In der diesjährigen Sonderausstellung „HNO-Klinik in Zörbig – was bleibt“, welche am 05. September 2025 eröffnet wurde und bis auf Weiteres gezeigt wird, geht es um das 2013 abgerissene Gebäude der Hals-, Nasen-, Ohren-Klinik (kurz: HNO-Klinik) und deren Geschichte. Gegründet wurde die als Außenstelle des damaligen Kreiskrankenhauses Bitterfeld tätige HNO-Klinik 1965. Sie wäre somit in diesem Jahr 60 Jahre alt geworden. Aufgebaut und geleitet wurde die Klinik von Obermedizinalrat Dr. med. Hansjürgen Bögel (* 1928, † 2016). Bögel selbst war bis 1994 Chefarzt der HNO-Klinik.
Als Haus diente die ehemalige schlossähnliche Villa von Carl Gerhardt. So hieß der Direktor der Kandis- und Schokoladenfabrik im Mühlweg. Dazu weiß Andreas Voss noch einiges zu berichten: „... ja die heutige Feuerwehrstraße war früher der Mühlweg. Gleich hinter dem heutigen Getreidelager- und -handelsbetrieb stand bis in die siebziger Jahre hinein eine Holz-Bockwindmühle, baugleich mit der in Brehna am Schützenplatz. Da im Zuge der Gemeindegebietsreform dem Verbleib des Mühlweges als Straßenbezeichnung in Großzöberitz der Vorrang gegeben wurde, erfolgte die Straßennamenumbenennung in Zörbig zur Feuerwehrstraße“.
Gerhardt selber schied am 01. Januar 1906 als Direktor aus der Zuckerfabrik aus und beschloss, eine Kandisfabrik aufzubauen. Neben Bonbons wurden unter anderem kandierte Früchte, Pralinen und Zitronat hergestellt. Im Nachtrag von „Die Historia Zörbig“ – Heimat-Geschichtswerk Stadt Zörbig 1902 – 2004 von Dieter Schuster ist Folgendes zu lesen [Schreibweise dabei so übernommen, Anm. d. Red.]: „Die Bonbons, oder „Bolchen“ genannt, wurden zum Einwickeln von Hand in private Haushalte gegeben. Schon im Jahre 1911/12 prophezeite ein Handelsvertreter, daß diese Kandisfabrik bald am Ende sein würde. Der Mann sollte recht behalten, denn 1915 ging die Fa. Karl Gerhardt in Konkurs. Mißstände, nicht nur Mundraub, sondern alte Maschinen führten dazu. Die vorher neu gekauften Schokoladeneinwickelmaschinen konnten den Niedergang auch nicht aufhalten. Man löste den Betrieb auf und die Produktionsräume gingen in den Besitz der Zuckerfabrik über. Die Villa blieb bei den Gerhardt’schen Erben.“
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs befand sich in der Villa zunächst ab 1950/1951 eine Isolierstation für Tuberkulose-Patienten mit 54 Betten und später durch den Rückgang der Tuberkulose von 1960 bis 1964 nach sachgemäßem Umbau eine geburtshelferische und gynäkologische Abteilung, die man danach zunächst in die Außenstelle Carlsfeld und dann nach Wolfen verlegte, nachzulesen in „Die Historia von Zörbig 1902 – 2004“, Kapitel 11-19.
Im MZ-Artikel vom 24. April 2015, welcher das 50-jährige Jubiläum der HNO-Klinik zum Thema hatte [mehr unter https://www.mz.de/lokal/bitterfeld/jubilaum-im-gesundheitszentrum-bitterfeld-wolfen-kein-vergleich-zu-damals, Anm. d. Red.], schreibt der Autor Ulf Rostalsky: „Die Klinik in Zörbig war Bögels Kind: „Ich habe aber viele Unterstützer gehabt. Ohne die und deren Kontakte wäre gar nichts gegangen.“ Kaum mehr als ein halbes Jahr war Zeit vom Beschluss, in der Villa des ehemaligen Direktors der Zörbiger Zuckerfabrik [irrtümlich falsch benannt, Anm. d. Red.] eine HNO-Klinik einzurichten, bis zur Arbeitsaufnahme. „Wir mussten alles ranschaffen. Die komplette Ausstattung. Das waren Zeiten.“ Bögel und Kollegen organisierten, spannten die großen Kombinate ein, fuhren nach Berlin, um Instrumente zu bekommen. „Mein Verwaltungsdirektor [„Der Verwaltungsleiter für Krankenhaus und Poliklinik war ein Herr Nowak“, Anm. von MuR Brigitta Weber – Hierbei handelt es sich um MR Dr.med./Dipl.med. Peter Nowak, seinerzeit Facharzt für Chirurgie, Leitender Arzt der Poliklinik Zörbig, Anm. d. Red.] war schon ein Typ. Der hat denen in der Hauptstadt versprochen, dass wir sie im Falle des Falles operieren.“ Der Ex-Chefarzt muss heute noch schmunzeln über solche Vorfälle der Anfangszeit. “Weiter heißt es im Artikel: „Wir hatten damals bis zu 1.200 Operationen im Jahr und waren für den ganzen Kreis Bitterfeld und Gräfenhainichen zuständig“, erinnert sich Bögel und spricht von der Behandlung von Mittelohrentzündungen bei Kindern, von sanierenden und hörverbessernden Ohroperationen. „Es war immer sehr viel zu tun.“
Mit Auflösung der Außenstelle in Zörbig 1998 zog die HNO-Abteilung nach Bitterfeld. Hier waren am Kreiskrankenhaus Klinikneubauten entstanden (nachzulesen im MZ-Artikel vom 01. Juli 2013
[https://www.mz.de/lokal/bitterfeld/abriss-steht-bevor-alte-hno-klinik-zorbig-verschwindet, Anm. d. Red.]).
2013 wurde das Gebäude schließlich abgerissen. Ludwig Müller, der ehemalige Geschäftsführer beim Agrarhandel Roth, auf dessen Gelände sich die alte HNO-Klinik befand, erklärte damals: „Das Gebäude ist in einem sehr schlechten Zustand und einfach nicht mehr haltbar. Wir wollen keine Ruine auf unserem Betriebsgelände haben“. Und so entstand nach dem Abriss hinter dem früheren Klinikgelände eine neue Lagerhalle, in der zusätzliche 10.000 Tonnen Getreide zwischengelagert werden können. Jetzt befindet sich hier der LKW-Parkplatz am Getreidehandel.
„Auf dem Gelände gab es auch noch mehrere Garagen, wo unter anderem Oldtimer-Fahrzeuge von Heinz Zschoche untergestellt waren und einen ganz kleinen Park für die Patienten der Klinik.“, so Voss.
Voss weiter: „Ich konnte damals noch den gesamten Natursteinsockel mit großen Porphyr-Blöcken und die Fragmente des Zwiebelturmes retten. Die Porphyr-Steine liegen auf einem großen Berg am Galgenberg, direkt neben der Toreinfahrt Richtung Großzöberitz. Der Turm stand einige Jahre auf dem Bauhof und sollte eigentlich restauriert werden. Meine Vision war, ihn dann am Museumsgelände neben dem Aktuarhaus baulich mit einzubinden. Ist aber leider aus Finanz- und Zeitgründen gescheitert.“ Fragmente des Zwiebelturmes konnten dank Hilfe der Stadt Zörbig für die Ausstellung ins Schloss gebracht werden und sind Teil der Sonderausstellung.
Nach wie vor vertritt Gabriele Hecht, langjähriges Mitglied im Heimatverein Zörbig 1922 e. V., dieselbe Ansicht wie schon 2013 auf Nachfrage von MZ-Lokalreporter Schröter: „Zörbig verliert leider ein geschichtsträchtiges Gebäude.“ Für sie noch immer ein bitterer Moment.
Eine ehemalige Mitarbeiterin, welche im Rahmen der Sonderausstellung vorab auch interviewt wurde wie einige ihrer Kolleginnen, erinnert sich an einen für alle besonderen Moment: „Auch ein Schauspieler hat mal Ohrenschmerzen! Wir haben nicht schlecht geschaut, als damals Wolfgang Stumph vor uns stand. Vorsichtig haben wir nach einem Autogramm gefragt und auch alle eins bekommen. Der Wolfgang ist ein ganz lieber!“
Im Rahmen der Sonderausstellung wurden diese Interviews durchgeführt, um die Ausstellung noch authentischer zu gestalten. Zudem komplementieren unter anderem Baupläne der alten Fabrikantenvilla, Fotos aus der damaligen Zeit und ein Videoclip, der kurz vor und während des Abrisses entstanden ist, diese interessante Präsentation. Die Neugier war auf jeden Fall geweckt worden.