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Die neue Brücke – Das Amtsblatt der Lutherstadt Wittenberg
Ausgabe 3/2024
Seite 2
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Reden des Oberbürgermeisters

Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Wittenbergerinnen und Wittenberger, liebe Gäste!

Wir stehen heute auf für Demokratie, wir stehen auf gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus. Wir stehen auf gegen das Erstarken von Hass und Hetze, gegen Intoleranz und Geschichtsvergessenheit.

Die Geschichte von 1933 darf sich nie wiederholen. Deshalb zeigen wir heute klare Kante gegen Rechts und machen uns stark für die Verteidigung unserer Demokratie gegen ihre Feinde - das ist unsere staatsbürgerliche Pflicht.

Die Enthüllungen des Recherche-Zentrums „Correctiv“ über das Potsdamer Geheimtreffen von rechtsextremen Netzwerken haben die Menschen wachgerüttelt. Bei diesem Treffen ging es um die millionenfache Vertreibung von Menschen mit Einwanderungshintergrund nach rassistischen Merkmalen.

Wenn etwas in unserer Bundesrepublik nie wieder Platz haben darf, dann ist es die völkische Rassenideologie der Nationalsozialisten, denn sie richtet sich gegen die Grundfeste unseres Staates und unser Grundgesetz.

An dieser Stelle möchte ich aus dem Einführungstext des Grundgesetzes zitieren. Darin schreibt der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio:

„Den Menschen als Einzelwesen zu achten, weil er Teil der menschlichen Gattung ist, macht die Identität unserer Gemeinschaft aus, ist der erste und letzte Zweck des vom Grundgesetz verfassten Staates.“ - Zitat Ende

Kein Mensch mit Migrationshintergrund, der sich auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegt, unser Grundgesetz und unsere Werte achtet, soll sich jemals wieder fragen müssen, ob es für ihn oder sie in Zukunft noch einen Platz bei uns gibt. Diesen Menschen sei versichert: Sie gehören zu uns! Wir brauchen Sie und stehen schützend an Ihrer Seite!

Im Text von Professor di Fabio heißt es weiter - Zitat:

„Die Grundrechte gehen aus von der Würde eines jeden einzelnen Menschen, der zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit berufen ist. […]

Die Würde des Menschen ist vielschichtig: Sie meint den Menschen in seiner angeborenen stolzen Fähigkeit zur Selbstbestimmung ebenso wie das hilflose Geschöpf, dessen Leben und Integrität wir schützen, weil es zur Gemeinschaft der menschlichen Gattung gehört.“ - Zitat Ende

In vielen Städten unseres Landes demonstrieren die Menschen seit Tagen, heute auch in unserer Lutherstadt Wittenberg. Mein Dank gilt der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, die zu dieser Kundgebung aufgerufen hat und mein Dank gilt allen Unterstützerinnen und Unterstützern.

Er gilt vor allen Ihnen, liebe Wittenbergerinnen und Wittenberger, dafür, dass Sie heute auf unserem Marktplatz ein klares Zeichen gegen Faschismus und für Menschlichkeit setzen.

Haltung zu zeigen für unsere Demokratie ist eine Gesellschaftsaufgabe und gelebter Verfassungsschutz. Es ist ermutigend zu sehen, dass so viele Menschen in ganz Deutschland auf die Straßen gehen und Flagge zeigen.

Es ist ermutigend, wenn die vermeintlich schweigende Mehrheit jetzt ihre Stimme erhebt für eine Bundesrepublik Deutschland, die demokratisch, liberal, weltoffen und frei ist.

Ich möchte noch einmal Professor di Fabio zitieren:

„Das Grundgesetz ist eine liberale Verfassung. Sie ist keine Grundordnung, die Bürger bevormundet, sondern eine, die von der Selbstverantwortung aller Menschen ausgeht, die es zu allererst für ihre Sache hält, wie sie sich als Persönlichkeit entwerfen und verwirklichen. […]

Der gerechte Zusammenhalt einer staatlichen Gemeinschaft wird im wirksamen Schutz vor Gewalt und Rechtsbruch, mit Rechtssicherheit und sozialer Sicherung, aber immer auch in der Beachtung von Form und Verfahren garantiert; das ist wichtiger als manch materielle Wohltat aus der Hand des Staates.“ - Zitat Ende

Keiner kann heute mehr sagen, er habe nicht gewusst, was Rechtsextreme in diesem Land vorhaben mit Menschen, die anderer Herkunft, anderer Religion, anderer Meinung sind. Wir müssen uns wehren, und wenn nicht jetzt, wann dann?

Liebe Wittenbergerinnen und Wittenberger, liebe Gäste,

heute setzen wir ein starkes Zeichen gegen rechte Hetze und die Rückkehr in dunkelste Zeiten unserer Geschichte. Wittenberg ist eine weltoffene, bunte und menschenfreundliche Stadt und so soll es auch bleiben.

Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir uns auch über diesen Tag hinaus weiter engagieren. Dass wir wachsam und sichtbar bleiben und gegen Unrecht aufstehen. Wir dürfen nicht länger akzeptieren, dass die Grenzen des vermeintlich Sag- und Denkbaren unwidersprochen immer weiter in die rechtsextreme Richtung verschoben werden.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle noch ein letztes Zitat aus dem Einführungstext unseres Grundgesetzes:

„Die Pflicht, die Menschenwürde zu achten und zu schützen, darf nicht missverstanden werden als Auftrag an den Staat, jedem Menschen ein gutes Leben zu garantieren. Das Menschenbild unserer Verfassung ist von der Vorstellung bestimmt, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg zum Glück findet. Auch wenn jeder weiß, wie schwer es sein kann, Arbeit zu finden und gut davon zu leben, so wird doch zu allererst auf jeden Einzelnen vertraut, dass ihm dies gelingt.

Das Leitbild lautet: Der Mensch ist eine mit der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung begabte Persönlichkeit.“ - Zitat Ende

Das Grundgesetz wird am 23. Mai dieses Jahres 75 Jahre alt; es ist die beste Verfassung, die Deutschland je hatte. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten aus den Schrecken des Nationalsozialismus ihre Lehren gezogen und eine wehrhafte Demokratie konzipiert.

Unsere Demokratie muss und wird sich wehren, wenn sie angegriffen wird. Denn wenn Rechtsextremisten an die Macht gelangen, dann ist die Demokratie am Ende.

Sie wollen millionenfache Vertreibung aus Deutschland. Erst erklären sie Menschen mit Migrationshintergrund zum Feind, am Ende sind es aber alle, die nicht in ihr beschränktes Weltbild passen: politische Gegner, Gewerkschaftler, Christen, Journalisten, Klima- und Umweltaktivisten, queere Menschen und Menschen mit Behinderungen.

Viel zu oft werden aus Worten Taten, wenden Rechtsextremisten brutale Gewalt an. Sie wollen spalten, einschüchtern, Andersdenkende zum Schweigen bringen. Die nun öffentlich gewordene Konferenz in Potsdam macht zurecht vielen Menschen große Angst. Das sind keine Gedankenspiele mehr, sondern konkrete Pläne!

Die vielen Demonstrationen der letzten Tage machen Mut! Mut, weil die Menschen den Feinden unserer Demokratie deutlich sagen: Wir sehen, was ihr vorhabt. Wir hören, was ihr sagt. Wir treten eurer menschenverachtenden Politik entgegen.

Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in Quantität und Qualität neue Dimensionen erreicht. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 gab es mehr als 1.300 antisemitische Straftaten in Deutschland.

Es ist unerträglich, wenn wieder Davidsterne an Häuser gemalt und Synagogen mit Brandsätzen attackiert werden.

Ich möchte Sie deshalb einladen, mit uns im Anschluss an diese Demonstration zu 17 Uhr zur Stätte der Mahnung an der Stadtkirche zu wechseln und am dort stattfindenden Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus teilzunehmen.

Heute jährt sich zum 79. Mal der Tag der Befreiung des Vernichtungs- und Konzentrationslagers Auschwitz. Dieses KZ steht symbolisch für den millionenfachen Mord an Juden und anderen Bevölkerungsgruppen.

Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass Verbrechen an der Menschheit nicht mehr nur der Vergangenheit angehören und wir alle mehr denn je gefordert sind, uns rechtsradikalen Ideologien entgegenzustellen.

Nicht nur als Bürgermeister, sondern auch als Vater, als Ehemann, als Nachbar, als Bürger und als Mensch in dieser, in meiner Lutherstadt Wittenberg möchte ich in aller Klarheit sagen:

Wer den Rechtsstaat missbraucht, um Unrecht zu Recht zu machen; wer Faschismus wählt und Rechtsextremismus toleriert oder unterstützt, nimmt billigend in Kauf, dass unser Wertefundament abgeschafft wird.