Weltenradler Thomas Meixner (re.) und Torsten Zabel am Grenzpfeiler zu Litauen.
Ganz klassisch: Camping auf der Kuhweide
Nachschub für den Benzinkocher
Der Weltenradler Thomas Meixner war am 11. April auf seine Tour bis Helsinki gestartet. Aktuell befindet er sich mit seinem Mitfahrer Torsten Zabel in Litauen, in Tallinn. Er verfasste die letzten Reiseeindrücke.
„Wir folgten von Torun in Polen aus die Weichsel nach Norden. Hier oben ist sich schon recht mächtig. Der Regen war erst einmal Geschichte, doch der kalte Wind blieb uns treu. Nachts sanken die Temperaturen nicht nur einmal gegen null oder am Boden auch leicht darunter. Wir kamen trotzdem gut voran und erreichten die größte Backsteinfestung Europas, die Marienburg. Hier versuchte der Deutschritter-Orden im 14 Jahrhundert einen Ordensstaat zu errichten. Doch Anfang des 15. Jahrhunderts war der Spuk dann schon wieder vorbei und übrig blieben in dieser Gegend etliche Ordensburgen.
Auf den Feldern war schon reges Treiben und die Bauern brachten ihre Saat aus. Die Störche brüteten an der neuen Generation. Nester schien es hier viel mehr als in Deutschland zu geben.
Nervig waren für uns immer die Straßenbaustellen. Meist gab es nur eine Fahrbahn, deren Benutzung durch zwei Posten mit Funkgerät gemanagt wurde. Die polnischen Autofahrer waren aber in der Regel sehr entspannt, so dass es fast nie zu brenzligen Situationen kam. Viel hat sich in der Straßeninfrastruktur bei unserem östlichen Nachbarn getan: Im Nordosten gab es reichlich Fahrradwege, die sich neben der Fahrbahn entlangzogen. Ansonsten hatten auch die Nebenstraßen, selbst in den schönen Masuren, einen guten Belag.
In den selbigen befindet sich auch die sogenannte „Wolfsschanze“, das ehemalige Führerhauptquartier für die Ostfront. Hier scheiterte ja bekanntlich auch das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Uns auf diesem geschichtsträchtigen Ort – wenn auch im negativen Sinne – konnten wir unsere Zelte für eine Nacht aufschlagen. Den nächsten Morgen schauten wir uns die unheimlich wirkenden riesigen Bunker an und natürlich auch den Ort des Attentates, bevor wir unseren Weg nach Osten fortsetzten.
Schnell kamen wir der Grenze nach Litauen nah. Am letzten Tag in Polen gab es wieder einen Wettersturz und die Temperaturen sackten wieder auf ein laues Winterniveau ab.
Wieder kam sehr kalter Regen vom Himmel. Die letzte Stadt vor der Grenze hieß Sejny. Hier gab es ein großes Benediktinerkloster. Die Fahrräder wurden abgestellt, wir entdeckten eine Jakobsmuschel, d. h. dieses Gebäude gehört zum Pilgerwegsystem, das schließlich in Santiago de Compostela im Nordosten von Spanien endete. Torsten, der schon von Görlitz bis Spanien in mehreren Etappen pilgern, 3000 Kilometer zurückgelegt hatte, war begeistert. Da gab es bestimmt eine Pilgerherberge wo man preiswert – und ganz wichtig für diesen Tag – trocken die Nacht verbringen konnte. Tatsächlich gab es ein Gebäude auf dem Gelände. Die Fahrräder wurden abgestellt und dem Ragen überlassen. Wir schüttelten uns die Tropfen von den Jacken und suchten im riesigen Gebäude nach Menschen. Es roch nach frischer Farbe und Mörtel. Überall wurde gebaut und renoviert. Als mein Begleiter im oberen Stock auf zwei Frauen traf und sich nach einer Herberge erkundigten, wurden wir höflich nach draußen komplimentiert. Wir standen wieder im Regen, der wenig später eine Pause einlegte und entschieden uns für die Weiterfahrt in Richtung Grenze. Wir kauften im örtlichen Lebensmittelladen noch ein, tauschten das restliche Geld beim polnischen Geldwechsler (Kantor) um und stellten fest, dass wir für die komplette Polendurchfahrt nur 165 Euro je Person gebraucht hatten. Ab Litauen bis einschließlich Finnland ist man ja bekanntlich wieder in der Eurozone. Da hat man die Preise wider direkt im Blick. Beim Einkaufen schickt mich Torsten fast immer ins Geschäft rein. Ich versuchte dann, wie gehabt, natürlich effektiv einzukaufen. Deshalb hat mein "Leidensgenosse" mir schon den Spitznamen "Schwäbische Hausfrau" verpasst.
In der letzten kleinen Siedlung mit dem Namen Berżniki wurde dann mein 5-Liter-Wassertank voll gelassen und wir zogen noch auf einem schmalen Asphaltband bis zu einer Madonnenstatue, die an einer T-Kreuzung stand. Dahinter gab es nur noch Sandpiste. Wir entschieden uns für den linken Weg. Vereinzelte Holzhäuser tauchten auf, doch keine Menschen weit und breit. Wie sollten wir in dieser Abgeschiedenheit die Grenze finden? Torsten schaltete ausnahmsweise sein Handy an, um die Orientierung zu bekommen. Die Wege waren nicht eingezeichnet, nur der Grenzverlauf war auf dem Bildschirm zu sehen. Ich drückte an meiner Uhr die Kommataste. Mit dieser Kombination versuchten wir, teilweise schiebend, zur Grenze zu kommen. Nachdem wir einen schmalen Waldweg hinter uns hatten, stießen wir auf eine Lichtung und schließlich auch auf eine Grenzmarkierung. Wir hatten sie erreicht: die ehemalige Grenze zum Riesenreich Sowjetunion, wo Litauen vor über drei Jahrzehnten dazugehörte. Hier gab es sicherlich mal einen Grenzzaun, doch in Zeiten von EU und Schengenraum gab es hier nichts, außer guten Rasen, um das Mini-Wigwam aufzustellen. Torsten stand mit seinem Ein-Mann-Zelt schon in Litauen, ich noch in Polen. Ein kühler und aber gemütlicher Abend bahnte sich an. Die Regenpause hielt noch an. Über meinen Benzinkocher wurden Kartoffeln gegart, ein Kessel Tee aufgesetzt und zum Abschluss noch ein Tässchen Wein mit Schokolade konsumiert. Wir fühlten uns gut, auf einem geschichtsträchtigen Stück Wiese die Nacht verbringen zu dürfen und Bürger Europas zu sein.
In der Nacht fing es wieder an zu regnen. Wir warteten den ganzen Vormittag in unseren kleinen Behausungen ab und setzten an diesem Tag erst unseren Weg durch den Wald um eins fort. Irgendwann kamen die ersten Häuser und wir hatten die Orientierung wieder. In Litauen begrüßte uns eine Sandpiste, die es hier noch reichlich gibt. Ansonsten sind hier die Straßen wieder schlechter und Fahrräder scheinbar nicht vorgesehen. Die Autos sind groß und teuer, das ländliche Leben wie früher und die Preise recht hoch. Aber das Baltikum macht uns trotzdem viel Spaß.
Heute haben wir die Hauptstadt Vilnius erreich, unsere Zelte auf einer Wiese eines Hostels, quasi mitten in der Stadt, aufgestellt. Frisch geduscht genießen wir den Abend und ein, zwei Tage in der historischen Altstadt.“