ein Glas Wein oder Federweißen mit einem Stück Zwiebelkuchen zu genießen, mit Freunden oder Fremden zu plaudern und dabei den Blick weit über die Schliebener Niederung über Stechau hinaus schweifen zu lassen. Einige Male musste die öffentliche Lese wegen komplizierter Erntebedingungen allerdings leider abgesagt werden.

Eine ähnliche Stimmung entwickelt sich beim Pfingstfrühschoppen, der in Zusammenarbeit mit dem Schliebener Männergesangverein alljährlich nach dem traditionellen Pfingstsingen vor und im Weinberg stattfindet.

Ebenfalls schon 1993 fand im Weinkeller des Vereins das erste Winzerfest statt, 1994 war es zugleich die Einweihung des mit Fördermitteln vom Bund frisch renovierten Vereinskellers. Auf Initiative des Weinbauvereins wurde das Kellerstraßenfest aus der Taufe gehoben, denn die historische Schliebener Kelleranlage sollte nicht nur einmal im Jahr, zum Moienmarkt, Kulisse für ein fröhliches Weinfest sein. Seit 1995 findet dieses alljährlich am 3. Oktober statt und wird von der Stadt ausgerichtet, es zieht viele Besucher an.

Der Schliebener Moienmarkt, das über 400 Jahre alte große Heimatfest der 1067-jährigen Stadt ist natürlich ein Schwerpunkt und eine Herzensangelegenheit für alle Mitglieder. Seitdem im vereinseigenen Keller Schliebener Wein ausgeschenkt wird, wie vor hundert Jahren, ist der Markt um eine Attraktion reicher. Der Verein unterstützt die Veranstaltung auch durch Einladung und Finanzierung von Musikern. So sorgte zweimal eine tschechische Blaskapelle aus Hradec Kralove für Stimmung in der Kellerstraße und seit einigen Jahren sind die „Bertianer“ aus Luckau am Moienmarktsonntag als Stimmungsmacher nicht mehr wegzudenken. Auch die Moienwahl bedeutet für den Verein einen Höhepunkt, vertritt doch die jeweils amtierende Moie bei Veranstaltungen anstelle einer Weinprinzessin den Verein und das Amt Schlieben.

In der April-Ausgabe der Amtsnachrichten für das Amt Schlieben erscheint der 2. Teil über den Schliebener Wein anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Vereins zur Förderung des historischen Weinbaus in Schlieben e. V.

Text und Fotos: Dr. Eberhard Brüchner