Titel Logo
Unterspreewald-Journal
Ausgabe 8/2024
Nichtamtlicher Teil
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Sorbische Wurzeln am Unterspreewald – Teil 2

Bernhard Heinz Witzsch, Freiwalde

Wie im Teil 1 angekündigt, jetzt geht es um Flurnamen.

Die benannten Flurnamen stellen einen weiteren Hinweis auf die sorbisch/wendischen Vergangenheit dar. Im Leben unserer Vorfahren waren sie etwas Alltägliches und werden heute angewandt, zumindest von der älteren Generation, obwohl deren Bedeutung vielfach abhandengekommen ist. Natürlich geht es bei den ausgewählten Beispielen wieder um altpreußische Orte am Unterspreewald.

Hinweise zu Abkürzungen: ns = Niedersorbisch, dtsch = Deutsch[1]

Zu Leibsch[2]:

Orscht

ns Erhöhung

Niewa

ns fruchtbares Ackerland

Der Flurnamen Orscht kann nur noch in einschlägischen Dokumenten gefunden werden. Nach der Leibscher Ortsgeschichte soll sich dort ein Schutzwall befunden haben. Archäologische Lesefunde scheinen das zu bestätigen. Durch die über Jahrhunderte andauernde landwirtschaftliche Nutzung, vor allem dem Pflügen, ist von der einstigen Erhöhung nichts mehr zu sehen. Geblieben ist der Flurname.

Zu Groß Wasserburg[3]:

Rooch

ns rog, dtsch. Winkel, Ecke (Lage nicht identisch mit der in Krausnick)

Wasigk

ns wosyk, dtsch. Gerodetes, Verhau, Hag

Tschellna

ns sćelna, dtsch. Weide für trächtige Kühe

Boomwucke

dtsch. Baum & ns Luka (Wiese)=Baumwiese

Pachtborke

dtsch. Pacht & ns bor u. k=klein Kiefernwald

Tschuggar oder Schuggar

ns tśuga, dtsch. Wassergraben, Bach, Fließ

Der Wasigk mit seinem ursprünglichen Baum- und Strauchbewuchs reichte einst bis fast an die Verbindungsstraße Leibsch – Groß Wasserburg heran. Übrig geblieben sind nur noch ein paar vereinzelte Baumgruppen. Heute wird mit dem Wort Wasigk das gesamte Grünland bis zum Rietzedamm definiert.

Zu Krausnick[4]:

Bogna

ns bagno, dtsch. Waldsumpf

Dubraue

ns dubrawa dtsch. Eichengehölz, kleines Eichenholz

Rooch

ns rog, dtsch. Winkel, Ecke

Niwa

ns niwa, dtsch. Kleiner Acker

Satschemene

ns za tśmjenje, dtsch. hinter der Wiesenlache

Sapeske

ns za pjṅki, dtsch hinter dem Sand

In der Ortschronik von Krausnick ist eine Karte mit den zitierten Flurnamen vorhanden. Umgangssprachlich haben sich auch Flurnamen der heutigen Nutzung angepasst, Beispiel: So steht über dem ursprünglichen Namen ‚Stemmwiesen‘ die Bezeichnung ‚Texas‘. Ein Hinweis auf die vorrangige Weidenutzung nach dem zweiten Weltkrieg.

Deckungsgleiche Flurnamen ergaben sich zwangsläufig aus der allgegenwärtigen niedersorbischen Sprache. ‚Rog‘ stand also für Winkel oder ‚Niwa‘ für ein Stück Ackerland in allen sorbisch/wendischen Dörfern am Unterspreewald. PAUL Reusche bemerkt zu diesen Zeugnissen unserer Vergangenheit: "Auch die alten wendischen Flurnamen, fast die einzigen Dokumente des niedersorbischen Storkowschen Dialektes gebraucht er ohne sie deuten zu können"[5]. Aber wer denkt schon an Sorbisch/Wendisch, wenn er umgangssprachlich Bezeichnungen wie Mohnpilchen, Hitsche oder Hutsche, Kamurke, Huppatz (abgeleitet von Wiedehopf, unsauberer Mensch) und Plauze[6] verwendet. Übrigens, Reusche war ein profunder Kenner des sorbisch/wendischen Lebens am Unterspreewald, denn er war ja der Pfarrer in Krausnick, und so nutzte er für seine Beiträge vor allem die Eintragungen in den Kirchenbüchern. Wenn er in diesem Zusammenhang vom Storkowschen Dialekt spricht, dann muss bedacht werden, dass die Storkower Herrschaft zeitweise bis Kaden (Ort neben Duben an der Autobahn) reichte. Auch der Vorgänger von Pfarrer Reusche, Pfarrer Erxleben bezog sich in seinen Landschaftsschilderungen auf die sorbisch/wendische Vergangenheit, wenn er z. B. noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wörtlich das „schöne Wendendorf Schlepzig“ erwähnt.

Die sorbisch/wendischen Flurnamen waren also für die Einwohner am Unterspreewald selbstverständlich Bestandteil ihres Sprachguts, und jeder wusste wo die Wiese oder der Acker lag. Auch die Kolonisten haben die Flurnamen in ihren Wortschatz aufgenommen. Mussten sie ja auch, wenn sie mit den angestammten Bewohnern klarkommen wollten. Wichtig war dabei, dass sie die inhaltliche Bedeutung der Worte verstanden. Flurnamen wurden wie selbstverständlich von Generation zu Generation mündlich übermittelt. Erst mit ihrer Aufnahme in zeitbezogene Dokumente, wie z. B. den Erbverschreibungen oder Prozessen kam es zu ersten Niederschriften. Mit der Separation fanden die sorbisch/wendischen Flurnamen dann ihren endgültigen Eingang in amtliche Unterlagen. So sind sie auch noch teilweise bis weit in die 1970er Jahre präsent gewesen. Allerdings ist ihre Lage in den heutigen Gemarkungen nicht mehr ohne weiteres auszumachen. Die Schaffung zusammenhängender Ackerflächen seit den LPG-Gründungen, mit den folgenden großflächigen Meliorationsmaßnahmen haben vor allem den kleinflächigen Flurstücken ihre Eigenständigkeit gekostet und sind Bestandteil bedeutend größerer Flurstücke geworden. Beispiel: Rooch und Boomwucke sind im Wasigk aufgegangen. Heute definiert sich der Wasigk als Grünland zwischen der Straße Leibsch – Groß Wasserburg und dem Rietzedamm kurz vorm Köthener See. Flurnamen entstanden aus wirtschaftlicher Notwendigkeit und passen sich deshalb immer den jeweiligen Nutzungsgegebenheiten an.

Also, an der sorbischen/wendischen Vergangenheit kam und kommt man auch hier nicht so ohne Weiteres vorbei.

Im Teil 3 wird auf Tracht und Traditionen eingegangen.

[1] Dr. Christian Zschieschang, Sorbisches Institut e. V., Bautzen, überarbeitete Liste Sorbischer Flurnamen in Beantwortung der Anfrage vom Autor, 2022

[2] Witzsch, Häusler-Büdner & Kolonisten-Bauern, 2017, ISBN 978-3-7448-9621-4, S. 22ff

[3] ebenda

[4] Krausnicker Ortschronik, Abschnitt Ortsnamen und Flurnamen in der Gemarkung Krausnick von Frau Bunk 1992/93, S. 1-5

[5] Reusche, Zur Volkskunde der Unterspreewalddörfer, Lausitzer-Landes-Zeitung, 11. + 18.8.1925, Cottbus, Abschnitt I

[6] vergl. Gabriele Pfnister, Die Sprachsituation im gemischtnationalen Gebiet am Beispiel des Deutschunterrichts..., Geschichte und Gegenwart des Bez. Cottbus, Heft 11, 1977, S.147 ff