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Weißenfelser Amtsblatt – Amtliches Verkündungsblatt der Stadt Weißenfels
Ausgabe 2/2025
Vorwort des Oberbürgermeisters
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Liebe Bürgerinnen und liebe Bürger,

wir befinden uns in bewegten Zeiten, die mit Unsicherheiten verbunden sind. Zum einen hat es mit der politischen Wetterlage, aber auch – so meine ich – mit der Art, welche Erfahrungen wir mit Informationen tagtäglich machen, zu tun. Heute will ich weniger über die Projekte der Stadt Weißenfels sprechen, sondern vielmehr auf ein Erbe hinweisen, das mit Weißenfels verbunden ist. Und ich möchte Sie daran teilhaben lassen, was mich derzeit wirklich beschäftigt.

In meiner Rede zum Neujahrsempfang der Stadt Weißenfels, welcher am 21. Januar 2025 im Weißenfelser Kulturhaus stattfand, sprach ich zum Thema „fruchtbringend Gesellschaft sein“. Diese von mir gesetzte Überschrift schlägt einen weiten Bogen. So beginnt bereits durch den Herzschlag der Mutter im Mutterleib Verständigung zum Kind. Im wahrsten Sinne kann hier von Muttersprache gesprochen werden. Eine feste Beziehung, die davon geprägt ist, auf die Umgebung zu reagieren und von dem Puls des Moments zu lernen. Sprache ist immer ein Beziehungsgeschehen und entfaltet sich im günstigsten Fall im Verstehen.

Das Thema „fruchtbringend Gesellschaft sein“ lehnt sich an den einst starken Palmenorden – der Fruchtbringenden Gesellschaft – an, welcher mit Herzog August von Sachsen-Weißenfels seinen letzten Vorsitzenden hatte. Ziel war die Pflege und Weiterentwicklung der deutschen Sprache und Literatur. Und das ist der, wie ich finde, entscheidende Punkt: die Fruchtbringende Gesellschaft hatte das erklärte Ziel, die deutsche Sprache von fremden Einflüssen zu reinigen und ihren Gebrauch in Prosa, Poesie und Wissenschaft zu fördern. Die Palme diente dabei als wichtiges Symbol für den Leitsatz „alles zu nutzen“. Sie merken bereits, ein Thema, das auch sehr gut in unsere Zeit passt.

Die seinerzeit adelsübliche französische Sprache und der Einfluss einiger latinisierte Wörter wurden künstlich unterbunden, um Deutsch als Sprache für jeden „rein“ zuhalten. Für mich stellt sich der Zugang zur Sprache in der damaligen Zeit für eben jede Frau und jeden Mann als wegweisend dar. Die Beteiligung und die damit verbundene Möglichmachung des Verstehens für die Bevölkerung über die Sprache gerade in der Nachphase der Erfahrung des schrecklichen 30-jährigen Kriegs verankert gleichwohl auch die Identität einer ganzen Region.

Was können wir daraus für uns heute lernen? Heute „fruchtbringend Gesellschaft sein“ will etwas heißen: In der momentanen Lage, in der sich unser Land befindet, gilt es insbesondere darauf zu achten, was Zusammenleben in dieser Gesellschaft heißt. Hinterfragen wir, wie wir miteinander reden, wie wir miteinander in Beziehung stehen, wie wir korrespondieren? Dabei ist die Art und Weise wie wir miteinander sprechen und in welcher Form wir in Beziehung stehen, entscheidend für uns. Wir haben uns in sehr kurzer Zeit als Gesellschaft verändert. Es ist ein Trugschluss zu meinen, wir seien fortschrittlich, nur weil wir ein iPhone mit uns herumschleppen und alles googeln können oder per Facetime direkt vom Strandurlaub die Schwiegermutter kontaktieren.

Herzog August hat als Teil des Adels, breit und weit für eine Hofkultur am Ende auch für den normalen Bürger sprachliche Identität geschaffen und hinterlassen. Um DAS Gut der Gesellschaft zu schützen, dass immer in Gefahr war, missbraucht zu werden: nämlich die Sprache. Der Adel ist heute weitestgehend verschwunden. Der Einfluss anderer hat Einzug gehalten. In der Gegenwart sind es vor allem Tech-Milliardäre, die durch bewusste Abhängigkeiten von Nutzern immer reicher und reicher werden und Macht auf der Welt erlangen, die uns vor zivilisatorische Herausforderungen gebracht haben und bringen werden. Die politischen Gewinner von Morgen sind jene, die auf diesem Feld am besten operieren können. Schnelle Videos, kurze Posts und künstlich generierte Bilder beherrschen immer mehr den Alltag: Manipulation in Reinkultur. Und die Sprache? Sie ist dabei ihren Wert zu verlieren. Die einfache aber verzerrte Erzählung gepaart mit einem klug ausgesteuerten Algorithmus generiert Anhänger jeglicher politischen Strömungen.

Ich will den Blick auf Weißenfels lenken. So verrückt es klingt, ABER: Jede Stunde, die WIR nicht am Handy verbringen, ist mittlerweile eine gute Stunde für unsere Gesellschaft. Liebe Bürgerinnen und liebe Bürger, ja, ich meine WIR. Es ist keineswegs eine Frage der Jugend. Wir sind alle angesprochen. Unsere Gesellschaft setzt sich tagtäglich der Gefahr aus, an Bodenständigkeit einzubüßen, die Sprache aus den Augen zu verlieren und im Ergebnis folgt eine fruchtlose Zeit. Wir müssen uns dieser Herausforderung bewusst sein, im Alltag dagegen steuern, weil sich meines Erachtens Grundlegendes für die Zukunft damit verbindet.

Darum planen wir aktuell Orte in der Stadt und in den Ortschaften, wo Gesellschaft zusammenkommen kann. Nehmen wir uns Zeit für unser Gegenüber, indem wir alles daransetzen, zusammenzukommen, uns zu unterhalten, zu streiten, zu versöhnen, zu lachen und den anderen einmal mehr zuzuhören. Fruchtbringend werden wir als Gesellschaft nur sein, wenn wir uns hier vor Ort einbringen, Akzente setzen und die Zeit dafür aufwenden, die Gesellschaft durch Mittun zu gestalten.

Ein guter Freund hat vor einigen Jahren mit Menschen mit Behinderung ein Musical geschrieben, das hieß „wenn es gut war, war es Arbeit“. Arbeit-an-sich ist ein Gewinn für eine Gesellschaft, weil damit oft Beziehung zum anderen und Glück verbunden ist. Wir werden dieses Land, diese Stadt nur positiv bewegen können, wenn alle, die arbeiten können, auch arbeiten gehen. Weil Arbeit auch Beziehung heißt und darin die Sprache in der direkten Zusammenkunft gepflegt wird.

Die größte Herausforderung in meinem Amt ist nicht, die Verwaltung zu führen, mit dem Stadtrat Entscheidungen zu treffen oder Fördermittel zu akquirieren. Nein, die größte Herausforderung ist, den Bürgerinnen und Bürgern das „Warum-machen-wir-was“ zu vermitteln. Die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, trotz oder gerade wegen der vielen zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel und Kanäle. Aktuell habe ich oft das Gefühl, unser Einsatz hierbei reicht noch nicht aus. Insofern ist das ein guter Vorsatz für das Jahr 2025, an dem ich persönlich arbeiten möchte. Denn wir haben viel vor in Weißenfels.

Fruchtbringend Gesellschaft sein hat viele Bedingungen. Alles, was WIR in der Hand haben, sollten wir nutzen. Alles, was wir persönlich tun und alles, was zum Verstehen beiträgt, sollte mit Hilfe der Sprache getan werden. Es ist eine große Chance, die wir selber in der Hand haben.

Herzlichst grüßt Sie,

Martin Papke
Oberbürgermeister der Stadt Weißenfels