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Wilthener Stadtanzeiger - Amtliches Mitteilungsblatt der Stadt Wilthen
Ausgabe 9/2023
Partnerstadtnotizen
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Eifriges Forschen – Geschichtsschreibung erreicht ihren Abschluss nie!

Die verwendete Überschrift trifft wohl allgemein überall zu, aber ebenso auf bekannte Sachverhalte, die zu überdenken sind. Als Anregung dafür diene „unser“ Bober- und Tuchmacherstädtchen Löwenberg in Schlesien, heutzutage Lwówek Slaski genannt seit Jahren Partnerstadt für Heidenau und Wilthen. Als bis 1945 deutsche Stadt wirkten in ihr auch angesehene Historiker, die bedeutsame Geschichtsbücher schrieben, so Benjamin Gottlieb Sutorius, der 1784 die „Geschichte von Löwenberg aus Urkunden und Geschichten gesammelt“ herausbrachte, 1887 gefolgt von Hermann Wesemann/Johannes Ennen mit ihren „Regesten zur Geschichte der Stadt Löwenberg“ und schließlich 1930 das Werk des Schulmeisters Prof. Dr. Paul Kleber „Bilder aus der Löwenbergs Vergangenheit“, im ortsansässigen Paul Holtsch Verlag erschienen und in Leipzig gedruckt (Abbildung der Titelseite). Auf weitere Autoren können wir hier nicht hinweisen, obwohl auch sie es verdient hätten. Achtungsvoll wollen wir Sutorius‘ Wesemanns, Ennens und Klebers Forschungsergebnisse würdigen, sind sie doch für die Löwenberger Geschichte und somit für die Geschichte Schlesiens wissenschaftliche Grundlagenwerke. Eines allerdings haben sie trotz aller Anstrengungen nicht vermocht: die Stadterhebung (-aussetzung, -ernennung, -gründung) Löwenbergs durch Herzog Heinrich I. (der Bärtige) für das Jahr 1209 oder für das Jahr 1217 zu beweisen. Daran tragen sie keine Schuld, sondern es ist die mehrdeutige Urkundensituation, die sich nicht aufklären lässt. Im polnisch-schlesischen Löwenberg gilt als Gründungsjahr 1217; deshalb war dort 2017 die 800-Jahr-Feier.

Studienrat Paul Klebers „Bilder aus Löwenbergs Geschichte“ sind keine Bilder im Sinn von Fotos, Zeichnungen oder Malereien – nein, er meint damit historische Ereignisse, die er in angemessene Worte kleidete, um sie verständlich und interessant zu machen. So führt er uns vor, dass das Städtchen in knappen Abständen wechselnde Bezeichnungen trug: zur Gründung „Lewenberc“, bald danach Leuberk, dann Lewumberc, Lemberch, Lewinberg, Lemberg, Lamberch, Lemberk... Solch rasche Namensänderungen sind nicht oft vorzufinden. Nach Löwenbergs Stadterhebung bildete sich ab etwa 1440 um Löwenberg herum ein „Districtus“, ein „Weichbild“ heraus, was uns Kleber so erklärt: „weich“ abgeleitet von wic = Stadt; „bild“ abgeleitet von Recht, also hier Magdeburg-Hallesches Stadtrecht für sechsundsiebzig Dörfer und drei Städte. Einige davon: Kesselhurisdorf (Kesselsdordf), Sircowicz (Sirgwitz), Gorensifen (Görisseiffen), Groß=Rackwitz (Rackewice), Gryfenberg (Greiffenberg)... Ein dem Weichbild angehörender Ort - das waren alle umliegenden - befand sich in der Rechtsprechung der Weichbildstadt, wurde in Kriegszeiten beschützt, hatte Steuern an die Stadt abzuführen, musste die Brau- und Schankgerechtigkeit strikt einhalten (was bedeutete, dass ringsum nur Löwenberger Bier ausgeschenkt werden durfte). Alles schien geregelt zu sein, dennoch blieben heftige Streitigkeiten nicht aus, denn Ritter und Adlige meinten, dass ihre Freiheiten infolge der engen Weichbild-Vorschriften arg beschnitten wären. Jetzt musste die Löwenberger Gerichtsbarkeit, die Erbvögte, ihr Urteil sprechen. Nun erlaube ich mir, einen Auszug aus Prof. Dr. Paul Klebers Buch einzufügen, nicht zuletzt wegen der anregenden Gedankenführung dieses Geschichtsmannes und Rektors des Gymnasiums im ehemaligen Franziskanerkloster an der Promenade: „Es ist eine stattliche Anzahl von Gemeinden, die zum Weichbild der Stadt Löwenberg gehörten, dort ihr Recht suchten und Bedürfnisse befriedigen mussten. Auf dem Marktzwang der Gemeinden beruhte die große Wohlhabenheit der Weichbildstadt Löwenberg. In den Dörfern aber durfte ursprünglich kein Gewerbe betrieben, kein Bier gebraut und ausgeschenkt werden. Die Löwenberger Schneider und Schuster, Fleischer und Bäcker, die Tuchmacher und Leinweber versorgten in besonderen Bänken und im Kaufhaus am Ring [das spätere Rathaus inmitten des Marktplatzes – W.G.] die Dorfbewohner mit allem. Gelegenheit hierfür boten außer den Gerichtstagen der 1340 verliehene Salzmarkt sowie die Wochen= und die beiden Jahrmärkte, die König Wladislaw 1497 verliehen hatte und die von Kreuzerfindung am 3. Mai [katholischer Ehrentag – W.G.] und Franziskus am 4. Oktober [Gedenktag für Franziskus von Assisi – W.G.] je acht Tage dauerten. Gegen diese Vorrechte der Weichbildstadt kämpften die Grundherrschaften der Weichbilddörfer an, bis sie Kaiser Ferdinand III. 1629 aufhob und jedem Stande und jedem Dorfe fortan eigene Rechte zuerkannt waren.“ Soweit Paul Klebers Bemerkungen zu Geschehnissen in seiner Heimatstadt Löwenberg. Warum aber hielt er fest, dass er bei Stadtgründungen in Schlesien sehr oft auf das Magdeburg-Hallesche Stadtrecht gestoßen wäre, obwohl mindestens genauso oft „nur“ vom Magdeburger Stadtrecht die Rede war? Magdeburg war seinerzeit Sitz des höchsten Kirchenfürsten; hier entstand das umfassende Rechtsbuch „Sachsenspiegel“; diese Stadt war die bedeutendste östliche Handelsstadt. Halle entstand als Tochterstadt zur Mutterstadt Magdeburg und hatte für die Schlesier herausragende Bedeutung infolge der nahezu unerschöpflichen Salzvorkommen als unentbehrliche Lebensmittel. Fast alles hatten die schlesischen Haushalte für ihren Alltag selbst, das kostbare und Menschen verbindende Salz jedoch nicht! Es musste auf Wagen herbeigebracht werden und gegen heimische Produkte - an vorderster Stelle stand Holz - getauscht werden. Der Handelsweg verlief von Halle über Großenhain, Königsbrück, Kamenz, Bautzen, Görlitz, Lauban (der Queis stellte damals die sächsisch-schlesische Grenze dar) nach Löwenberg und Bunzlau, weiter in das Innere Schlesiens. Mit einem weiteren Aufsatz will ich demnächst des Studienrat Professor Dr. Paul Klebers Betrachtungen zum Goldbergbau um Löwenberg in Schlesien vorstellen.

Werner Guder, SPV Heidenau