Waagbalkenhemmung
Altes im umgebauten Zustand stillgelegtes Turmuhrwerk
Rückseite eines der neuen Zifferblätter bei geöffneter Revisionsluke (Foto: Dr. St. Schönfeld)
Blick vom Ratskeller auf die nach Westen gerichtete Turmuhr (Foto: D. Forberger)
Turmuhrwerk in Lebusa
Anker und Hemmungsrad im Detail
Übertragungsgetriebe zu den Zifferblättern
In der Gegenwart sind die Menschen von einer Vielzahl von Zeitmessgeräten umgeben, die ihnen präzise sagen, wann genau was zu tun ist. Das war nicht immer so. Während einer langen Entwicklung richtete sich das Leben ausschließlich nach dem Lauf der Sonne oder nachts nach dem der Sterne oder des Mondes. Bereits in vorchristlicher Zeit dienten dann Sonnenuhren für eine Zeiteinteilung. Später folgten Wasseruhren, die zeigten, wann eine Zeit abgelaufen ist, Kerzenuhren, mit Markierungen entlang der Länge und schließlich die bekannten Sanduhren.
Für die Zeitmessung war die vermutlich um etwa 1270 in einem norditalienischen Kloster erfundene Hemmung von außerordentlicher Bedeutung, da sie die Konstruktion von Räderuhren ermöglichte. Die Hemmung entspricht einem Taktgeber (Gangregler), der garantiert, dass sich ein Räderwerk nur in ganz bestimmten Zeitintervallen weiterdreht. Bei der anfangs genutzten Spindel- bzw. Waagbalkenhemmung geschieht das dadurch, dass in einem durch ein Gewicht angetriebenem Räderwerk die Drehung des sogenannten Kronrades durch das regelmäßige Einführen von Spindellappen in dessen Zähne immer wieder abgebremst, gehemmt wird. Die Hin- und Zurückbewegung dieser Spindellappen zwischen die Zähne des Kronrads geschieht durch ein schwingendes Auslegerpaar, dessen Bewegung zugleich durch das Kronrad angeregt wird. Die Abbildung zeigt das Prinzip der Hemmung aus: Gerhard Dohrn van Rossum "Die Geschichte der Stunde. Uhren und moderne Zeitordnung".
Die Einführung der mechanischen Uhren im späten Mittelalter bedeutete eine technikgeschichtliche Wende. Ihr Räderwerk konnte kontinuierlich laufen. Sie war damit ein erster Automat, ein Selbstbeweger, der nachfolgend zu vielen anderen Innovationen führte. Daher gibt es inzwischen auch die Meinung, dass die Erfindung der Hemmung wichtiger gewesen sei als die Erfindung der Dampfmaschine. Die ersten Uhren dienten dem Auslösen von akustischen Signalen (Schlaguhren), womit z.B. Gebetszeiten angekündigt wurden. Bald aber folgen Zeitangaben auf einem Zifferblatt mit einem Zeiger, der die Stunden anzeigte. Zur Information möglichst vieler Bürger installierte man die damals sehr teuren Uhren in Kirchtürmen und Rathäusern. Sie bestimmten fortan die Einteilung des Arbeitstages, das Öffnen und Schließen der Stadttore und viele andere Abläufe in den Städten. Da die Einführung der Turmuhren in der Zeit des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation erfolgte, dienten und dienen bis heute oft römische Ziffern zur Zeitanzeige auf diesen Uhren. Außerdem begann die (sehr langsame) Verbreitung des indisch-arabischen Zahlensystems in Mitteleuropa erst im 13. Jahrhundert. Die Ganggenauigkeit der ersten noch mit Schmiedetechnik gefertigten Uhren war aber nicht sonderlich groß, so dass häufige Korrekturen durch den Vergleich mit Sonnenuhren nötig waren.
Eine große Verbesserung in der Genauigkeit der Zeitmessung wurde erreicht, als 1657 der niederländische Physiker Christiaan Huygens das Pendel als Taktgeber für mechanische Uhren einführte. Damit wurde es möglich, die Zifferblätter zusätzlich zum Stundenzeiger auch mit einem Minutenzeiger auszurüsten. Ein Uhrenpendel besteht aus einem an einer Drehachse hängenden dünnen Stab mit einem flachen Pendelkörper am unteren Ende. Die Entfernung des Pendelkörpers von der Drehachse lässt sich dabei durch eine kleine Schraube an seinem unteren Ende verändern. Bei kleinen Auslenkungen ist die Schwingungszeit T eines Pendels gegeben durch T = 2π mal Quadratwurzel aus Länge durch Erdbeschleunigung. Bei vierfacher oder neunfacher Pendellänge vergrößert sich damit die Schwingungszeit um das Doppelte bzw. Dreifache. Da die Erdbeschleunigung in unserer geographischen Breite 9,806 m/s2 beträgt, ergibt sich bei einem Pendel mit der Länge von 0,99 Meter eine Schwingungszeit von 2 Sekunden bzw. für die Zeit der Bewegung von einem Endpunkt bis zum anderen Endpunkt ein Zeitintervall von 1 Sekunde (Sekundenpendel).
Die Genauigkeit der Pendeluhren wurde erst durch die um 1930 entwickelten Quarzuhren übertroffen. Die Möglichkeit, die Zeit immer präziser bestimmen zu können, war eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung der modernen Naturwissenschaften in Europa. Andererseits haben die Uhren aber auch zu einem ganz anderen Empfinden der Zeit bei den Menschen geführt und damit den Alltag tiefgreifend verändert.
Das frühere mechanische Uhrwerk im Schliebener Kirchturm
Bei dem nach dem Brand im Jahr 1862 errichteten Kirchturm waren gemäß Mauerwerksausführung Uhrzifferblätter in allen vier Himmelrichtungen vorgesehen. Welche Uhrwerke zunächst installiert wurden, ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass es ab 1933 eine mechanische Uhr der Firma Ernst Meyer Magdeburg gab. Für den Antrieb dienten schwere Gewichte, die wöchentlich mit einer an der Seilzugtrommel vorhandenen Kurbel per Hand aufgezogen wurden. Diese Aufgabe hatte zuletzt bis in die 1980er Jahre der Kirchenälteste und Organist Herr Johannes Gloél übernommen.
Vom Uhrwerk führte über mehrere Etagen eine vertikale Welle zu einem in der Höhe der Zifferblätter befindlichen Getriebe mit Kegelzahnrädern, von dem aus horizontale Wellen die Minutenzeiger der vier Zifferblätter antrieben. Unmittelbar vor den Zifferblättern befand sich an diesen Wellen jeweils ein Gegengewicht, das die Drehmomente der großen Zeiger kompensierte. Darüber hinaus sorgten dort auch Untersetzungsgetriebe 1:12 für den Antrieb der Stundenzeiger. Bei korrekter Synchronisation von Uhrwerk und Zeigerstellungen ließen sich bei den Pendeluhren leichte Zeitkorrekturen durch eine kurzzeitige Veränderung der Schwingungszeit des Pendels vornehmen.
Im Jahr 1983 ist die sich in desolatem Zustand befindende Turmuhr durch die sächsische Firma Gerhard Vogel in vielen Teilen erneuert und zugleich auf vollautomatischen Betrieb umgestellt worden. Dabei erfolgten Zerlegung und Neuaufbau des Uhrwerks, die Rekonstruktion der Antriebselemente, die Anfertigung gänzlich neuer Zifferblätter und die Zeitsteuerung durch eine Quarzuhr. Die Abbildung zeigt das Uhrwerk nach diesem Umbau und jetzt nach Stilllegung im Zustand eines technischen Denkmals. Der in der Abbildung eingefügte Text entspricht der Widmung auf dem kleinen Messingschild am Uhrwerk.
Das neue funkgesteuerte elektrische Uhrwerk im Kirchturm
Da sich das mechanische Übertragungssystem zur Zeitanzeige in einem sehr schlechten Zustand befand, erfolgte mit Beginn der Renovierungsarbeiten in der Kirche Anfang der 1990er Jahre auch die Installation einer funkgesteuerten Hauptuhr und von vier von kleinen Motoren angetriebenen Zeigertriebwerken hinter den Zifferblättern. Die Signalübertragung geschieht dabei über elektrische Leitungen.
Da sich die Zifferblätter weiter in einem schlechten Zustand befanden, war ein weiterer Umbau notwendig. Neue aus witterungsbeständigem und UV-strahlungsfestem Kunststoff bestehende weiße Zifferblätter, die mit schwarzen römischen Ziffern und einem Minutenring versehen sind, konnten um 2010 montiert werden. Von Vorteil ist die bei ihnen bestehende Revisionsluke, die es ermöglicht, unerwünschte Birken im nahen Mauerwerk zu beseitigen. Die neuen Zeigerpaare bestehen ebenfalls aus hochstabilem Kunststoff. Der sichtbare Durchmesser der Zifferblätter beträgt 1,05 m. In der Abbildung der Rückseite sieht man den Motorantrieb für die Zeiger oberhalb der Revisionsluke.
Bei dem von außen aufgenommenen Bild des gleichen Zifferblattes sieht man andeutungsweise die Revisionsluke sowie die weißen Teile der Zeiger, die einem genauen Austarieren der Drehmomente der schwarzen Zeigerhälften dienen.
Das gesamte Uhrensystem, das sich übrigens durch weit zurückliegende Entscheidung im Besitz der Stadt Schlieben befindet, wird jährlich von der Heidenauer Glockenläute- und Elektroanlagen GmbH überprüft und gewartet. Der städtische Besitz garantierte, dass alle Bürger mit vollem Recht die Zeitinformation bekamen.
Altes Pendel-Kirchturmuhrwerk in Lebusa
Im Kirchturm von Lebusa befindet sich ein Turmuhrwerk der Firma J. F. Weule aus Bockenem, das vermutlich seit 10 Jahren nicht mehr in Betrieb gewesen ist. Hier sind beim Blick von oben das Pendel, die beiden hellen Arme des Ankers und das Hemmungsrad gut zu sehen. Der leichte hölzerne Pendelstab hängt beweglich an einem dünnen Metallstreifen (Federlagerung). An seinem unteren Ende befindet sich die schwere Pendellinse. Die Bewegung des Pendels wird mit einer im Pendelstab steckenden Gabel auf die Ankerwelle übertragen. Bei jeder Pendelschwingung heben und senken sich die Ankerarme wechselseitig, so dass sich das Hemmungsrad jeweils um einen Zahn weiterdrehen kann. Der Hemmungsmechanismus sorgt (1) für eine periodische Unterbrechung des Hemmungsrades und (2) zugleich für einen kontinuierlichen Antrieb von Pendelschwingungen. Das Aufziehen der Uhr erfolgte mit einer Handkurbel, die man auf der gegenüberliegenden Seite des Rahmens auf die Achse der Seiltrommel setzte. Im Turm sieht man außer "modernen" Uhrgewichten aus Beton auch früher dafür genutzte Feldsteine mit Ösen.
Wichtig für das einwandfreie Funktionieren des Uhrsystems ist ebenfalls die Pflege des im Bild gezeigten Getriebes mit Kegelzahnrädern, das die Drehung der vom Uhrwerk kommenden vertikalen Welle auf die horizontal zu den großen Zeigern der Zifferblätter führenden Wellen überträgt. Die Zifferblätter befinden sich auf der Ost- und der Westseite des Turms.
In erstaunlich vielen Orten gibt es lokale Vereine zur Pflege von Turmuhren oder zur Wartung von Turmuhren in entsprechenden Museen. Darüber hinaus gibt es seit 1990 den Fachkreis Turmuhren in der Deutschen Gesellschaft für Chronometrie (DGC), der jährliche Tagungen und Besichtigungen in Deutschland wie im nahen Ausland organisiert.